Hannah Instenberg 05/10/2023

Führung «trotz» Teilzeit

Die Nachfrage nach Teilzeitstellen steigt. Doch gerade für Führungspositionen scheint Teilzeitarbeit noch ein Tabu zu sein. Dennoch wären viele Teams auch mit einem 80%-Pensum oder weniger gut zu führen.

Das Angebot an Teilzeitstellen ist immer noch gering, die Nachfrage danach wird aber immer grösser – und dies nicht erst, seitdem die jüngeren Generationen in der Führungsetage anzutreffen sind. Sei es, um Familienverpflichtungen nachzukommen, eine Weiterbildung zu absolvieren, ein politisches Amt zu übernehmen oder einfach um mehr Freizeit zu geniessen – all diese Gründe haben ihre Legitimation.

Je höher die Position, desto länger die Arbeitszeit

In der Empirie findet man ebenfalls äusserst interessante Entwicklungen. So hat Müller-Böling herausgefunden, dass es eine positive Korrelation zwischen Hierarchiestufen und dem Arbeitszeitvolumen gibt. Dabei bläht sich die Arbeitszeit von Führungskraft zu Führungskraft wegen der Steuerungs- und Überwachungsfunktion und dem daraus resultierenden Präsenzerfordernis spiralförmig auf (vgl. Müller-Böling & Ramme, 1990). Demnach ist es gängige Praxis, dass die Führungsperson immer mehr arbeitet – zumindest in rein quantitativem Kontext – als ihre Mitarbeitenden. In der heutigen Führungstheorie 4.0 ist jedoch aufgrund der digitalen Transformation die Machtabgabe von Führungskräften an Mitarbeitende durch ein zunehmend «coachendes» und beziehungsförderndes Verhalten zu beobachten (vgl. Schwarzmüller et al., 2017). Führungskompetenzen wie Agilität, Veränderungsmanagement und Führen auf Distanz nehmen damit eine stärkere Rolle ein (Rifkin, 2011).

Weshalb es bei Kader-Teilzeitstellen hapert

Demnach sollte es doch eigentlich egal sein, wer häufiger oder länger am Arbeitsplatz anzutreffen ist? Zumal die physische Anwesenheit eines Teams aufgrund von Homeoffice, verteilten Teams, Schichtarbeit oder globalisierten Unternehmensstrukturen sowieso immer seltener wird. In einem weiteren Schritt lohnt sich auch der Blick ins europäische Umland. Eine einfache Rechnung regt hierbei zum Nachdenken an: Während nach franzö- sischem Recht die gesetzliche wöchentliche Arbeitszeit bei 35 Stunden liegt, arbeitet eine Schweizer Führungskraft vertraglich oftmals 42 Stunden. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass die französische Führungskraft in der Schweiz lediglich 83.3% arbeitet.

Doch warum hapert es dann mit dem Angebot an Teilzeitstellen? Fragt man in Unternehmensleitungen nach, erhält man meist eine der folgenden Begründungen:

  • Der Koordinations-, Organisationsund Kommunikationsaufwand nimmt zu.
  • Die Erreichbarkeit leidet und die Flexibilität lässt nach.
  • Es führt zur Überlastung der Führungsperson, was die Aufgabenbewältigung negativ beeinflusst.
  • Des Weiteren möchten Unternehmen gute Fach- und Führungskräfte natürlich nicht nur zu 50% beschäftigen, sondern möglichst zu 120%.

Unternehmen sehen aber auch die Vorteile, die es mit sich bringen kann, wenn Führungspersonen im Teilzeitpensum angestellt werden. Den grössten Vorteil sehen sie in der Arbeitgeberattraktivität und einer erhöhten Work-Life-Balance. Aber auch von einer erhöhten Effizienz, der Bindung von Mitarbeitenden und dem Zuwachs an Kompetenz und Ideen ist hier die Rede.

Manche Aspekte lassen sich aber auch nicht direkt als Vor- oder Nachteil einstufen. Während es manche Unternehmen als Nachteil erachten, dass mehr Maturität in den Teams erfordert wird, sehen andere genau das als Vorteil, weil dadurch die Mitarbeitenden der Teams mehr einbezogen werden und auch Stellvertretungen einfacher zu regeln sind.

Führen in Teilzeit ist möglich

Sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt werden, sollte Führen in Teilzeit überall möglich sein. Dabei können Voraussetzungen an die Führungsperson und an das Unternehmen unterschieden werden:

  • Die Führungsperson muss zuallererst Vertrauen in Ihre Mitarbeitenden setzen, denn im Teilzeitpensum kann sie nicht autokratisch mit Kontrolle durch Anwesenheit («über die Schulter schauen») führen. Des Weiteren muss die Führungsperson ihre Mitarbeitenden befähigen, klare Aufgabenbereiche und Verantwortung zu übernehmen. Zudem wird eine offene und strukturierte Kommunikation benötigt.
  • Das Unternehmen muss zuallererst die Möglichkeit und die Akzeptanz zu Teilzeitarbeit auf Kaderstufe schaffen. Zudem müssen die Strukturen so angelegt sein, dass Führungspersonen Entscheidungen delegieren dürfen. Stellenbeschriebe müssen im Umfang auf die am besten geeignete Person angepasst werden und der Teilzeit-Führungsperson muss es möglich sein, ein kompetentes Team aufzubauen, dass Aufgaben aus dem eigenen Stellenbeschrieb übernehmen kann.

Nachdem wir nun die Hintergründe und Voraussetzungen zur Führung in Teilzeit kennen, sollte es da nicht machbar sein, ein Team auch mit 80% und weniger zu führen? Es stellt sich heraus, dass sich viele Unternehmen noch gar nicht mit der Frage auseinandergesetzt haben, ob eine Führungsposition auch im Teilzeitpensum besetzt werden könnte. Zudem wird meist rückblickend geschaut, was die Person für Aufgaben und Verantwortungen hatte und dann eine Nachfolge gesucht.

Doch diese Nachfolge zu finden, wird aufgrund des Fach- und Führungskräftemangels immer schwieriger. Dadurch ist es nicht mehr so leicht, hoch qualifizierte Stellen zu besetzen. Viele Unternehmen haben längst erkannt, dass sie im «War for Talents» auch ihren Mitarbeitenden in Führungspositionen attraktive Anstellungsbedingungen bieten müssen. Dabei sind Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und bezahlte Weiterbildungen bereits allgegenwärtig und stellen das «new normal» dar. Doch wenn sich eine Person auf eine Kaderposition bewirbt und ohne ersichtlichen Grund Teilzeit arbeiten möchte, wird dies von vielen Geschäftsleitungen nicht einfach und ohne Kopfschütteln akzeptiert. Es wird nach dem Grund gesucht, denn warum sollte man Teilzeit arbeiten, wenn man keine Weiterbildung besucht oder pflegebedürftige Angehörige hat. Dies wären temporäre Ereignisse und damit auch die Teilzeitstelle nur vorübergehend.

Teilzeit als Chance betrachten

Wie geht es nun weiter? Egal, ob wir die demografische Entwicklung beobachten oder die Trends rund ums New Work verfolgen – wir befinden uns in einem Arbeitnehmer-Markt. Wenn wir die besten Fach- und Führungspersonen für unser Unternehmen gewinnen möchten, müssen wir beginnen zu handeln und nicht erst dann, wenn wir Stellen nicht mehr besetzen können. Eine Kaderposition in Teilzeit zu besetzen, kann dabei einen möglichen Hebel darstellen. Zum einen vergrössert man damit den Kreis an potenziellen Kandidatinnen und Kandidaten, zum anderen ermöglicht man so auch Personen im Teilzeitpensum sich weiterzuentwickeln, und nicht zuletzt holt man auch hoch qualifizierte Personen zurück in den Arbeitsmarkt.

(Erstpublikation: Management und Qualität Nr. 3-4, April 2023)