Marcel Weder 02/24/2023

Verlässlichkeit und Vertrauen: Tragende Pfeiler in Service und Verkauf

«Auf einen Treulosen hoffen zur Zeit der Not, das ist wie ein fauler Zahn und gleitender Fuss» (Sprüche Salomos, Kap. 25, V. 19). Beide – Verlässlichkeit und Vertrauen – sind zutiefst mit dem Menschsein verknüpft und entsprechen einem ureigenen Bedürfnis, das den Menschen in seinem Sein, bis hinein auch in dessen Arbeitsleben, durchdringt.

Wer von uns ist nicht schon einmal verlassen worden, wer wurde nicht schon in seinem Vertrauen erschüttert? Verlässlichkeit wie auch Vertrauen sind im Geschäftsleben das Fundament, ja die tragenden Eckpfeiler zwischen Kunden und Leistungsanbietern während deren Verkaufs- und Servicebegegnungen. Jene beiden Attribute werden zur Stunde des glücklichen Gelingens als Qualität empfunden. Daraus erwächst Vertrauen als das tragende Band für eine bewährte Kundenbindung. Begeben wir uns auf Spurensuche.

Service: Der Ursprung liegt im Dienen

Qualität in Service und Verkauf entspringt dem alten, jedoch in dessen Gesinnung heute vielerorts fremd gewordenen Begriff des «Dienens» (Wortstamm «servire» [lat.], mit dem franz. «servezvouz» verwandt), aus dem in dessen Kurzform auch das Wiener Grusswort «Servus» hervorgegangen ist, i.e. «Was kann ich Ihnen Gutes tun?». Der Qualität in Service und Verkauf liegt eine ethisch gesittete, innerlich wohlwollende Haltung als Voraussetzung zugrunde. Dieser Voraussetzung wohnt einerseits Qualität in den hervorzubringenden Produkten und zu erbringenden Dienstleistungen inne, was einer Wertschätzung des Kunden gleichkommt. Andererseits trägt Qualität in Service und Verkauf auch den Aspekt der Verfügbarkeit in sich. Die Dienstleistung ist eine Leistung, die Nutzniessenden dienen und einen sprichwörtlichen Nutzen erbringen soll. Qualität ist insbesondere dann von höchster Relevanz, wenn beim Qualitäts- resp. Verfügbarkeitsbedürftigen Not und Dringlichkeit vorherrschen. Hinter der Qualität in Service und Verkauf verbirgt sich das Streben nach Verfügbarmachung, was bei erfüllter Qualität letztlich Lob und Vertrauen hervorbringt. In der heutigen Zeit scheinen aber Lob und Vertrauen verloren gegangen zu sein. Wie können sie wiedergefunden werden?

Früher galt im sogenannten Management-Zieldreieck Preis/Kosten – Zeit/Termine – Qualität noch das Primat der Qualität. Dazu sei angemerkt: Das auf Jahrzehnte gültige Management-Zieldreieck ist heute unabdingbar zu einem Management-Zielviereck mutiert, namentlich ergänzt um den wichtigen Eckpfeiler Nachhaltigkeit/Umwelt/Klima. Doch wodurch ist das frühere Primat der Qualität weitestgehend verloren gegangen? Durch Konkurrenz! Der Volksmund will uns bekanntlich weismachen, dass «Konkurrenz das Geschäft belebt» und dass eben dies «etwas Gutes» sei. Doch was bedeutet und bewirkt im Kern eine Konkurrenz? Konkurrenz zerstört als Erstes die Preise für Produkte und Dienstleistungen, welche der Qualität nun mal geschuldet sind. Aber Konkurrenzsituationen zerstören infolge reduzierter Preise in gleichem Atemzug auch die Qualität selbst gleich mit, was die Kaufleute in Industrie und Wirtschaft nicht mitbedenken. Das Management-Zielviereck verschiebt sich infolge Konkurrenz also hin zum Primat der Preise/Kosten.

Das Verhältnis von Preis und Leistung

Preis und Leistung eines Produkts respektive einer Dienstleistung stehen in einem Verhältnis zueinander, dem sogenannten Preis-Leistungs-Verhältnis. Doch was verbirgt sich hinter diesem gebetsmühlenhaften Mantra, dass das Preis-Leistungs-Verhältnis «gut» sein muss? Wann ist ein Preis-Leistungs-Verhältnis «gut»? Tauchen wir dazu in die Neun-Felder-Matrix der Harvard Business School ein: Die X-Achse zeichnet die Attributdimension «Merkmale/Eigenschaften» von Produkten/Leistungen in den drei Kategorien low – moderate – high auf. Die Y-Achse zeichnet die Attributdimension «Preise/Kosten» für Produkte/Leistungen ebenso in den drei Kategorien low – moderate – high auf. Demzufolge gibt es Produkte/Leistungen mit unterschiedlichen Merkmalen/Eigenschaften, wie auch mit unterschiedlichen Preisen/Kosten. Im Kern müssen sich im Lichte des Fairtrade Preis und Leistung die Waage halten. In der einen Waagschale liegen die jeweiligen Merkmale/Eigenschaften eines Produktes respektive einer (Dienst-)Leistung. In der anderen Waagschale werden die besagten Merkmale/Eigenschaften mit monetärem Gegenwert fair abgebildet und entgolten. Wird nun die Waagschale mit dem Geld durch einen Käufer «angegriffen», muss der Verkäufer auf der Produktseite adäquat reagieren, damit das Gleichgewicht wieder hergestellt ist: «Du sagst mir, was du bezahlen kannst/willst und ich sage dir, was du dafür bekommst. Wenn du nichts bezahlen kannst/willst, bekommst du auch nichts. Falls du viel bezahlen kannst/willst, bekommst du viele Merkmale/Eigenschaften.» Im Lichte der Preis-Leistungs-Ausgewogenheit spielt sich der faire Handel von Produkten/(Dienst-) Leistungen in der Neun-Felder-Matrix folgerichtig und korrekterweise ausschliesslich auf der sogenannten fortschreitenden Diagonalen ab – will heissen: Produkte/(Dienst-)Leistungen mit kleinen/geringwertigen Merkmalen/ Eigenschaften lösen einen geringen/kleinen Preis am Markt aus, Produkte/(Dienst-)Leistungen mit mittlerer Merkmals-/Eigenschaftenwertigkeit lösen mittlere Marktpreise aus und Produkte/ (Dienst-)Leistungen mit hoher Merkmals-/Eigenschaftenwertigkeit erzielen hohe Marktpreise. Klingt einfach und plausibel. Dies ist es auch, und es entspricht regelrecht einer Art Grundordnung, die da lautet: «Was nichts taugt, darf auch nichts kosten – was viel taugt, darf und wird viel kosten.»

Es gibt in alledem natürlich auf Käuferseite die übermütigen Protagonisten, wie sie auch auf Verkäuferseite vorhanden sind, die nur aus Vorteilssucht und Bonusgier versuchen, aus der ausgewogenen Diagonal-Norm auszubrechen, um tatsächlich ein Dreigangfahrrad (mit «Low-price-/Low-leveled-features»-Positionierung) zum Preis eines Automobils (mit «High-price-/High-leveled-features»-Positionierung) zu verkaufen. Solche Ansinnen, in den Deckmantel sogenannter Cleverness gehüllt, sind nicht nur unfair, sondern kaufmännisch verwerfliches Tun. Denn Kaufen – Verkaufen – Serviceleistungen sind stets eine Ethikfrage, wie auch ein Charaktertest für alle Beteiligten: Beide Seiten des Verhandlungstisches müssen sich fragen, wie sie auch in den kommenden Jahren mit dem Gegenüber zusammenarbeiten wollen. Es kann einem Verkäufer durchaus einmal gelingen, ein Dreigangfahrrad zum Preis eines Autos zu verkaufen. Die Konsequenz daraus: Der Verkäufer darf diesem Kunden nie mehr unter die Augen treten. Denn es wird für den Käufer er Zeitpunkt eintreten, dass er – durch Marktvergleiche – irgendwann gewahr wird, dass er einen zu hohen Preis bezahlt hat. Solches ist keine Basis für eine langfristige Zusammenarbeit zwischen Käufer und Verkäufer.

Der Kunde: Früher König, jetzt Partner

In der heutigen komplexen Industrie und Wirtschaftswelt können technische sowie auch kaufmännische Herausforderungen ausschliesslich gemeinsam, nur durch partnerschaftliches Arbeiten gelöst werden. Der Kunde war vielleicht gestern noch König. Heute ist er vielmehr Partner auf gleicher Augenhöhe, unabhängig davon, was Angebot und Nachfrage am Markt in einer Momentaufnahme uns gerade sagen wollen. Selbst Probleme bei der Verfügbarkeit können nur gemeinsam gelöst werden. Beide Seiten des Verhandlungstisches müssen in der Weise miteinander geschäften, dass beide Seiten kaufmännisch auch in zehn Jahren noch am Markt existieren können. Denn auf dieser Langfristigkeit wie auch auf kaufmännischer Ehrenhaftigkeit kann aufgebaut werden: Käufer wie auch Verkäufer können dabei voneinander lernen und lernen einander auch Schritt für Schritt, Auftrag für Auftrag besser kennen und zu verstehen; dies zum Wohle von Qualität und kaufmännischen Umständen (Preis-Kosten-Struktur) der zu entwickelnden, zu produzierenden und zu liefernden Produkte und (Dienst-)Leistungen.

Ferner ist hierzulande eine Art «Angst des Helvetiers vor Korruption» zu beobachten. Es ist erfreulich, dass man darin sensibilisiert ist, doch oft wird dies falsch verstanden im Geschäftsalltag gelebt. Will heissen: Zwei Unternehmen sind nicht korrupt, nur weil sie zwei oder drei Mal hintereinander bei Aufträgen als Käufer/Verkäufer sinnvoll zusammenarbeiten. Wie würden ansonsten die in der Praxis vielbestätigten Maximen der sog. «learning curve» und «never change a winning team» in eine Verhaltenswelt hineinpassen? Und ist es statthaft, wenn Käufer aus lauter «Korruptionsangst» für jeden Auftrag einen anderen Lieferanten «herannutzwertanalysieren» resp. jenen Fast-Auserwählten noch mit zwei oder drei Vergleichslieferanten zugrunde erpressen? Das ist ein Geschäftsverhalten bar jeglichen Vertrauens, wie wenn bspw. bei Eheschluss in der Kirche bereits die Freundin des Bräutigams und der Freund der Braut zum Jawort der Brautleute gleich mit oben am Traualtar sich mit hinstellen, auf dass bei erstbester Gelegenheit der/die eine sein Gegenüber erpressen kann. Wie sollten bei gleicher Manier im Geschäftsleben Vertrauen und Lob für ein Miteinander entstehen, welche ja «Kinder der Verlässlichkeit» geheissen sind?

Fazit: Für ein respektvolles, ehrenhaftes Miteinander in Kauf-/Verkaufsprozessen wie auch bei der Erbringung von Serviceleistungen in der Industrie- und Wirtschaftswelt bedarf es des Redens miteinander. Über das Verständnis füreinander lässt sich erst erkennen, dass man sich aufeinander verlassen kann. Auf dieser Basis können auch in Zukunft Produkte und Dienstleistungen entstehen, welche dem Prädikat Qualität gewachsen sein werden.

(Erstpublikation: Management & Qualität Nr. 1-2, Februar 2023)