01.10.2016

Gegen die Uniformität der Bildung

Wer eine Schule gründet, sei nichts anderes als ein Unternehmer, ist Prof. Dr. Kurt Grünwald überzeugt. Der Initiator des Fernstudiums in der Schweiz und langjährige Direktor der FFHS tritt im Februar 2017 in den Ruhestand. Im Interview blickt er auf vergangene Hürden zurück und erklärt, was noch auf seiner Wunschliste steht.

Herr Grünwald, sind Sie eher Unternehmer oder Pädagoge?
Ich sehe mich als Macher. Ich will etwas anpacken und Neues schaffen.

 

Was hat Sie vor 25 Jahren zur Lancierung des Fernstudiums bewogen?
Als ich 1991 die Hochschullandschaft der Schweiz betrachtete, empfand ich die Strukturen als veraltet, zu sehr «Mainstream», durchgehend uniform. Ich wollte den Rahmen sprengen, in dem die Hochschulen sich befanden, mit spannenden und zeitgemässen Angeboten.

 

Warum kam die Initiative gerade aus dem Wallis?
Das Wallis hat sich angeboten, weil es im Kanton damals keine klassischen Hochschulstrukturen gab. Da keine Konkurrenzierung drohte, war die Akzeptanz von Anfang an gross, etwas Innovatives zu machen. Und zum anderen bin ich im Wallis aufgewachsen, hier ist mein Lebensmittelpunkt.

 

Dann stiessen Sie mit Ihrem Vorhaben auf offene Ohren?
Nein, einfach war es nicht. Auch wenn die Initiative im Wallis gut angenommen wurde, war es gesamtschweizerisch gesehen ein Kampf. Von Anfang an war das Konzept darauf ausgerichtet, die gesamte deutschsprachige Schweiz mit einem alternativen Studienangebot zu bereichern. Ausserhalb der Kantonsgrenzen stiess ich auf enormen Widerstand. Sie müssen sich vorstellen, dass die FFHS 1998 mit knapp 20 Studierenden gestartet ist. Viele Zweifler traten auf. Erreichen wir eine kritische Masse? Braucht es dieses Modell wirklich?

 

Sie haben sich dennoch durchgesetzt.
Sturheit gehört dazu, man muss zu 100 Prozent von seiner Idee überzeugt sein. Und dann «Gring abe u seckle», wie es Anita Weyermann so schön sagte. Genauso wichtig war ein Umfeld, das einen unterstützt. Ich fand dies seinerzeit unter anderem in der Person von Dr. Toni Bellwald und dem damaligen Walliser Finanzvorsteher Wilhelm Schnyder. Wir konnten nach und nach ein Team aufziehen, welches am selben Strick zieht.

 

Was macht Ihrer Meinung nach den Unternehmergeist aus?
Auf jeden Fall braucht es einen langen Atem, um eine Idee über mehrere Jahre konsequent durchzuziehen. Eine Schule aufzubauen ist nichts anderes als ein Unternehmen zu gründen. Ich bin ein Mensch, der die Auseinandersetzung dem Konsens vorzieht. Man kann sagen, ich streite gern, aber im positiven Sinne. Wenn alle gleicher Meinung sind, kann nichts Neues entstehen.

 

Wann mussten Sie diese Eigenschaften besonders abrufen? Was waren heikle Phasen?
Der Anerkennungsprozess, die Peer Reviews, die wir bis 1996 durchlaufen haben, die Kontakte mit dem Bund, den Kantonen – diese Zeit war happig. Wir hatten von Anfang an die Auflage, uns an eine bestehende Fachhochschulregion anzugliedern. Das Fernstudium verbanden viele mit der Problematik der geografischen Distanzen. Im Wallis okay, aber wieso braucht es das Modell in Zürich? Dabei ging es uns auch um die sozioökonomischen Distanzen. Alle sollen studieren können. Das Fernstudium ist ein Demokratisierungsangebot, das war neu. Die Suche nach der «passenden» Fachhochschule dauerte
schliesslich ganze sechs Jahre.

 

… und endete dann bei der Fachhochschule der Südschweiz, der SUPSI. Wieso ausgerechnet das Tessin?
Die SUPSI hatte ein Interesse, sich in Richtung Deutschschweiz zu öffnen. Zudem waren sie sehr am Distance Learning interessiert. Die Angliederung an die SUPSI war und ist eine Winwin-Situation. Heute ist die FFHS akademisch in die SUPSI integriert, aber verwaltungsmässig unabhängig. Wir pflegen eine gute Zusammenarbeit und einen wertvollen Austausch, etwa mit gemeinsamen Studienangeboten und Forschungsprojekten.
 

Die Entwicklung der FFHS ist eindrücklich, von anfangs 20 Studierenden auf aktuell fast 2000. Was ist das Erfolgsrezept?
Damals lernte man im Fernstudium auf Papier, der Stoff wurde mittels Studienbriefen nach Hause geschickt. Was dann folgte, war ein regelrechter Boom. Mit dem Aufkommen des Computers und des Internets entsprach das Angebot genau dem Zeitgeist. Mit der zunehmenden Digitalisierung stieg die zeitliche und örtliche Flexibilität. Dieses Jahr begann ein junger Student sein Studium, dessen Vater schon bei uns abgeschlossen hatte. Der Vater meinte letzthin zu mir, dass die Schule heute nicht wiederzuerkennen sei.

 

Und wo liegt das Rezept für die Zukunft?
Klassische Hochschulen haben weniger Probleme an ihre Studierenden zu kommen. Wir hingegen sind gezwungen, uns ständig abzugrenzen. Deshalb haben wir früh begonnen, Megatrends zu beobachten. Das E-Learning-Modell alleine reicht langfristig nicht aus, um der FFHS ihren Platz in der Hochschullandschaft zu sichern. Im Moment beschäftigen wir uns stark mit dem Personalisierungstrend in der digitalen Welt, mit adaptiven Lernsystemen. Ein anderes Projekt ist die Lancierung des Praxisintegrierten Bachelor-Studiums (PiBS). Das dual aufgebaute Modell entwickelt die Stärke der FH, die Praxisorientiertheit, konsequent weiter und setzt auf das Dreieck Schule, Student und Unternehmen.

 

Wie stark wird die FFHS weiterwachsen?
Aufgrund der demografischen Entwicklung stossen wir mit dem jetzigen Angebot an eine Grenze. Wachstumspotenzial sehe ich in der Weiterbildung, die momentan noch einen kleinen Anteil ausmacht. Auch wenn dieser Markt hart umkämpft ist, hätten wir durch digitale Angebote einige Trümpfe in der Hand. Der Trend geht in Richtung massgeschneiderte Weiterbildung, sozusagen «on demand», in Zusammenarbeit mit Unternehmen.

 

Wie wichtig ist die E-Learning-Forschung für die Weiterentwicklung?
Von Anfang an haben wir viel investiert, um unsere Methode des Blended Learning durch eigene Forschung zu überprüfen und auszubauen. Das Ziel ist neben der Erforschung von Trends auch die Umsetzung an der Schule, z.B. durch Optimierung der Lernplattform. Wir sind stolz, dass die Aktivitäten des Instituts für Fernstudien- und eLearningforschung (IFeL) jüngst internationale Anerkennung erhalten haben durch die Verleihung eines UNESCO-Lehrstuhls für personalisiertes und adaptives Distance Learning.

 

Was steht noch auf Ihrer Wunschliste?
Vieles. Dass das Blended-Learning-Modell auch für andere Schulebenen etabliert wird, z.B. in Gymnasien und in der Berufsbildung. Da liegt noch viel drin. Streng genommen funktioniert die Schule ja noch wie eh und je. Der Lehrer vor der Klasse vermittelt den Stoff. Dabei ändert sich heute die Art zu lernen durch die Digitalisierung und Personalisierung fundamental. Die Hochschulen werden an Stellenwert verlieren. Der Student wird sich in Zukunft sein Programm selbstbestimmt aus mehreren Hochschulen zusammenstellen. Das sollte allen Schulen zu denken geben.

 

Welche Weiterbildung werden Sie selber noch in Angriff nehmen?
Natürlich lernt der Mensch nie aus. Ich habe erst vor kurzem ein Diplom für einen Fernstudien-Lehrgang in spanischer Sprache erhalten. Die nächste Weiterbildung wird sicher nicht lange auf sich warten lassen.

 

Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger Michael Zurwerra?
I
ch würde ihm wünschen, dass er auch viele Jahre wie ich erleben darf, mit der Möglichkeit, eine Institution weiterzuentwickeln. Sowohl akademisch, als auch in der Forschung und den Studierendenzahlen. Ich bin mir sicher, seine langjährige Führungserfahrung im Bildungsbereich und seine hervorragende Einbindung in die Region qualifizieren ihn bestens für die neue Aufgabe.


Herr Grünwald, herzlichen Dank.

 

PROF. DR. KURT GRÜNWALD hat für das Fernstudium in der Schweiz Pionierarbeit geleistet und ab 1992 die Fernuniversität Schweiz aufgebaut. 1998 folgte die Gründung der Fernfachhochschule Schweiz, als deren langjährigen Direktor er im Februar 2017 in den Ruhestand tritt. Sein Nachfolger wird Michael Zurwerra, der zuletzt als Rektor der Kantonsschule Trogen und zuvor als Rektor am Kollegium Spiritus Sanctus in Brig tätig war.