01.05.2020

Adaptives Lernen und Fellowships der FFHS

Um den internationalen Forschungsaustausch zu fördern, beteiligt sich die FFHS mit dem UNESCO-Lehrstuhl für personalisiertes und adaptives Fernstudium an einem gemeinsamen Projekt mit der North-West University (NWU) in Südafrika. Die NWU strebt seit 2019 als Partnerhochschule gemeinsam mit der FFHS an, Know-how im Bereich des technologiebasierten adaptiven Lernens aufzubauen. Seit anfangs Februar arbeitet Donnavan Kruger von der North-West University an einem gemeinsamen Projekt der beiden Hochschulen.

Herr Kruger, Sie hatten geplant, während vier Monaten am UNESCO Lehrstuhl des Instituts für Fernstudien und eLearningforschung (IFeL) in Brig zu arbeiten. Wegen der Coronakrise mussten Sie leider bereits früher nach Südafrika zurückkehren. Dennoch interessiert uns: Was waren Ihre ersten Eindrücke vom IFeL in Brig?
Es ist in der Tat bedauerlich, dass ich den grössten Teil des direkten Kontakts meines Forschungsaufenthaltes in der Schweiz mit den Experten des IFeL-Teams verpasse. Aber in den kurzen zwei Wochen, die ich in Brig verbracht habe, konnte ich das ganze Team persönlich kennen lernen. Dies hat den Grundstein für eine persönlichere Zusammenarbeit gelegt. Mein erster Eindruck vom IFeL, aber auch von der FFHS als Institution, war geprägt von Kompetenz, Leidenschaft, Gastfreundschaft und der Erwartung auf die kommende Zeit. Durch die Art und Weise, wie ich innerhalb der ersten Woche aufgenommen wurde, wurde mir bewusst, dass diese Forschungszusammenarbeit ein voller Erfolg sein wird. Ich hatte ein Treffen mit der Personalabteilung, dem IFeL-Team sowie eine Campus-Tour unter der Leitung von Dr. Egon Werlen zu den verschiedenen Abteilungen.

Bedauern Sie es, dass Sie nach Südafrika zurückkehren mussten, oder sind Sie glücklich, bei Ihrer Familie zu sein?
Es ist schwierig, diese Frage mit «entweder/oder» zu beantworten. Eigentlich ist meine Antwort «ja». Ich bedauere es, dass ich so kurzfristig und so verfrüht nach Südafrika zurückkehren musste. In diesen schwierigen und unsicheren Zeiten bin ich aber auch froh, bei meiner Familie zu sein. Südafrika befindet sich seit zwei Wochen im vollständigen Lockdown, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen. Der Lockdown wird noch drei weitere Wochen andauern – sofern er nicht verlängert wird, was wir nicht hoffen. Ich habe mich jedoch auf meinen kurzen Aufenthalt in der Schweiz gefreut und werde gerne bei jeder Gelegenheit zurückkehren.

Haben Sie Gemeinsamkeiten mit dem Forschungsinstitut Ihrer Heimatuniversität NWU festgestellt?
Auf jeden Fall! Ich denke, dies ist auch die Hauptmotivation für die Zusammenarbeit zwischen der North-West University (NWU) und der FFHS. Das Forschungsinstitut für Selbstgesteuertes Lernen (Self-directed Learning, SDL) an der NWU fördert SDL, um lebenslanges Lernen in allen Bildungsbereichen zu ermöglichen – dies indem sie die Strategien und Zusammenhänge erforscht, welche die SDL-Fähigkeiten begünstigen. Die IFeL-Forschungsgruppe untersucht die Anwendung moderner Lernprogramme mit personalisierten und adaptiven Instruktionen. Diese beiden Forschungsthemen passen perfekt zusammen.

Nun arbeiten Sie gemeinsam mit dem Team von Prof. Dr. Per Bergamin von zu Hause aus an Ihrem Forschungsprojekt. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit dem Team über die Distanz?
Homeoffice gehört heute weltweit für die Mehrheit der an Universitäten und anderen Unternehmen beschäftigten Personen dazu. Dank Internet-Vernetzung ist es glücklicherweise möglich, sich von überall her miteinander zu verbinden. Natürlich ist dies nicht optimal, aber zumindest bleiben wir produktiv. Wir haben jede Woche IFeL-Teamtreffen, bei denen alle Teammitglieder über ihre aktuellen Forschungstätigkeiten austauschen. Ausserdem habe ich jede Woche eine Projektbesprechung mit Dr. Werlen und Prof. Bergamin, sodass wir alle auf demselben Wissensstand sind. Da wir mit diesem Projekt eine didaktische Strategie entwickeln, die in einer adaptiven Umgebung angewendet werden soll, führen wir einen Grossteil der Entwicklung auf digitalen Plattformen durch – persönliche Gespräche und Brainstorming finden online statt. In einer Coronavirus-freien Welt hätte ich während meines Aufenthaltes auch mit der Laborarbeit zu tun gehabt. Ein guter Grund für einen weiteren Besuch!

Können Sie uns mehr über das Ziel des Forschungsprojekts erzählen?
Das Hauptziel der Studie besteht darin, zu ermitteln, welche Auswirkungen die Integration von adaptiven, fragebasierten Lernansätzen, in der Fachsprache Inquiry-based Learning genannt, auf die Selbststeuerung der Studierenden hat. Dies im Rahmen eines Biowissenschaftskurses für Lehramtsstudenten. Inquiry-based Learning ist eine aktive Lernform, bei der Inhalte durch Befragung vermittelt werden. Die Studierenden erhalten dabei eine Leitfrage in Form einer Problemdarstellung oder eines Falles. Dazu müssen sie eigene Forschungsfragen entwickeln, um ihre Untersuchung zu realisieren. Anschliessend analysieren und interpretieren sie die Daten, die sie durch intensive Literaturstudien und/oder durchgeführte Versuche erhalten haben. Auf diese Weise eignen sich die Studierenden unter Anleitung eines Moderators die Ziele des Kurses an. Das von uns entwickelte Konzept integriert adaptive Instruktionen in diese Art des Lernkonzeptes, wodurch der Lernprozess stärker selbstgesteuert und personalisiert wird.

Wie sieht ein «normaler Tag» als Forscher in diesem Projekt aus?
«Normal» sieht sicher in der jetzigen Situation für jeden etwas anders aus, je nachdem, wo er oder sie sich befindet. Jedoch gehört es für jeden Forscher, der ein neues Projekt in Angriff nimmt, dazu, intensiv die Literatur im möglichen Forschungsbereich nach konventionellen und neuen Methoden zu durchforsten. Momentan bestehen meine Tage aus Lesen, Schreiben, Reflektieren und Neuschreiben. Das erste Ziel der Studie besteht darin, eine forschungsbasierte Lernintervention zu entwerfen. Dieser Teil des Projekts ist fast abgeschlossen und gelangt bald in die Umsetzung –  das Lernprogramm soll in eine adaptive Umgebung auf eine geeignete Plattform integriert werden, auf der sie den Teilnehmern präsentiert und experimentell sowie in einer Feldstudie untersucht werden kann.

Wer ist an dem Projekt beteiligt? Und wer sind die Teilnehmer Ihrer Studie?
Von Seiten der NWU sind Prof. Christo van der Westhuizen, Leiter des Teilbereichs Blended Learning zur Unterstützung von SDL, und ich am Projekt beteiligt. Im IFeL-Team arbeite ich eng mit Dr. Egon Werlen und Prof. Per Bergamin zusammen, die die Hauptverantwortlichen in diesem Projekt sind. Zu den anderen IFeL-Mitarbeitern, die einen integralen Bestandteil des Projekts bilden werden, gehören unter anderem Christof Imhof, Matthias Holthaus und Tansu Pancar. Das Projekt ist eine Teamarbeit und besteht aus den Inputs und der Zusammenarbeit mehrerer Forscher. Bei den Studienteilnehmern handelt es sich um Studierende der NWU im dritten Studienjahr mit dem Studienschwerpunkt Biowissenschaften.

Wird ein Endprodukt erwartet, das aus der Studie hervorgeht?
Die Umsetzung dieses Projekts wird eine adaptive, forschungsbasierte Lernaktivität auf einer geeigneten Plattform sein, von der wir hoffen, dass sie auch die Selbststeuerung der Studierenden unterstützt. Daher auch der Projektname LASSIE – Learning in Adaptive, Scaffolded, Self-directed and Inquiry-based Environments (Lernen in adaptiven, strukturierten, selbstgesteuerten und fragebasierten Umgebungen.) Das finale Produkt wird ein Prototyp eines Kurses sowie die Publikation der gewonnenen Ergebnisse aus dem Projekt in Form von Artikeln, Konferenzberichten und Konferenzpräsentationen sein.

Was hat Sie motiviert, sich für ein internationales Forschungsstipendium zu bewerben, bei dem Sie mehrere Jahre lang mit Forschern aus anderen Ländern zusammenarbeiten?
Mein ursprünglicher Beweggrund für das Stipendium rührte von meinem Interesse an adaptiver Lerntechnologie her. In verschiedenen Kursen, die ich an der NWU unterrichtete, hatte ich ein digitales Lehrbuch verwendet welches die Studierenden auf einem Smartphone oder Computer lesen konnten und schon einzelne adaptive Elemente beinhaltete. Das Stipendium bedeutet für mich auch, die Zusammenarbeit mit internationalen Experten zu vertiefen, Forschungsmöglichkeiten über den Projektzeitrahmen hinaus zu erhalten und das Gastland (in den Alpen!) zu besuchen. Diese Vorteile motivieren mich nicht nur, sie helfen einerseits meine Forschungskompetenz weiterzuentwickeln und unterstützen andererseits auch meine Forschungskarriere.

Welche besonderen Vorteile und Herausforderungen sehen Sie?
Dieses Forschungsprojekt wäre ohne die vielfältigen Kompetenzen, die das IFeL-Team mitbringt, nicht möglich. Es gibt offensichtliche Vorteile, wenn man mit einem interdisziplinären und internationalen Team zusammenarbeitet. Die Hauptherausforderung besteht darin, Möglichkeiten zu finden, die verschiedenen Levels der fragenbasierten Lernaktivität richtig einzuschätzen und den passenden quantitativen Input für das adaptive Lernsystem bereitzustellen, um so den Lernprozess für jeden Studierenden zu personalisieren. Dazu gibt es viele verschiedene Wege – die Frage ist, welchen wir einschlagen werden. Meine unmittelbarste Herausforderung wird allerdings in den nächsten Wochen sein, zuhause zu arbeiten und dies mit einem sehr aktiven Kleinkind!

Könnten Sie sich vorstellen, die universitäre Zusammenarbeit auch auf einen Studierendenaustausch auszuweiten?
Ein Studentenaustauschprogramm wird sicherlich ein Gewinn sein, sowohl für das Forschungsprojekt, die SDL-Forschungsgruppe der NWU und das IFeL als auch für die Kompetenzerweiterung der Studierenden.