01.05.2018

Fluid, flexibel, agil: Arbeiten wird anders

Unsere Arbeit verändert sich gerade «wieder einmal» gemäss den Optimisten, «radikal», wenn man den unkenden Pessimisten glauben will. Fest steht: Die Digitalisierung hat Auswirkungen darauf, wie unsere Erwerbsleben aussieht.

«Eine Tasche mit Laptop ist mein Arbeitsplatz.» Ein einfacher Satz. Und doch so bedeutungsschwer. Kein eigenes Büro mehr, kein Zuhause am Arbeitsplatz mehr. Stattdessen: Ein Büro überall, arbeiten, wo man sich zuhause fühlt und viel Flexibilität.

Wenn Andri Rüesch über seine Arbeit «aus dem Handgepäck» spricht, sind die einen geschockt, die anderen begeistert. Er kümmert sich als Head of Sourcing, Skills & Talents bei Swisscom darum, dass die richtige Person mit den richtigen Skills am passenden Arbeitsplatz sitzt. Metaphorisch gesprochen natürlich, denn Arbeitsplätze im klassischen Sinn werden bei Swisscom zunehmend rarer.

Überall Arbeit

In seinem Unternehmen macht sich die Digitalisierung des Arbeitslebens bereits stärker bemerkbar als vielleicht anderswo. Rüesch zählt auf: «Desk Sharing, Open Space Office, mobile Arbeitsplätze…» Die Gebäude des Schweizer ICT-Unternehmens richten sich nach dieser Art zu arbeiten.

Was man als Aussenstehender zuerst wahrnimmt, nämlich das kreativ genutzte Bürogebäude, kommt aber eigentlich ganz zum Schluss. Am Anfang steht immer die Digitalisierung. Andri Rüesch fasst zusammen: «Routinearbeiten werden zunehmend automatisiert. Und die Anforderungen an Fachkräfte verändern sich.» Beide Aspekte prägen die Art der Arbeit.

Gewisse Stellen werden durch die Automatisierung überflüssig. Klar ist auch, viele Arbeitnehmende können voraussichtlich nicht mehr ein Arbeitsleben lang denselben Job machen. Beide Veränderungen lösen Ängste aus: Gibt es meinen Job noch in 20 Jahren? Wie kann ich als Arbeitnehmer konkurrenzfähig bleiben?

Auslaufmodell Mensch?

Diese Bedenken kennt Andri Rüesch: «Für Arbeitnehmende bringt die digitale Transformation einen grossen Kulturwandel. Sie verlieren eine gewisse Sicherheit, müssen mehr Eigenverantwortung für die eigene Arbeitsmarktfähigkeit übernehmen.» Die Zeiten, in denen Mitarbeitende 20 oder 30 Jahre ohne Weiterbildung lang denselben Job machen konnten, sind wohl passé.

Allerdings – und das betont auch Andri Rüesch mehrfach – bietet die Zukunft der Arbeit auch viele Chancen. Wahrscheinlich werden intelligente Maschinen gewisse Jobs übernehmen. Aber: Stellenverluste waren aber auch bei der Mechanisierung, dem Aufkommen der Massenproduktion und dem Triumphzug des Mikrochips nicht zu vermeiden. Wie bei früheren Umwälzungen des Arbeitsmarkts werden auch jetzt Stellen verschwinden und andere Stellen neu entstehen.

«In Zukunft wird jedes Unternehmen auch ein IT-Unternehmen sein, denn Produkte werden zunehmend Software-basiert», begründet Andri Rüesch. Entsprechend wird der Hunger der Wirtschaft nach Data Scientists, App-Entwicklern, Web Designern, Usability Engineers und vielen weiteren Berufsgattungen weiter wachsen.

Weiterhin Fachkräftemangel

Anders als bei Swisscom dürften viele kleinere Firmen in der Schweiz noch weit weniger gut aufgestellt sein, um die Digitalisierung konstruktiv in Angriff zu nehmen. Und gerade für kleine Firmen ist es schwieriger, Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren. Die HR-Rezepte, welche Digitalisierungs- Vorreiterin Swisscom einsetzt, könnten aber auch für KMU interessant sein.

Man betreibe etwa ständig «Active Sourcing», eine Art proaktives Ausschauhalten auf dem Stellenmarkt, um kritische Stellen baldmöglichst neu besetzen zu können, sollte das nötig werden. Und wichtiger noch, man unterstütze konsequent die Mitarbeitenden dabei, arbeitsmarktrelevante Fähigkeiten zu erwerben und sich kontinuierlich weiterzuentwickeln.

Kompetenzen statt Abschlüsse

«Wir haben ein systematisches Skills Management eingeführt», verdeutlicht Andri Rüesch: «Eigentlich ist ein Skill-Profil ein CV mit dem Unterschied, dass er in einer einheitlichen Sprache verfasst wird.»
Damit werden die Skills der Mitarbeitenden untereinander vergleichbar – auch maschinell. Diese systematische Ablage von Skills macht es leichter, die Transparenz bei der Jobvergabe zu gewährleisten.

In einzelnen Bereichen würden bereits interne Jobausschreibungen mit entsprechenden Anforderungen an das Skillset von Bewerbern ausgeschrieben. Diese wiederum würden sich mit ihrem jeweiligen Skill-Portfolio bewerben.

Mehr Flexibilität für Arbeitnehmende

Für Mitarbeitende bedeutet das, dass sie – je nach Skillset – immer wieder in einem anderen Projekt und in wechselnden Teams arbeiten können. Das Unternehmen erhält so den bestmöglichen Kompetenzpool für eine Aufgabe, Mitarbeitende erhalten eine Gelegenheit ihr Kompetenzprofil zu erweitern und ihr Netzwerk im Unternehmen zu stärken.

Die wohl wichtigste Voraussetzung für den Erfolg im heutigen Arbeitsleben sei die stete Veränderung, findet Andri Rüesch: «Ein Arbeitnehmer muss sein Arbeitsleben als eine Lernreise betrachten.» Er müsse sich ständig selbst beurteilen, Verantwortung für seine Karriere übernehmen und sich fragen: «Welche Fähigkeiten habe ich und welche Skills sind gefragt?»

Coaching statt Leadership

Moderne Unternehmen definieren zusammen mit ihren Mitarbeitenden Ziele und schaffen so eine gemeinsame Wertebasis, die Sinn stiftet und motiviert. Sie unterstützen Mitarbeitende auf ihrer Lernreise. Denn gerade jüngere Arbeitnehmende suchen immer mehr ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich weiterentwickeln können, weiss Andri Rüesch.

«Vertrauen, Transparenz, Offenheit und Eigenverantwortung prägen die moderne Unternehmenskultur », stimmt Cindy Eggs zu. Sie verantwortet den neuen Weiterbildungsstudiengang MAS Arbeit 4.0, der 2018 erstmals an der FFHS durchgeführt wird. Der Studiengang richtet sich an Führungspersonen, Personal- und Organisationsfachleute, die noch nicht genau wissen, wie sie ihre Firmen und Teams von eher traditionell-hierarchischen zu flachen, agilen, digital gestützten Organisationen transformieren können.

Wo auf der einen Seite Arbeitnehmende stehen, die immer unternehmerischer denken müssen, die sich und ihr Skill-Portfolio vermarkten und weiterentwickeln wollen und müssen, stehen auf der anderen Seite Führungskräfte. Auch diese sind von der neuen Ausgangslage manchmal überfordert.

«Leader sind mehr und mehr Coach und amtieren immer weniger als klassischer Chef», so die Studiengangsleiterin Eggs. Führungskräfte müssten lernen, den Menschen und seine individuelle Weiterentwicklung in den Vordergrund zu stellen. Denn die «Chefin 4.0» ist empathischer, sie bindet verstärkt Arbeitskräfte, auch wenn diese remote arbeiten, verstärkt und motiviert statt zu kontrollieren.

Adieu Arbeit?

Wie arbeiten wir in 20 Jahren? Auf diese Frage wissen weder Cindy Eggs noch Andri Rüesch eine abschliessende Antwort. Andri Rüesch glaubt, dass Maschinen mittelfristig viel übernehmen können. Menschen kümmern sich in diesem Szenario um kreative Aufgaben, die nicht lineares Denken und die Fähigkeit zur Abstraktion in den Mittelpunkt stellen.

Cindy Eggs sieht ihrerseits grosse Chancen für Berufe, die auf zwischenmenschlichen Skills und Kollaborationsfähigkeiten beruhen. Sie begründet: «Wir gehen davon aus, dass Diversität und kollektive Intelligenz bessere Resultate hervorbringen als Einzelpersonen.»

Angesprochen auf das Szenario der totalen Automatisierung, das keinen Platz für Menschen in der Wirtschaft mehr bietet, winkt Rüesch ab: «Ich bin überzeugt, dass wir immer arbeiten werden!» Es könne natürlich sein, dass man künftig weniger in Büros sitze als heute, aber ganz ohne Arbeit könne der Mensch wohl auch nicht sein. Denn: «Wir brauchen eine sinnvolle Aufgabe.»