Per Bergamin und Egon Werlen 01.05.2015

Emotion meets Brain

Emotionen sind zentraler Bestandteil unseres Lebens. Sie machen unser Leben lebenswert und helfen uns beim Bewerten von Situationen, um in diesen entsprechend zu reagieren. Auch beim Lernen zeigen sich viele Einflüsse der Emotionen. Deren Erforschung könnte helfen, Lernumwelten zu optimieren. Doch wie lassen sich Emotionen messen?

Wer kennt die Situation nicht? In ein paar Minuten beginnt ein wichtiger Test. Ich fühle mich angespannt, müde und nervös. Ich denke an nichts anderes als das mögliche Resultat. Gedanklich gehe ich immer wieder das Gelernte durch. Allerdings wollen mir bestimmte Dinge nicht mehr einfallen. Mein Herz fängt an zu klopfen und meine Hände werden feucht. Ich sitze da, wie gelähmt. Am liebsten würde ich aufstehen und den Raum verlassen. Ein Unbeteiligter, der fälschlicherweise den Raum betritt, würde meinen Zustand sofort wahrnehmen: die geweiteten Augen, die angespannte Körperhaltung oder meine zittrige Stimme. Solche und ähnliche Gefühle beeinflussen unsere Lernleistungen, unser Verhalten während des Lernens und machen sich körperlich bemerkbar. Doch was sind das für Emotionen und wie können wir deren Einfluss auf das Lernen untersuchen?

Emotionen einteilen und interpretieren

Emotionen haben zwei herausragende Merkmale: Sie laufen automatisch ab, lassen sich also nur sehr schwer verändern, und sie sind subjektiv, das heisst für jeden Menschen gefühlsmässig unterschiedlich gefärbt. Dies macht deren Erforschung relativ schwierig. Im Allgemeinen geht man heute von folgenden grundlegenden emotionsbezogenen Komponenten aus: dem Erleben, physiologischen Zuständen und dem Verhalten. Diesen lassen sich entsprechende Messmethoden zuordnen. Dieselben Komponenten finden sich auch im Zusammenhang mit dem Lernen. Um die Emotionen im Lernkontext einzuteilen, lassen sich unterschiedliche Konzeptionen heranziehen.

Zum einen können Emotionen in verschiedene Dimensionen unterteilt werden. So beurteilen wir die gefühlsm.ssige Färbung, die sogenannte Valenz, die positiv oder negativ ausfällt. Sehr vereinfacht ausgedrückt fördern positive Valenzen das Lernen, während negative Valenzen das Lernen behindern. Allerdings wird in der neueren Forschung eine zusätzliche Unterscheidung, die Gefühlslage «neutral», immer wichtiger. Eine weitere Dimension betrifft die Unterscheidung des Gefühlszustands zwischen starker und schwacher Erregung (Arousal). Ein dunkler Raum etwa kann zu einer hohen Erregung oder auch zur Beruhigung führen. Im Lernkontext gilt, wiederum vereinfacht ausgedrückt, dass je nach Art der Aufgabe eine optimales Mass an Erregung am lernförderlichsten ist. In vielen Fällen bedeutet dies ein mittleres Arousal.

Ein anderes Konzept klassifiziert Emotionen, indem sie nach eindeutig abgrenzbaren Gefühlslagen unterschieden werden. Eines der bekanntesten stammt von Paul Ekman, der Gesichtsausdrücke in verschiedenen Kulturen untersucht hat. Er konnte die gefundenen Ausdrücke in sechs Basisemotionen einteilen, die in allen Kulturen vorkamen: Überraschung, Ekel, Freude, Ärger, Trauer, Angst. Heute nimmt man oft bei entsprechenden Messungen noch als siebte Klasse die Emotion «neutral» hinzu. Im Rahmen dieser Konzeption, auch distinkte Emotionen genannt, wurde vor allem der Zusammenhang von Angst und Lernen sehr oft untersucht.

Emotionen messen

Wie nun aber lassen sich Emotionen im Lernkontext am besten messen? Gerade bei der Messung von Emotionen stellen sich die forschungskritischen Fragen: Wie zuverlässig ist die Messmethode beziehungsweise misst sie das, was gemessen werden soll? Wie genau ist sie? Wie schwierig ist die Durchführung der Messung? Führt die Messung zu Verzerrungen? Eine Möglichkeit ist es, die Testpersonen selber einschätzen zu lassen, welche Emotionen sie gerade erleben respektive erlebt haben. Befragungen eignen sich relativ gut und sind heute im Allgemeinen zuverlässig und genügend sensibel. Sie haben aber einen gravierenden Nachteil: Sie unterbrechen jeweils den Lernprozess oder müssen zuvor und danach eingesetzt werden. Ein Wechsel in der Gefühlslage (Emotionsregulation) während des Lernprozesses kann also nur sehr unbefriedigend gemessen werden. Hier haben physiologische Messmethoden oder Verhaltensmessungen einen eindeutigen Vorteil. Veränderungen der physiologischen Parameter, wie zum Beispiel des Blutdruckes oder elektrischer Wellen im Gehirn, werden sofort registriert (bis hin zum Millisekundenbereich). Auch die Messung der Augenbewegungen gibt ein relativ genaues Bild ab. Doch den körperlichen Messmethoden sind ebenso Grenzen gesetzt. So können beispielsweise die Hautleitwerte, je nachdem was eine Versuchsperson vor einem Experiment gegessen hat, sehr unterschiedlich ausfallen. Alle diese Methoden benötigen zudem entsprechende Apparaturen, sind mit hohem Aufwand verbunden und können meist nicht in Alltagssituationen eingesetzt werden.

Facial Action Coding

Einen grossen Vorteil bieten hier die Audio- und Videobeobachtung sowie Sprachanalysen. So können die Versuchspersonen beispielsweise beim Lernen gefilmt werden. Die Gesichtsausdrücke werden codiert und im Zusammenhang mit den oben dargestellten Konzeptionen interpretiert. Neuere Verfahren führen dazu automatische Codierungen mittels Facial Action Coding  durch: Die gefilmten Gesichtsausdrücke werden in Bewegungseinheiten, etwa Veränderungen der Gesichtsmuskeln, «zerlegt». Diese werden mit verschiedenen Computermodellen verglichen, einer bestimmten Gefühlslage zugeordnet und interpretiert. Die Beobachtung von zirka 20 solchen Einheiten ergeben zumeist gut nutzbare Resultate. In neuesten Untersuchungen werden Personen sogar über Laptop-Kameras oder über Webcams von Smartphones beim Lernen aufgenommen. So bleibt die Testperson beim Lernen ungestört und gleichzeitig werden Daten zur emotionalen Verarbeitung von Informationen erhoben.

Jede dieser Messmethoden hat ihre Vor- und Nachteile. Um möglichst präzise Informationen zu erhalten, werden deshalb in der heutigen Kognitions- und Emotionsforschung die verschiedenen Messformen kombiniert angewandt.

 

Schweizweit einzigartige Untersuchungsanlage

Unter der Leitung von Prof. Bergamin erforscht die Gruppe des Instituts für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL) der FFHS unterschiedliche Elemente des selbstregulierten, personalisierten, adaptiven und mobilen Lernens in digitalen Lernumwelten. Einer der Schwerpunkte liegt in der Erforschung von kognitiven und emotionalen Aspekten des Lernens am Bildschirm. Dazu wurde im institutseigenen Usability-Labor eine bislang in der Schweiz einzigartige Untersuchungsanlage aufgebaut. Sie macht es möglich, Augenbewegungsmessungen mit der automatischen Erkennung von Gesichtsausdrücken zu kombinieren. Emotionen und Informationsverarbeitungsprozesse können auf diese Weise diskret untersucht und verglichen werden. Ziel dabei ist die Verbesserung und Optimierung von Lernumwelten und Lernmaterialien. So soll sich zum Beispiel ein Lernsystem der Gefühlslage der Lernenden anpassen oder im umgekehrten Fall emotionale Strategien wie beispielsweise die Modulierung der Erregung oder Angst gefördert respektive trainiert werden.

Prof. Per Bergamin ist Leiter des Forschungsteams Fernstudiendidaktik und E-Learning am Institut für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL) der FFHS.
Dr. Egon Werlen arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am IFeL mit Schwerpunkt E-Learning und
Medienkompetenz.