Marc Beutler 04.05.2021

Virtual Reality in der Ausbildung

Virtual Reality (VR) ist fester Bestandteil der Spiele-Industrie geworden. Aber wie sieht der Einsatz im beruflichen Umfeld aus?

Im «Gartner Hype Cycle for emerging technologies» von 2017 ist Virtual Reality bereits weit fortgeschritten. (1) In den späteren Versionen taucht die Technologie schon gar nicht mehr auf. Ist der Hype also vorbei und VR nun eine breit eingesetzte Technologie? Wie sieht die Nutzenorientierung im Thema Ausbildung aus? Was sind die grössten Einstiegshürden, speziell für KMUs?

Potenzial im Thema Ausbildung

Systeme und Maschinen werden aufgrund zunehmender Anforderungen von Kunden und Lieferanten immer komplexer. Daher ist es zentral, dass Weiterbildungen an der aktuellen Version der Maschine durchgeführt werden können. Hier bietet sich das virtuelle Nachbauen der Lösung und damit verbundenen Ausbildung an. Die virtuellen Umgebungen unterstützen das Lernen der vier Wissensarten (Positionswissen, Strukturwissen, Verhaltenswissen, Prozedurwissen) sehr stark. Es macht Sinn VR bei der Ausbildung von Handwerkern oder Lernenden einzusetzen. Dort kann für Mensch und Maschine gefahrenlos an einem real nachgebildeten Objekt gearbeitet werden. Die benötigte Infrastruktur für solche Ausbildungen ist unter Umständen örtlich weit entfernt oder wird produktiv eingesetzt. Durch eine Ausbildung mit VR werden diese Maschinen nicht besetzt und die Ausbildung kann ortsunabhängig und zu jeder Zeit durchgeführt werden. (2)

Einstiegshürden

Die Kosten für eine Umsetzung von Virtual Reality mit dem Fokus Ausbildung variieren stark. Ich hatte mich zu diesem Thema mit einem der Mitgründer der Firma Bandara ausgetauscht. Die Bandara VR GmbH ist eine Schweizer Unternehmung, welche Kunden hilft VR/AR gewinnbringend einzusetzen. Eine Konzipierung, Umsetzung und Nachbearbeitung einer VR-Ausbildung koste etwa so viel wie ein Auto, wobei es davon abhänge in welcher Preisklasse sich der Kunde bewegen möchte. (3) Diese Investition kann man nun in Relation mit den Möglichkeiten der KMUs setzen. Gemäss einer Erhebung von Ernst & Young von 2018 bei 103 Unternehmen in der Schweiz wurde angegeben, dass knapp 4.9% des Umsatzes in Industrie 4.0 Lösungen investiert werde, davon ca. 40% in Softwaresysteme und–Konzepte. (4) Rund zwei Drittel der KMUs in der Schweiz erwirtschaften einen Jahresumsatz von 500’000 Franken oder weniger. (5) Die Investitionen für eine VR-Lösung wird zumindest für einen grossen Teil der KMUs nicht tragbar sein.

Diese grösseren Investitionen können für KMUs zwar ein Hindernis sein. Jedoch können diese durch drei Möglichkeiten etwas entschärft werden:

  1. Prototyping: Ein einfacher Use Case wird umgesetzt und anschliessend kann man einfach evaluieren, ob sich eine grössere Investition lohnt
  2. Mit Brachenverbänden, Ausbildungsinstitutionen oder Lehrmittelverlagen eine Zusammenarbeit eingehen um einen VR-UseCase um zu setzen
  3. Lizenzierung und Adaption: für viele Bereichen gibt es bereits Lösungen, die eingekauft und allenfalls noch angepasst werden können.

Gegenüber klassischen Lerninhalten sind die erforderlichen Spezialkenntnisse zur Erstellung von VR-Inhalten eine weitere Hürde. Die Maschinen und Systeme sind allenfalls noch als 3D-Modelle vorhanden. Jedoch muss die Aufgabenstellung spezifisch für einen Anwendungsfall erstellt werden. Zusätzlich ist es problematisch, wenn aufgrund von Weiterentwicklungen regelmässig neue Funktionen dazukommen oder gar komplett neue Maschinen eingesetzt werden. Dies bedingt wiederum eine Überarbeitung der Inhalte und damit das entsprechende Fachwissen. Dieses Wissen in der Unternehmung aufzubauen ist bereits für grosse Player schwierig und damit für KMUs kaum realisierbar. 

Virtual Reality konkurrenziert sich in den Unternehmungen mit anderen Digitalisierungsthemen. Viele dieser Themen wie beispielsweise Automatisierung, Künstliche Intelligenz oder Robotik haben oft den Vorteil, dass sie, zumindest im beruflichen Kontext, bereits verbreitet und mehr Erfahrungswerte vorhanden sind. Daher ist es schwer Entscheider für VR-Vorhaben zu gewinnen. KMUs stehen zudem oft am Anfang der Digitalisierung. Hierbei ist man noch mit Grundlagenarbeit, wie beispielsweise «Papierloses Arbeiten», beschäftigt.

    Umsetzung und Use Cases 

    Aufgrund meiner Suche nach Use Cases habe ich festgestellt, dass VR in der Schweiz noch nicht vollständig angekommen ist. Die Unternehmen befinden sich noch stark in der «Exploring»-Phase, wo es darum geht Möglichkeiten von Virtual Reality sowie Use Cases anderer Unternehmen und Branchen kennen zu lernen. Einige grössere Unternehmen sind bereits in der Phase «Deploying» und haben verschiedene Use Cases, auch mit Fokus Ausbildung, umgesetzt. Der nächste Schritt wird es sein, die immersiven Technologien als Begriff in der Digitalisierungsstrategie des Unternehmens zu verankern (Phase «Connecting»). (6)

    Die Berner Kraftwerke sind eines der Unternehmen, welches einen Use Case im Rahmen der Ausbildung von Elektrikern umgesetzt hat. Der im April 2020 erstellte Use Case versucht die Potenziale der Gefahrenminimierung und örtlichen Unabhängigkeit der Ausbildung auszuschöpfen. In der Simulation wird der richtige Einsatz der Schutzausrüstung sowie die Problemerkennung an einer Schaltanlage nachgestellt. Die Simulation wurde für die Oculus Quest in Zusammenarbeit mit der Firma Bandara umgesetzt. Die umfangreiche Abschlussanalyse steht aufgrund Covid-19 noch aus. (7) Ein weiterer Use Case, der die Einstiegshürde der Erstellung der Inhalte, speziell für KMUs und Handwerker, adressiert, ist Craftguide aus Deutschland. Das Unternehmen hat die Vision eine Online-Plattform zu erstellen, welche handwerkliches Fachwissen als VR-Ausbildung breit verfügbar macht. So müssen die Inhalte nicht von den Unternehmungen erstellt werden. (8)

    Fazit

    Virtual Reality in der Ausbildung von Fachkräften, speziell handwerklichen Berufen, hat ein grosses Potenzial. Mittlerweile gibt es einige Use Cases in dem Thema und auch mehr Studien und Erfahrungsberichte aus anderen Branchen, die das Thema stützen. Jedoch sind die Kosten und das notwendige Fachwissen zur Erstellung der Anwendungen, speziell für KMUs, eine zu grosse Einstiegshürde. Eine Online-Plattform für allgemein gültige handwerkliche Ausbildungen, gegebenenfalls gleich mit der Möglichkeit einer Zertifizierung, wäre ein erster Schritt diese Einstiegshürden schrittweise abzubauen. Auch der vermehrte Einsatz von VR Elementen in der Ausbildung von Lernenden wird dazu führen, dass zukünftige Entscheidungsträger bereits mit dem Thema vertraut sind. Der grosse Sprung von einem «Gimmick» aus der Spiele-Industrie zu einer breit eingesetzten Technologie im beruflichen Umfeld ist noch nicht geschafft. Vielleicht wird aber ein Dreisprung anstelle eines Weitsprunges nachhaltiger wirken.

     

    1. Hype Cycle for Emerging Technologies 2017 (21.07.2017): Online im Internet: URL: www.gartner.com/en/documents/3768572/hype-cycle-for-emerging-technologies-2017 (besucht am 21.10.2020)
    2. Horst Orsolits (Hrsg.), Maximilian Lackner, Virtual Reality und Augmented Reality in der Digitalen Produktion, S. 68-69
    3. Urs Langenegger, Mit-Gründer Bandara VR GmbH, persönliche Kommunikation, 16.09.2020
    4. In diesen KMU nimmt die Industrie 4.0 Form an: Online im Internet: URL: www.kmu.admin.ch/kmu/de/home/aktuell/monatsthema/2018/in-diesen-kmu-nimmt-die-industrie-4-0-form-an.html (besucht am 21.10.2020)
    5. Ohne KMU wäre die Schweiz arm: Online im Internet: URL: www.gewerbezeitung.ch/de/news_archiv/ohne-kmuw%C3%A4re-die-schweiz-arm (besucht am 21.10.2020)
    6. The AR Maturity Model by Atheer: Lite Version: Online im Internet: URL: content.atheerair.com/hubfs/ARMM%20White%20Paper%20and%20Models/ARMMLV.pdf (besucht am 21.10.2020)
    7. Urs Langenegger, Mit-Gründer Bandara VR GmbH, persönliche Kommunikation, 16.09.2020
    8. Craftguide, Zukunftsvision: Online-Plattform für Bildungsträger und Maschinenhersteller im Handwerk: Online im Internet:
      URL: www.craftguide.com/de/press/

    Der Autor

    Nach Abschluss seines Bachelor-Studiums in Business Administration stieg Marc Beutler in die IT-Branche bei T-Systems Schweiz ein, erst als Prozessverantwortlicher und anschliessend in der Position eines Teamleiters. Heute arbeitet er in der Mobiliar IT im Bereich Cloud Management als Product Owner und engagiert sich unter anderem für die Digitalisierung und Cloud-Transformation des Unternehmens. An die FFHS haben Ihn das flexible Studienmodell und die Inhalte des Weiterbildungsstudiengang CAS Digitale Unternehmenstransformation gebracht.