Rahel Perrot 01.10.2016

IST UNTERNEHMERGEIST ERLERNBAR?

Die Schweizer Gründerszene ist stark mit der Hochschullandschaft verbunden. Der enge Austausch zwischen Forschung und Wirtschaft schafft die Grundlagen für innovative Geschäftsideen. Auch an der FFHS wird Unternehmertum gefördert.

Entrepreneurship – ein schillernder Begriff unserer Zeit. Das Wort stammt vom französischen «entreprendre», zu Deutsch «etwas unternehmen». Entrepreneurship ist aber nicht bloss ein anderes Wort für Unternehmertum. Synonyme wie Unternehmergeist, Unternehmensgründung oder auch Gründerkultur machen die Vielschichtigkeit des Begriffs deutlich. Entrepreneurship stellt den Menschen – insbesondere den Gründer – und seine Motivation in den Mittelpunkt. Ein Entrepreneur will seine Ideen und sich selbst verwirklichen. Dazu findet er kreative und marktfähige Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Er entwickelt innovative Produkte und Dienstleistungen, die den Bedürfnissen der Menschen gerecht werden. Solch ein Entrepreneur ist auch der FFHS-Student Bora Altuncevahir. Er erzählt: «Innovation hat mich schon immer fasziniert. Dabei Trends aufzuspüren und zu überlegen, wie man diese sinnvoll nutzen kann. Das treibt mich an.»

Start-up-Szene mit Potenzial

2013 wurden laut Bundesamt für Statistik 12’400 neue Firmen gegründet. Dies entspricht einem Zuwachs von 4.6 Prozent im Vergleich zu 2012. Start-ups tragen unbestritten ein bedeutendes ökonomisches Potenzial in sich. Innovative Unternehmen bilden den Motor der Schweizer Wirtschaft. Bund, Kantone, aber auch private Institutionen haben Interesse daran, ideale Rahmenbedingungen für Jungunternehmer zu schaffen. Die Schweizer Start-up-Szene verfügt bereits über eine Vielzahl an Förderprogrammen, Start-up-Wettbewerben und Coaching-Angeboten. Die Gründerszene beschränkt sich derzeit aber noch vornehmlich auf die beiden Städte Lausanne und Zürich. Ist die Waadt vor allem in den Life Sciences stark,
punktet Zürich klar im ICT-Bereich.

Hochschule als Inkubator

Es ist wohl kein Zufall, dass sich die Gründerszene der Schweiz in diesen beiden Städten tummelt. Die dort verankerten Hochschulen sorgen für eine enge Verzahnung von Forschung und Wirtschaft. Die Jungunternehmer möchten zudem nahe bei ihrem früheren sozialen Netzwerk bleiben, wie Untersuchungen der ETH Zürich gezeigt haben. Auch der FFHS-Student Bora Altuncevahir bekräftigt die Bedeutung von diesen sogenannten Clustern. Der Austausch mit Leuten aus den verschiedensten Fachbereichen und Branchen sei ungemein wertvoll, wenn nicht sogar matchentscheidend für Innovation und das Gelingen einer Firmengründung. «Mein Ratschlag: Bau dein Kontaktnetzwerk laufend aus und lerne von den Besten.» Wichtig dabei sei zudem, sich die Grundlagen in Sachen Konzept- und Strategieentwicklung anzueignen. Jedes zweite neugegründete Unternehmen scheitere, weil es sich vor dem Markteintritt nicht mit grundlegenden Fragen auseinandersetze. «Klar, Zuckerberg und Jobs haben dies sicher nicht befolgt. Aber niemand redet von den vielleicht 99 Prozent, die vor und nach ihnen ohne Konzept und Strategie gescheitert sind.»

Grundlage: Innovationsmanagement

Nach Abschluss der Wirtschaftsmittelschule war Bora Altuncevahir mehrere Jahre in der Finanzindustrie tätig. Der Wunsch nach persönlicher und beruflicher Weiterentwicklung führte den 34-Jährigen an die FFHS. Dort eignete er sich mit dem Master in Business Administration das theoretische Rüstzeug für eine spätere Unternehmensgründung an. «Die dazugehörige Vertiefungsrichtung Innovation Management ist interdisziplinär und praxisnah aufgebaut», erklärt Ute Eisenkolb, die verantwortliche Studiengangsleiterin. «Sie befähigt die Studierenden, eigene Ideen zu entwickeln und anzuwenden. Die Ausbildung bietet Karriereentwicklung für Menschen, die sich beispielsweise im Innovationsmanagement, in der Produkteentwicklung oder der Marktforschung positionieren wollen. Dies sind zudem auch alles Bereiche, die für eine mögliche Unternehmensgründung Relevanz haben.»


Noch während seines Studiums gründet Bora Altuncevahir zusammen mit einem Freund die Fitnessplattform fitbookers.com. Mit deren Hilfe und der dazugehörigen App können Fitnesskurse oder sonstige Sportarten im gewünschten Umkreis ausfindig gemacht werden. «Unser Ziel war jedoch nie, in der Schweiz gross damit rauszukommen», meint der Master-Student. Sie verstanden es als Übungsfeld, um in kurzer Zeit möglichst viel Erfahrung zu sammeln und die Herausforderungen aufzudecken. Und ja, die gab es. Sie hatten alles parat, nur fehlten ihnen die Fitnessanbieter als auch die Kunden. «Ein klassisches Huhn-Ei-Problem», wie er sagt. Unterstützung erhielten die beiden von ihren Dozenten. «Das finde ich das Tolle an der FFHS: Top-Dozenten, die alle eine starken Praxisbezug haben und viel Erfahrung mitbringen», meint Bora Altuncevahir. «Es herrscht ein direkter und persönlicher Austausch. Man kann gemeinsam an Ideen feilen.» Inspiriert von der empfohlenen Lektüre zu Innovationstheorien widmete sich der FFHS-Student dann auch in seiner Masterarbeit der Frage, wie Jungunternehmen in kurzer Zeit Kunden generieren können.

Wandel zu einer echten Gründerkultur

Vor einem halben Jahr haben die beiden Jungunternehmer ihre Fitnessplattform erfolgreich ins Ausland verkauft. An Ideen für ein nächstes Projekt mangelt es nicht. Derweil vertieft Altuncevahir aber sein Fachwissen in Innovationsmanagement und arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Technologiemanagement an der Hochschule St. Gallen. Weiterentwickeln muss sich auch die Schweizer Gründerszene, will sie mit dem Ausland Schritt halten. Als Vergleich: 2015 haben Jungunternehmen in Finanzierungsrunden gemäss dem «Swiss Venture Capital Report 2016» zwar die derzeitige Rekordsumme von über CHF 676 Mio. generiert. In London sammelten im gleichen Jahr jedoch alleine die Fintech-Gründungen umgerechnet CHF 2.2 Mrd. an Wagniskapital, die Jungunternehmen im Silicon Valley holten sogar CHF 4.1 Mrd. herein – und dies lediglich im vierten Quartal. «Wir haben ein hohes Bildungsniveau im Land mit vielen hellen Köpfen», hält Bora Altuncevahir fest. Jedoch sei für ihn noch keine echte Gründerkultur zu spüren. Die viel beschworene Fehlerkultur vermisst auch er. Es sei nicht schlimm zu scheitern. Viel wichtiger sei es, den Austausch, auch mit der vermeintlichen Konkurrenz, nicht zu scheuen. «Ich bin überzeugt, wir können eine Innovationskultur aufbauen. Sie ist die Grundlage für eine erfolgreiche Start-up-Szene in der Schweiz.»