Caroline Aebischer 20.02.2023

Die erste Dissertation an der FFHS

Christof Imhof hat seine Dissertation erfolgreich verteidigt – als erster Doktorand, der an der FFHS und der Universität Bern gemeinsam betreut wurde. Im Interview zusammen mit Institutsleiter Prof. Dr. Per Bergamin spricht er über Erkenntnisse und Erfahrungen.

Christof Imhof, herzliche Gratulation zur erfolgreichen Verteidigung Ihrer Dissertation! Was war das Hauptziel Ihrer Arbeit?
Christof Imhof: Ziel war es, ein Modell zu entwickeln, um Prokrastination bzw. Aufschiebetendenzen im Studium voraussagen zu können. Damit sollte eine Grundlage geschaffen werden, um in einem adaptiven System geeignete Massnahmen zu integrieren.

Wie sind Sie auf das Thema «Prokrastination» gekommen?
Christof Imhof:
In Fernstudien tritt dieses Phänomen einerseits häufig auf und andererseits ist es gut erfassbar. Auf der Lernplattform ist ersichtlich, ob und wie lange jemand online ist und ob die Aufgabe rechtzeitig abgegeben wurde. Das Thema ist zwar gut erforscht, aber es gibt bisher noch keine weit verbreiteten Interventionen zur Prokrastination, vor allem beim adaptiven Lernen noch nicht.
Per Bergamin: Wie Christof erwähnt hat, kommt Prokrastination beim technologiebasierten Lernen häufig vor. Dies liegt nicht an der Technologie, sondern am Fernstudium. Weil man individuell studiert, schiebt man Aufgaben eher auf als in der Gruppe. Ausserdem gibt es viele Distraktoren. Die Studierenden sind oft Mehrfachbelastungen ausgesetzt, sie arbeiten parallel und sind dadurch mehr gestresst.

Was hat Sie am meisten fasziniert in der Erarbeitung Ihrer Dissertation?
Christof Imhof:
Das Thema grundsätzlich. Ich finde es spannend, denn es ist ein extrem häufiges Verhalten. Die Zahlen sagen, dass über 80 Prozent der Studierenden im Fernstudium davon betroffen sind. Dabei ist aber auch zu beachten, dass es ein Verhalten ist, das man im Gegensatz zu anderen negativen Verhaltensweisen eher zugibt.

Welche Forschungsmethoden haben Sie angewendet?
Per Bergamin: Wir haben klassische statistische Methoden angewendet und auch Fragebogen und künstliche Intelligenz eingesetzt.
Christof Imhof: Dabei haben wir geschaut, welche Methode am besten die Voraussage unterstützt, um zu sehen, ob jemand prokrastiniert oder nicht, und ob jemand ein strategisches oder ein nicht-strategisches Aufschiebeverhalten aufweist.

Was ist der Unterschied?
Christof Imhof: Prokrastination wird mit schlechteren Leistungen, mehr Stress und geringerem Erfolg in Verbindung gebracht. Bewusstes Aufschieben dagegen wird als Strategie ohne negative Konsequenzen eingesetzt. Zum Beispiel, wenn man eine Aufgabe zugunsten vom Job bewusst verschiebt.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie mit Ihrer Studie gekommen?
Christof Imhof: Wir haben herausgefunden, dass die objektiven Daten der Logfiles ziemlich zuverlässig sind in den Voraussagen. Sie sind besser dafür geeignet als Fragebogen. Die Verwendung von zusätzlichen Fragebogen bringen nur marginal weitere Erkenntnisse.
Per Bergamin: Ein Fragebogen kann entweder im Voraus zum Einsatz kommen, aber man kann dabei fast keine Voraussage treffen, weil die Wahrnehmungen häufig nicht mit dem tatsächlichen Verhalten übereinstimmen. Man kann die Fragen auch am Schluss stellen. Dies führt aber oft zu Verzerrungen. Darum haben wir die technischen Möglichkeiten genutzt, um objektive Daten zu erheben. Diese Logfiles sind zuverlässig, sogar beim Modell Blended Learning, wo wir keine objektiven Messungen im Präsenzunterricht haben. Christof hat aber herausgefunden, dass wir ausgehend vom Logverhalten Voraussagen für das restliche Verhalten machen können.

Wie können die Erkenntnisse aus Ihren Forschungen für adaptive Lernsysteme genutzt werden?Christof Imhof: In meiner Arbeit habe ich dies nur ansatzweise ausgeführt, aber sie liefert die Basis, aufgrund derer die Interventionen aufgebaut werden könnten. Beim weiteren Forschen wäre es interessant, auf das Zeitmanagement zu achten und die Hintergründe bzw. die Motivation oder die fehlende Motivation zu ergründen.

Per Bergamin – Sie haben die Dissertation von Christof Imhof als Professor und Institutsleiter in Zusammenarbeit mit der Universität Bern betreut. Wie sah das aus ?
Per Bergamin: Es war im Prinzip eine gemeinsame Betreuung zwischen den beiden Hochschulen. Ich hatte die Betreuung vor Ort und der Hauptgutachter war von der Uni Bern. In der Schweiz ist es so, dass man nur an Universitäten promovieren kann. Das heisst, das Begutachtungsverfahren findet an der Uni statt. An Fachhochschulen gibt es aber auch Professoren, die Promotionen an den Unis abnehmen können.

Ist es denn an jeder FH möglich, in Zusammenarbeit mit einer Uni zu promovieren?
Per Bergamin: Wenn die Professoren an der FH die Qualitätskriterien der Uni mitbringen, ist dies möglich. Als Gutachter müssen gewisse Kriterien erfüllt werden wie zum Beispiel die wissenschaftliche Reputation.

Warum ist das Doktorat für die FFHS wichtig?
Per Bergamin: Wir brauchen talentierte Forschende am Institut und stellen deshalb junge Forschende an der FFHS an. Wir möchten ein Karrieremodell anbieten, das jungen Forschenden ermöglicht, nach dem Master hier zu promovieren, denn die Forschungskarriere läuft über die Promotion. Die Forschenden sollen die Möglichkeit erhalten, an der FFHS aufzusteigen. Am UNESCO-Lehrstuhl ist es ausserdem wichtig, dass wir zusammen mit unseren Partneruniversitäten gemeinsame Promotionen durchführen. Deshalb wird eine weitere FFHS-Forscherin ihre Promotion an der North West University in Südafrika machen.