«Pay per use» und «As a service» Geschäftsmodelle: War das schon alles?
Neue Geschäftsmodelle stehen seit Jahren auf der Agenda und Ansätze wie «Pay per use» und «As a service» sind heute weit verbreitet und etabliert. Es stellt sich die Frage, wie wir uns in Zukunft tatsächlich noch differenzieren können.
(Quelle: Aron Visuals – Unsplash)
Der Artikel zeigt anhand des KANO-Modells auf, dass auch Geschäftsmodelle in die Jahre kommen. Um zukünftig Wow-Effekte zu erzeugen, müssen sämtliche Elemente der Wertschöpfungskette – und nicht nur die Preisbildung – auf Differenzierungspotenziale hin abgeklopft werden. «Branchendogmen aufspüren und brechen» lautet das Motto.
Auch Geschäftsmodelle haben ein Ablaufdatum
Ein Geschäftsmodell beschreibt wie ein Unternehmen grundsätzlich funktioniert und wirtschaftet. Dabei umfasst es sämtliche Aspekte der Wertschöpfungskette, sowohl die primär wertschöpfenden Aktivitäten als auch die unterstützenden Elemente. Mit dem rasanten technologischen Fortschritt verkürzt sich auch die Lebensdauer von Geschäftsmodellen. Während Alleinstellungsmerkmale verschwinden, der Margendruck steigt und der Wettlauf um geeignetes Personal sich zuspitzt, werden bewährte Geschäftsmodelle von der Geschwindigkeit des Wandels überholt. Aktuell dominieren kundenzentrierte Geschäftsmodelle, was sich u.a. im Trend zum Aufbau von Ökosystemen widerspiegelt. In wenigen Jahren werden gemäss Experteneinschätzung prädiktive Geschäftsmodelle im Zentrum stehen, die nicht auf (schnelle) Reaktion, sondern Vorhersagen basieren. Die Vision von Amazon «noch nicht bestellt, schon geliefert» zielt genau in diese Richtung.
Abbildung 1 zeigt, dass sich die Geschäftsmodelltrends immer schneller weiterentwickeln. Zwei Ursachen liegen dem Zugrunde: Zum einen der bereits genannte technologische Fortschritt, zum anderen die sich schneller verändernden Kundenwünsche, wie das «Kano-Modell» (Abb. 2) verdeutlicht. Das Kano-Modell in seiner ursprünglichen Form ermöglicht eine strukturierte Erfassung von Kundenwünschen und -erwartungen in der Produktentwicklung. Hierfür bringt es das Erreichen bestimmter Produkteigenschaften in Zusammenhang mit der erwarteten Kundenzufriedenheit und stellt diese in Form von Basis-, Leistungs- und Begeisterungsmerkmalen dar. Über die Zeit betrachtet, verändert sich die Kategorisierung der Eigenschaften, da sich ein Gewöhnungseffekt einstellt. Der Kunde gewöhnt sich an einen gewissen Standard und betrachtet eine bestimmte Produkteigenschaft, welche zunächst Begeisterung auslöste, als Basisanforderung.
Abbildung 1: Die Geschäftsmodell-Evolution – wie geht es weiter in der Zukunft?
Grafik: 2018 Liamont GmbH
Überträgt man diese Erkenntnis auf ein Geschäftsmodell, so ist dieses dann wettbewerbsfähig, wenn dessen Ausprägung den höchsten Erfüllungsgrad der Kundenanforderungen sicherstellt und somit maximale Kundenzufriedenheit erzeugt.
Betrachten wir beispielsweise den «Pay per use»-Ansatz, der durch Rolls Royce und dessen Triebwerksgeschäft Berühmtheit erlangte. Die Geschäftsmodellinnovation bezieht sich hier auf die Preisbildung: Über eine Variabilisierung der Kosten bezahlt der Kunde nur was er auch tatsächlich nutzt. Bezogen auf das Kano-Modell hat dieses revolutionäre Modell zu Beginn Begeisterung beim Kunden ausgelöst, so dass es in nahezu jeder Industrie zu Nachahmern kam. Heute gibt es «Pay per use» genauso für Lackieranlagen in der Automobilindustrie wie auch bei der Ausstattung von Hotels mit Matratzen. Dadurch hat sich das Modell über die Zeit zu einem Leistungs- bzw. Basismerkmal entwickelt und löst beim Kunden kein Wow mehr aus – ein entsprechendes Angebot wird heute schlicht erwartet. Rolls Royce hat daher das Geschäftsmodell weiterentwickelt und bietet eine «garantierte Verfügbarkeit» an – ein neuer Kundenmehrwert mit Begeisterungspotenzial. Fazit: Geschäftsmodellinnovationen sind genauso wie neue Technologien kein Selbstzweck! Sie bedürfen einer sorgfältigen Prüfung der Kundenerwartungen, wofür das Kano-Modell ein gut geeignetes Denkraster darstellt.
Abbildung 2: Das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit von Prof. Noriaki Kano (*1940)
Grafik: FFHS/Neosight AG
Der Weg zu neuen Ansätzen: Branchendogmen aufspüren und brechen
Aber wie kann ein Unternehmen neue erfolgversprechende Geschäftsmodellideen für sich identifizieren? Eine Möglichkeit ist die sogenannte Geschäftsmodellkonfrontation. Hierbei dienen erfolgreiche Geschäftsmodelle aus anderen Branchen als Inspiration für eine mögliche Übertragung auf das eigene Unternehmen (siehe z.B. den St. Galler Business Model Navigator). Allerdings sind diese Modelle per se nicht neu und könnten in Bezug auf das Kano-Modell bereits eine Leistungs- oder Basisanforderung darstellen.
Ein alternativer, sehr spannender Ansatz basiert auf der folgenden Erkenntnis: In zahlreichen Industrien lässt sich feststellen, dass die Hauptkonkurrenten die Marktleistungen mit einer vergleichbaren Wertschöpfungskette und -tiefe erbringen, und die Geschäftsmodelle häufig auch sehr ähnlich sind. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Führungskräfte sich in ihrem Denken stark auf das Konkurrenzverhalten konzentrieren. Die Folge: Unternehmen teilen sich dieselben Lieferanten mit der Konkurrenz, nutzen vergleichbare Organisationsstrukturen und konsultieren dieselben Berater.
Abbildung 3: Branchendogmen-Analyse entwickelt von Neosight AG
Grafik: FFHS/Neosight AG
Es entstehen zunehmend Branchendogmen nach dem Motto: «So betreibt man halt das Geschäft in unserer Industrie!» Daher wundert es nicht, dass der Verwaltungsrat der Swissair an einem seiner letzten Meetings vor dem Grounding die Temperatur des Rotweins auf Langstreckenflügen traktandiert hatte – ein in seiner Wahrnehmung anscheinend relevantes Differenzierungsmerkmal.
Branchendogmen sind allerdings, obwohl häufig so behandelt, kein Naturgesetz und können hinterfragt werden, so wie es die «No-frill»-Airlines eindrucksvoll gezeigt haben: Sämtliche Wertschöpfungsschritte wurden mit dem Ziel einer drastischen Kostenreduktion hinterfragt und völlig neugestaltet. Damit wurde das Airline-Geschäftsmodell revolutioniert. Die Chance liegt also darin, Dogmen (alle machen es gleich) aufzuspüren und mittels Variation einer oder mehrerer Aspekte der Wertschöpfungskette gezielt aufzubrechen.
Auch der Erfolg von IKEA begann mit der systematischen Veränderung des Geschäftsmodells im Vergleich zum klassischen Möbelhändler. Das ursprüngliche Aufbrechen von Branchendogmen bestand im Einbezug der Kunden in die Wertschöpfung – Transport und Montage wird vom Kunden selbst übernommen. Eine Methode zur systematischen Identifikation derartiger Potenziale ist die Branchendogmen-Analyse (Abb. 3).
Die Anwendung der Methode erfolgt in folgenden Schritten:
- Ermittlung der Wertschöpfungskette: Wie sieht Ihre Wertschöpfungskette bei einem typischen Produkt aus? Tragen Sie die einzelnen Phasen horizontal in das Raster ein. Beschreiben Sie, auf welche Art und Weise Ihr Unternehmen die Tätigkeiten ausführt.
- Beschreibung der Konkurrenz: Wählen Sie die wichtigsten Wettbewerber aus. Tragen Sie diese in der vertikalen Achse ein. Beschreiben Sie, wie die Konkurrenten die Wertschöpfung in den einzelnen Schritten erbringen.
- Ableitung von Branchendogmen: Identifizieren Sie Bereiche entlang der Wertschöpfungskette, die alle Anbieter in der gleichen Art und Weise gestalten. Dies gibt einen Hinweis auf ein Branchendogma, das es zu hinterfragen gilt.
- Identifikation von Innovationspotenzialen: Fragen Sie sich: Können Innovationen entstehen, indem Sie diesen Wertschöpfungsschritt bewusst anders gestalten und damit das identifizierte Dogma aufbrechen? Überprüfen Sie, ob Sie mit diesem Ansatz gemäss Kano-Modell tatsächlich ein relevantes Kundenproblem lösen.
Die «Hidden Champions», Weltmarktführer in ihrem Nischenmarkt, machen es vor: Fokussiertes Angebot statt breite Produktpalette, Direktvertrieb statt Zwischenhändler, integrierte Fertigungsprozesse statt Outsourcing sind nur drei Beispiele für gezielte Dogmenbrüche. Der Erfolg gibt ihnen Recht!
Fazit
Auch Geschäftsmodelle durchlaufen einen Lebenszyklus und müssen regelmässig hinterfragt und angepasst werden. Das reine Kopieren bewährter Ansätze wie «Pay per use» greift deutlich zu kurz – nicht das Geschäftsmodell an sich, sondern der damit verbundene Kundennutzen ist entscheidend. Das Denkraster der Branchendogmen kann alternative Impulse für die angestrebte Differenzierung liefern.
(Erstpublikation in der Zeitschrift «UnternehmerZeitung 03 | 2021»)