Natascha In-Albon 01.10.2016

DIGITALE LERNSYSTEME – Adaptiv und personalisiert lernen

Adaptives Lernen ist eines der Hot Topics im Bildungsbereich. Digitale Lernsysteme werden in Zukunft auf die Bedürfnisse des Einzelnen reagieren und das Lernen typgerecht gestalten. Was sich wie Zukunftsmusik anhört, könnte schon bald das selbstgesteuerte Lernen revolutionieren.

Mathestunde in der Klasse 4C, Einführung in die linearen Funktionen. Jan hat den Stoff im ersten Durchgang begriffen, während Andreas den Lehrer ratlos anschaut. Dieser erklärt das Prinzip geduldig nochmals. Jan schaut derweil gelangweilt aus dem Fenster – und Andreas beschliesst wohl oder übel am Abend in die Nachhilfestunde zu gehen, um sich für die nächste Unterrichtsstunde sicherer zu fühlen.

Jeder Lernende ist unterschiedlich und bringt persönliches Vorwissen, Begabung und seine eigene Vorgeschichte mit. Unser Bildungssystem berücksichtigt wo möglich die heterogenen Bedürfnisse, etwa durch unterschiedliche Niveaus und Unterstützungsangebote. Doch diese Bemühungen stossen an Grenzen, wenn etwa im Klassenunterricht die Lehrperson jedem einzelnen Schüler einen individualisierten Unterricht ermöglichen möchte. Wie sollten da ausgerechnet technologiebasierte Lernsysteme, eine programmierte Software, auf die Bedürfnisse des Einzelnen eingehen? Die neusten Entwicklungen im digitalen Lernen versprechen jedoch genau dies. Mit adaptiven Lernsystemen soll es möglich sein, den Lernbedürfnissen und -stilen des Einzelnen gerecht zu werden und so ein effizienteres Lernen zu erreichen.

Was ist adaptives Lernen?

Digitale Lernsysteme werden heute an fast allen Bildungsinstitutionen, zunehmend auch in der Wirtschaft, eingesetzt, da sie den grossen Vorteil der zeitlichen und örtlichen Unabhängigkeit bieten. Die Personalisierung dieser Systeme ist nun der nächste grosse Schritt. Adaptiv ist ein Lernsystem dann, wenn es die Aktivitäten des Nutzers beobachten und interpretieren kann, um daraus seine Präferenzen und Bedürfnisse abzuleiten. So kann eine adaptive E-Learning-Plattform beispielsweise den aktuellen Wissensstand des Lernenden messen und ihm je nach Ergebnis geeignete Übungsaufgaben vorschlagen. Dadurch ergeben sich für jeden Einzelnen auf ihn abgestimmte Lernpfade, um ein optimales Lernergebnis zu erzielen. Damit übernimmt das adaptive Lernsystem eine ähnliche Rolle wie die eines menschlichen Tutors.

Learning Analytics

Technisch möglich wird dies durch Learning Analytics. Jeder Nutzer einer E-Learning-Plattform hinterlässt Daten, während er eingeloggt ist. Dr. Beatrice Paoli und ihr Team vom Laboratory for Web Science (LWS) der FFHS gehen solchen Daten auf die Spur: «Mittels 19 Logfile-Analysen können wir einen Einblick in das Lernverhalten der Studierenden gewinnen. Zum Beispiel untersuchen wir das zeitliche Verhalten, wann lernen die Studierenden bevorzugt in Punkto Tageszeit, Wochentag, Tage vor der Prüfung. Auch die Anzahl von Bearbeitungen, Wiederholungen, richtig oder falsch gelösten Aufgaben oder abgebrochene Tests geben uns ein Bild des einzelnen Lernenden.» Durch die Interpretation dieser Daten lassen sich wertvolle Informationen gewinnen, um Studierende besser zu unterstützen – was sich nicht zuletzt positiv auf die Qualität des Lehrangebotes und die Motivation der Lernenden niederschlagen kann.

ALMoo – Adaptives Lernen mit Moodle

Mit dem Projekt ALMoo hat die FFHS im Februar 2014 die Forschung in diesem innovativen Feld aufgenommen mit dem Ziel, ein an das Studienmodell der FFHS angepasstes adaptives Lernsystem zu entwickeln. Das Projekt ist eine Kooperation des Instituts für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL) sowie des LWS und vereint damit die Kompetenzen sowohl im Bereich Recommender Systems (Empfehlungssysteme) als auch in Lerntheorie und E-Didaktik. In einem Pilotversuch mit 95 Studierenden
konnten erste Ergebnisse gewonnen werden. Jeder Teilnehmer musste zu Beginn des Pilotkurses einen Vorwissenstest absolvieren, der die Studierenden in drei Wissensstufen – Novizen, Fortgeschrittene und Experten – einteilte. Entsprechend dieser Einteilung erhielten die Studierenden zwar die gleichen Aufgaben, aber mit unterschiedlich detaillierten Instruktionen und Erklärungen.
 

Hatten beispielsweise Novizen ihre mit detaillierteren Instruktionen versehenen Aufgaben erfolgreich gelöst, bekamen sie die Empfehlung, auch Aufgaben ohne diese Hilfestellungen zu lösen. Hatten Experten hingegen ihre Aufgaben nicht gelöst, erhielten sie die Empfehlung sich Aufgaben mit Zwischenschritten und Hinweisen vorzunehmen. Somit hatte jeder Studierende seinen individuellen, seinem Wissen entsprechenden Lernpfad. Prof. Dr. Per Bergamin, Projektleiter von ALMoo: «Die Auswertung zeigte, dass die schwächeren Studierenden, die Novizen, vom adaptiven Lernsystem profitiert haben. Sie konnten ihre Wissensdefizite durch die zusätzlichen Erklärungen und ausführlicheren Aufgaben signifikant besser aufarbeiten.» In einem nächsten Schritt soll im Projekt ALMoo überprüft werden, ob sich das entsprechende Instruktionsdesign auch auf andere Themengebiete übertragen lässt. Zudem nehmen sich die Forschenden vor, weitere lernrelevante Faktoren wie das Interesse als Emotion oder die Aufgabenschwierigkeit in das adaptive Lernsystem einfliessen zu lassen.