Babette Pfander 30.03.2020

Design Thinking und eduScrum – Wagen Sie das Experiment!

Im Kontext von Work 4.0 mangelt es nicht an heilsversprechenden Ansätzen und Methoden. Sich in den zahlreichen Konzepten zurechtzufinden ist nicht leicht.

Von der Vielzahl der 4.0-Konzepte überwältigt, arbeiten nicht wenige Unternehmen einfach mit den herkömmlichen Instrumentarien weiter. Hier sei der Mehrwert von zwei Ansätzen, die mir besonders am Herzen liegen und sich auch in meiner Praxis bewährt haben, in Kürze vorgestellt.

Design Thinking – Herz und Hände denken mit. Design Thinking stammt ursprünglich aus dem industriellen Sektor. Bereits in den 1970er-Jahren wurde es im Dienstleistungssektor angewandt und hat sich seither weiterverbreitet. Folgende Gründe tragen zur Relevanz von Design Thinking über sektorale Grenzen hinaus bei:

Design Thinking stellt den/die Nutzer/in konsequent ins Zentrum der Überlegungen, wodurch die Relevanz der entwickelten Dienstleistungen und Produkte gewährleistet wird. Produkte und Dienstleistungen, auch organisationsinterne, sind bereits von den Nutzern/innen getestet und beurteilt, wenn sie eingeführt werden oder auf den Markt kommen.

Dank grundsätzlich positiver Denkweise sowie klaren Regeln für Kritik und Feedback werden Ideen kombiniert und komplementär weiterentwickelt. Dadurch entstehen Lösungen, die über herkömmliche Denkmuster hinausgehen. Damit werden wir Einsteins Zitat «Probleme kann man niemals mit derselben Denkweise lösen, durch die sie entstanden sind» gerecht. Positives Denken ist eines der sieben Mindsets, die Design Thinking zugrunde liegen.

Die Orientierung an den Mindsets verleiht jeglichem Design-Thinking-Prozess wichtige Handlungshinweise und ist für den Erfolg der Arbeit wesentlich.

Ganz zu Beginn eines Design-Thinking-Prozesses wird dem Zweck von Dienstleistungen und Vorhaben grosse Beachtung geschenkt, d.h., die Frage nach dem Warum wird gestellt, bevor überhaupt das Was oder Wie in Angriff genommen wird. Damit stellen wir sicher, dass nichts aus reiner Routine angegangen wird, sondern einem wirklichen Bedürfnis und/oder einer Marktlücke entspricht.

Der Zusammenhalt und die Intensität der Zusammenarbeit innerhalb von Teams werden durch die spielerische und transparente Interaktion erhöht. Die Zusammenarbeit geht weit über das Delegieren von Teilaufträgen hinaus, es bilden sich tragfähige Beziehungen zwischen den Teammitgliedern, die dem Team in stürmischen Zeiten zur notwendigen Resilienz verhelfen.

Der spielerische Zugang zu Herausforderungen führt zu erhöhter Kreativität in der Lösungssuche und Zufriedenheit der Mitarbeitenden. Die Mitarbeitenden sind nicht mechanistisch funktionierende Zahnräder, sondern werden täglich aufgefordert, mit spielerischer Kreativität beizutragen. Die spielerischen Elemente wie zum Beispiel das Erstellen von Modellen mit Bastelmaterial und Spielfiguren mögen für Neuanwender/innen von Design Thinking unseriös wirken – doch der Schein trügt. Die Diskussionen, die rund um die Aufstellungsarbeit entstehen, zeigen oft unerwartete Ansatzpunkte für denkerisches Neuland auf.

Design Thinking baut auf multidisziplinäre Teams und trägt somit in der Entwicklung von Dienstleistungen und Produkten multiplen Perspektiven und Bedürfnissen Rechnung. Es wird in relativ kurzen Zyklen gearbeitet, für welche jeweils klar definiert ist, wann das Ziel erreicht ist («definition of done»). Die Ziele werden als realistische Mindestanforderungen definiert und Mitarbeitende haben die Möglichkeit, den Weg zum Ziel frei zu wählen. Der psychologische Anreiz, über die Mindestanforderungen hinaus kreative Lösungen zu generieren, ist gross.

Die Qualität der entwickelten Dienstleistungen und Produkte wird grundsätzlich an drei Kriterien gemessen: Relevanz/Wünschbarkeit für den/die Nutzer/in, Machbarkeit und finanzielle Tragbarkeit. Diese drei Kriterien stellen zusammen sicher, dass entwickelte Lösungen realen Bedürfnissen entsprechen und im Markt eine Chance haben.

Wenn Sie zum ersten Mal für die Entwicklung von (internen) Dienstleistungen und Produkten einen Design-Thinking-Prozess in Erwägung ziehen, ist es sinnvoll, zumindest in der Planung eine/n geübte/n Anwender/in beizuziehen. Eine Unterstützung in der Design-Phase wird Ihnen die nötige Sicherheit geben, den Prozess anschliessend selber zu moderieren, sofern Sie mit Prozessmoderation bereits vertraut sind.

eduScrum – selbst orientiertes und selbst motiviertes Lernen am Arbeitsplatz. Der holländische Chemielehrer Willy Wijnands hat vor rund zehn Jahren den aus der Softwareentwicklung bekannten Scrum-Ansatz in den pädagogischen Bereich übertragen und die Bezeichnung eduScrum geprägt.

Wird mit eduScrum unterrichtet, arbeiten Lernende selbst gesteuert in Teams, mit klaren Vereinbarungen und Zielen und Eigenverantwortung. Der Lernprozess beginnt mit einem gemeinsamen Planungsprozess, in welchem auch die Qualitätskriterien transparent gemacht werden. Bei eduScrum entwickeln Lernende in Teams Lernwege für komplexe Probleme. Im Planungsprozess wird auch die Frage des Warums geklärt – d.h., warum ist der vorgegebene Lerninhalt relevant, warum arbeiten wir zusammen usw. Die Lehrperson wird zum Coach, der den Lernenden individuell und in Gruppen zur Seite steht.

Im deutschen Sprachraum hat eduScrum in ausgewählten (Fach-)Hochschulen seinen Platz gefunden, oft für Naturwissenschaften und Mathematik. Hier kommt oft bei E-Learning-Modulen die aufs Individuum fokussierte Form von eduScrum zur Anwendung, das sogenannte «personal eduScrum». Dabei wählt der/die Lernende bestimmte Lerninhalte – der Lernprozess selber vollzieht sich nach den Prinzipien von eduScrum.

Gegenwärtig werden auch in Unternehmen erste eduScrum-Erfahrungen gemacht. Auch hier kommt das «personal eduScrum» zur Anwendung, der Tatsache Rechnung tragend, dass die Gruppe der Lernenden in Unternehmenskontexten oft noch viel heterogener ist als in Schulkontexten. Gleichzeitig hat sich eduScrum in einigen Unternehmen unter dem Namen Lernschrittkonzept in der Ausbildung der Lernenden etabliert. Bei diesem Vorgehen können Lernende die Abfolge von Lerninhalten/Modulen und auch die eventuelle Zusammenarbeit mit anderen Lernenden über eduScrum weitgehend selber steuern. Neben der formalen Führungsperson bekommt jede/r Lernende zusätzlich eine Ansprechperson für Lernfragen.

eduScrum beinhaltet viele Design Thinking Mindsets – diese wiederum stellen wichtige Grundsteine für anstehende Transformationsprozesse in der Arbeits- und Bildungswelt dar.

 

Erstpublikation: Zeitschrift «Organisator 03/2020»