Natascha In-Albon 01.05.2015

Duales Studium für mehr IT-Nachwuchs

Der ICT fehlen Nachwuchstalente. Immer noch entscheiden sich zu wenige für eine Informatik-Ausbildung. Mit dem erstmals gestarteten dualen Bachelor geht die FFHS nun einen neuen Weg.

Die Digitalisierung gehört zu den grössten Herausforderungen unserer Gesellschaft. Unaufhaltsam werden immer mehr Lebens- und Arbeitsbereiche digitalisiert, die Menge an weltweit ausgetauschten Daten wächst seit Jahren exponentiell. Trends wie Cloud Computing, Mobile Business, Big Data fordern spezialisiertes und aktuellstes Fachwissen. Kurzum: Die Informations- und Kommunikationstechnologie (ICT) ist ein hoch dynamisches und zukunftsträchtiges Arbeitsumfeld. Doch wieso streben so wenige Jugendliche eine Ausbildung in der ICT an? Die Branche klagt seit geraumer Zeit, dass der Nachwuchs fehlt und prophezeit negative Folgen für die Schweizer Wirtschaft.

«Ja, wir haben Mühe, offene Stellen zu besetzen», sagt Urs Baumann, Geschäftsführer von inware,
ein auf Webseitenprogrammierung spezialisiertes KMU in Zürich. «Es gibt zwar viele Bewerber, aber passende Personen zu finden ist eine grosse Herausforderung.» So tönt es fast überall in der Branche. Offene Positionen für spezialisiertes Know-how kann auch IT-Dienstleister innobit in Basel teils monatelang nicht besetzen. Laut Catherine Vicente, HR-Verantwortliche, setze sich das Unternehmen darum umso mehr für die Nachwuchsförderung ein. Doch wie den Nachwuchs begeistern für die Materie «Informatik»?

Die Mär von Geeks und Nerds

Einen Höhepunkt der Ausbildungszahlen gab es Ende der 90er-Jahre, als viele via Lehre in die ICT einstiegen. Doch ab 2004 nahmen die Zahlen wieder ab. Erst seit 2008/09 zeichnet sich wieder ein Anstieg bei den Lehrstellen und an den Hochschulen ab. Frauen sind jedoch konstant unterrepräsentiert. Das mangelnde Interesse hat wohl auch mit dem Image des Typs Informatiker zu tun, der einsam mit dunklen Augenringen an komplizierten Programmiercodes tüftelt. Dabei ist dieses Bild längst veraltet. Heutige ICT-Berufe verlangen Teamfähigkeit, Kommunikation und ein hohes Mass an Kreativität. Doch im Gegensatz zur Berufslehre, wo diese Kompetenzen früh zur Anwendung kommen, bleibt das Informatikstudium meist theoretisch und abstrakt. Keine guten Argumente für junge Mädchen und auch nicht für Jugendliche, die während des Studiums bereits wissen möchten, was sie später in der Berufswelt erwartet.

Der Ansatz der FFHS, das Hochschulstudium mit Praxis im Unternehmen zu ergänzen, könnte das IT-Studium für eine breitere Masse attraktiv machen. Es zielt auf Gymnasiasten ab, die nach der Matura Berufserfahrung sammeln möchten und gleichzeitig einen Hochschulabschluss anstreben. Das Praxisintegrierte Bachelor-Studium (PiBS) in Informatik funktioniert im Prinzip ähnlich wie eine Berufslehre: Der Maturand bewirbt sich beim Unternehmen um einen Ausbildungsplatz, sammelt dort praktische Erfahrung und lernt die Theorie während zwei Tagen die Woche an der Hochschule. Die Schweizerische Post war der erste Praxispartner der FFHS und hat das PiBS von Anfang an entscheidend mitgeprägt. «Das neue Modell hilft mit, unseren steigenden Bedarf an Lernenden und Studierenden zu decken. Mit dem Bachelor-Abschluss sind die PiBS-Studierenden eine wertvolle Ergänzung zu unseren Lernenden», sagt Peter Schmid, Ausbildungsleiter technische Berufe bei Berufsbildung Post. «Als Nachwuchskräfte können sie in verschiedenen Funktionen eingesetzt werden, was dem Unternehmen mehr Flexibilität ermöglicht.»

Im vergangenen August ist nun der erste PiBS-Jahrgang mit 18 Studierenden an der FFHS gestartet. Die FFHS konnte neben der Post und PostFinance zahlreiche weitere renommierte Firmen wie Swisscom, Schindler, das Inselspital Bern oder das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) sowie verschiedene KMU als Praxispartner gewinnen.

Fachkräfteinitiative des Bundes

«Das Interesse an einem solchen praxisintegrierten Studiengang kam nicht zuletzt aus der Wirtschaft», sagt das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. Der Bund hat den Fachhochschulen mittels einer Revision der Bundesrats- und Departementsverordnung den Start solcher Bachelorstudiengänge im Rahmen der Fachkräfteinitiative versuchsweise für drei Jahrgänge bewilligt. Man erhoffe sich durch diese Massnahme eine bessere Ausschöpfung des Fachkräftepotenzials in den MINT-Berufen. Bisher mussten gymnasiale Maturanden vor dem FH-Eintritt ein einjähriges Praktikum nachweisen. Diese Hürde fällt nun weg. Ziel ist es, die Verzahnung von Theorie und Praxis zu verstärken. Das Praktikum wird dabei konsequent mit dem Studium verknüpft. Für die Unternehmen bedeutet dies eine massgeschneiderte Ausbildung von Nachwuchskräften und macht die zeitaufwändige Einarbeitung von Hochschulabsolventen hinfällig. Dieser Punkt war für Urs Baumann von inware ausschlaggebend, um PiBS-Praxispartner zu werden: «Wir haben die Möglichkeit junge und motivierte Fachkräfte auszubilden
und für unser Unternehmen zu gewinnen.»

Ganz neu ist die Idee des dualen Studiums nicht. In Deutschland hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg DHBW bereits vor 40 Jahren mit den sogenannten Berufsakademien den Grundstein gelegt. Mehr als tausend duale Studiengänge werden heute insgesamt in Deutschland angeboten, die meisten in
Wirtschaft, Technik und Informatik. Auch wenn sich noch geringe vier Prozent der Maturanden für das duale Studium entscheiden: keine andere Studienform wächst dort schneller. Die angebotenen Plätze sind begehrt, laut einer Umfrage des Bundesinstituts für Berufsbildung bewerben sich durchschnittlich 33 Maturanden auf eine Ausbildungsstelle. Rund 90 Prozent der dual Studierenden schaffen auch den Abschluss.

Überdurchschnittliche Motivation

Das FFHS-Partnerunternehmen innobit bildet bereits seit 16 Jahren Studierende in Kooperation mit der DHBW in Lörrach aus. Catherine Vicente sieht definitiv einen Return on Investment: «Zum einen sind die angehenden Studenten nach der Matura persönlich meist schon relativ reif und selbstständig. Zum anderen können wir sie nach der Einarbeitung in spannenden internen Projekten einsetzen». Die Ausbildung von Studierenden hat innobit deshalb fest in der Personalpolitik verankert.

Der Bund will 2019 das Pilotprojekt evaluieren und dann zusammen mit den Kantonen über das weitere Vorgehen entscheiden. «Die Evaluation soll gemäss Verordnung insbesondere die Auswirkungen auf die Studierendenzahlen sowie auf die Praxisorientierung der Studierenden in den betroffenen Studiengängen analysieren», lässt sich das SBFI zitieren.

Die ersten Erfahrungen der FFHS-Partnerunternehmen stimmen jedenfalls positiv. Die Post habe 32 Bewerbungen erhalten und konnte die zehn angebotenen Stellen gut besetzen, berichtet Peter Schmid, und dies trotz dem zeitlich begrenzten Pilotversuch. Er kann sich durchaus vorstellen, dass das Modell auch für andere Berufe in Frage kommt. Und für Vicente ist klar, dass das duale Modell in der Schweiz Zukunft haben muss: «Es bietet sowohl für die Unternehmen als auch für die Studierenden viele Vorteile. Ich sehe es als den goldenen Mittelweg zwischen der klassischen Berufslehre und einem Hochschulstudium. Genau das, was bis anhin in der Schweiz noch gefehlt hatte.»

Mit dem Praxisintegrierten Bachelor-Studium (PiBS) in Informatik spricht die FFHS gymnasiale Maturanden an, die die Berufsausbildung mit einem Hochschulabschluss kombinieren möchten. Dabei sammeln die Studierenden während zwei bis maximal zweieinhalb Tagen in der Woche Praxiserfahrung im Unternehmen und absolvieren daneben das reguläre Bachelor-Studium an der FFHS. In einem Ausbildungs- und Praktikumsvertrag zwischen Studierenden, dem Unternehmen und der FFHS sind die Rahmenbedingungen festgehalten. Die Studierenden kommen im entsprechenden Fachbereich zum Einsatz und erhalten eine monatliche Entschädigung, die etwas über dem regulären Lernendenlohn liegt. Eine Betreuungsperson im Unternehmen stimmt zudem die Tätigkeiten mit den Studieninhalten ab.