01.10.2017

Unterwegs zum Menschen 4.0

Bildung ist immer dort am wichtigsten, wo sie Grenzen überwinden. Sei es zwischen Generationen, zwischen, Kulturen, Organisationen oder – wie unlängst immer häufiger – zwischen Mensch und Maschine.

Selbstständige Staubsauger, Roboter-Schachmeister, Autopiloten und autonome Lastwagen – überall scheint der Mensch in die Defensive zu geraten. Neue Technologie droht altbekannte Geschäftsmodelle, Jobs und damit das Selbstverständnis des Menschen zu gefährden. Auslaufmodell Mensch? Wie im 18. Jahrhundert, als Erfindungen wie der mechanische Webstuhl ganze Berufsstände überflüssig machten, gehen auch heute Existenzängste um. Wie die Handweber damals, wehren sich Taxifahrer, Trucker und Hoteliers gegen die Technologie, die sie überflüssig zu machen droht.

Die sich wandelnde, digital beschleunigte Gesellschaft macht Angst. «Mit der Entwicklung von künstlicher Intelligenz beschwören wir einen Dämonen herauf», liess sich etwa Tech-Entrepreneur Elon Musk zitieren. Die Angst vor dem grossen Wandel greift um sich: Auch Microsoft-Gründer Bill Gates, Astrophysiker Stephen Hawking oder Oxford-Professor Nick Bostrom warnen vor den möglichen Folgen einer den Menschen übertreffenden künstlichen Intelligenz.

Teamwork mit Maschine

Richard Boyd, der für den US-amerikanischen Flugzeughersteller Lockheed Martin Human- Computer-Interfaces entwickelt hat, sieht intelligente Maschinen positiver. Er ist überzeugt, dass die grösste Herausforderung des 21. Jahrhunderts darin bestehe, die richtige Balance zwischen Mensch und Maschine zu finden. Boyd führt als Beispiel für eine gelungene Mensch-Maschine-Symbiose Piloten an. In ihren relativ langsamen Propellermaschinen steuerten Menschen zu Beginn der Aviatik alle Systeme selber: vom Schub, über die Ruder, bis zur Navigation. Die dreimal schnelleren Düsenflugzeuge aber brachten das menschliche Gehirn an seine Grenzen. Piloten mussten lernen, intelligente Assistenzsysteme und ihre eigenen Grenzen zu akzeptieren. Sie lernten – als Maschinen-Manager – an die Maschine zu delegieren, was für Menschen nicht möglich ist.

Die Grenzen der Flexibilität

Als Direktorin Lehre bei der FFHS kennt Désirée Guntern Kreuzer diese Herausforderung: «Wir sehen, dass sich die Gesellschaft und damit die Anforderungen der Wirtschaft an Arbeitskräfte rasant verändern». Als Arbeitskraft müsse man offen für Neues bleiben und zwar ein Leben lang. Aber auch Bildungsinstitutionen müssen sich der Beschleunigung unserer Gesellschaft anpassen. «Wir müssen schnell sein», sagt die Direktorin Lehre, «als kleine Institution können wir zeitnah auf die Bedürfnisse unserer Kunden reagieren.»

Die FFHS habe sich mit ihrer Erfahrung im Blended Learning auf dem Markt etabliert. Dabei wird teils via Online-Studium teils im direkten persönlichen Kontakt mit den Mitstudierenden und Dozierenden gelernt. Studierende wollten heute möglichst flexibel studieren, ihre Studiengänge stark konfigurieren und selbstbestimmt vorgehen können. «Vor allem bei den Weiterbildungen sind massgeschneiderte, flexibel-planbare Angebote sehr erfolgreich», erklärt Guntern Kreuzer.

Persönlich virtuell

Trotz aller Flexibilität: Der direkte Kontakt mit Mitstudierenden und Dozierenden sei unabdingbar. Erst im direkten Kontakt können kritisches Hinterfragen von Informationen und Quellen, das Öffnen neuer Perspektiven, produktives Kollaborieren oder Sozialkompetenz effizient vermittelt werden. Allerdings bedeute dies an einer E-Hochschule nicht nötigerweise Präsenzunterricht, präzisiert die Direktorin Lehre: «Wir setzen beispielsweise immer mehr auf Online Sessions, weil diese den Studierenden einen direkten Austausch ermöglichen, ohne dass sie zum Campus reisen müssen».

Gleichzeitig schlägt sich die Digitalisierung sehr konkret im Programm der FFHS nieder. Erst im Herbstsemester 2017 hat die FFHS unter Guntern Kreuzers Führung den MAS Industrie 4.0 lanciert. Das Angebot ist direkt von einer Idee inspiriert, die derjenigen von Boyd sehr ähnlich ist: Nicht schnellere Fabrikarbeiter werden ausgebildet, sondern Maschinen-Manager, die erkennen, wie digitale Systeme, Maschinen und Personen zusammenarbeiten müssen.

Schneller Lernen lernen

Um als Maschinen-Manager mithalten zu können, muss der Mensch lernen, schneller zu lernen.
Wie dies gelingen könnte, zeigt die Arbeit von Prof. Dr. Per Bergamin, Franziska Hirt und Matthias Holthaus. Sie untersuchen am UNESCO-Lehrstuhl der FFHS adaptive Lernsysteme. Diese stellen sich flexibel auf das Kompetenz-Level der Studierenden ein und teilen jedem Studierenden individuell angepasste Aufgaben zu. So soll das Lernen effizienter werden.

Auch sie sehen in der Zusammenarbeit mit intelligenten Mechanismen die Zukunft. Damit der Mensch in der zunehmend grösser werdenden Datenflut nicht untergeht, müssen «technologische Innovationen ihn dabei unterstützen, sein Lernverhalten, seine Entscheidungsstrategien und Bewertungsprozesse anzupassen», schreibt das Team in einem Artikel zum Wissensmanagement.

Damit Mensch und Maschine zusammen lernen könnten, so die Forschenden, sei es aber ungemein wichtig, dass «transparent bleibt, welche Daten, Objekte und Verhaltensweisen ein maschinelles System nutzt und analysiert. User sollten nachvollziehen können, wie Entscheidungen im System entstehen». Denn, wer nicht nachvollziehen kann, aufgrund welcher Kriterien ein Assistenzsystem agiert, wird abhängig vom System und dessen Hersteller.
Digital Literacy, also der Erwerb grundlegender digitaler Kompetenzen, bildet den Eckpfeiler einer modernen Gesellschaft, erklärt Lern- Forscher Per Bergamin: «Wer sich privat, im Beruf oder durch Weiterbildungen mit der Funktionsweise digitaler Mechanismen beschäftigt, hat bessere Karten, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen und zu optimieren.»

Bildungswege verkürzen

Mit den Anforderungen der digitalisierten Informationsgesellschaft an die Bürger haben sich aber auch die Erwartungen der Bürger an die Gesellschaft verändert. Die Welt ist ein Webshop geworden: Alles muss jederzeit und möglichst ohne lästige Zwischenschritte verfügbar sein. Bildungsanbieter reagieren mit immer flexibleren Angeboten, stets verfügbaren, adaptiven Lerntechnologien und versuchen auch die analogen Wege durch die Bildungslandschaft leichter passierbar zu machen.

«Wir wollen den Übertritt zwischen den Bildungsinstitutionen möglichst einfach gestalten », sagt dazu Michael Zurwerra, Rektor der FFHS. Deshalb arbeite man mit Höheren Fachschulen – z.B. der ABB Technikerschule und dem Zentrum für berufliche Weiterbildung St. Gallen – der Höheren Kaderschule der Armee aber auch mit einer Vielzahl von Partnern aus der Privatwirtschaft zusammen. Egal, ob Studierende gerade das Diplomstudium abgeschlossen, die Matura bestanden oder die Offiziersausbildung absolviert haben und sich weiterbilden wollen: Sie sollen in der Bildungslandschaft nicht vor roten Ampeln stehen, sondern Autobahn fahren.

Homo discens

Wie schnell ein Unternehmen, eine Institution oder ein Mensch auf digitale Geschwindigkeit beschleunigen kann, ist entscheidend. Wer seine Kunden heute warten lässt – ob beim Besuch der Firmen-Website, am Schalter oder auf dem Weg ins richtige Schulzimmer – verliert. Technologie ist dabei kein Allheilmittel. Aber, so unterstreicht Lernforscher Per Bergamin: «Technologische Hilfsmittel geben uns mehr Beobachtungsdaten als je zuvor. Dadurch können wir Lernenden schneller und präziser Feedback geben und Unterrichtsmethoden viel effizienter optimieren.» Der Lernprozess wird beschleunigt, für Organisationen wie für Menschen.

Tritt der lernende Mensch der Digitalisierung also offen entgegen und nutzt die Vorteile intelligenter Maschinen, werden diese ihn nicht ersetzen, sondern – wie zuvor das Rad, die Glühbirne oder der Verbrennungsmotor – produktiver machen.