Andrea L. Sablone 07.05.2021

Strategie in Corona-Zeiten – ein Ansatz für Geschäftsleitende

Wie lässt sich ein Phänomen wie die Corona-Pandemie in Bezug auf die Unternehmensstrategie einordnen? Gibt es Ansätze zum Umgang mit Situationen dieser Art? Zur Beantwortung dieser Fragen stehen verschiedene konzeptionelle Werkzeuge bereit. Sie helfen Geschäftsleitenden einer Unternehmung, den bewussten Umgang mit Ereignissen aus der Umwelt zu pflegen und Vorbereitungsmassnahmen zu treffen.

In der Umwelt, in der sich Menschen und Organisationen befinden, geschehen ständig menschengemachte und natürliche Ereignisse verschiedener Art und Intensität. Sie verändern die politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ökosystemischen Bedingungen unseres individuellen und organisationalen Handelns.

Die übliche Empfehlung für Unternehmungen, die sich auf Veränderungen in ihrer Umwelt vorbereiten wollen, lautet: in Szenarien denken. Das heisst, verschiedene Entwicklungen zu berücksichtigen, die auf die Tätigkeit der Unternehmung Einfluss nehmen könnten, ihre Wirkung einzuschätzen und Handlungspläne zu entwerfen, welche beim tatsächlichen Eintreffen der vermuteten Entwicklungen zum Tragen kämen. Die häufige Schwäche solcher Szenarien ist, dass diese viel zu nah am aktuellen Geschehen verharren – sowohl im Hinblick auf die Art und Intensität der berücksichtigten Ereignisse als auch auf de- ren zeitlichen Rahmen. Die Organisation bleibt somit gegenüber einschneidenden und zeitlich weit entfernten Ereignissen unvorbereitet. Drei Massnahmen können diesbezüglich vorbeugend wirken:

  1. Weniger wahrscheinlich und sogar als unwahrscheinlich geltende Entwicklungen zu berücksichtigen. Man denke diesbezüglich an negative Zinssätze oder negative Preise für die Erdöl-Futures. Wer hätte sie einige Jahre vorher für wahrscheinlich gehalten?
  2. Konträre Meinungen nicht zum Schweigen bringen. Auch wenn nicht alle Meinungen gleich valide sind, sollten beim Entwerfen von Szenarien querstehende und weniger genehme Sichtweisen über künftige Ereignisse und ihre Folgen eigens deswegen gewürdigt werden, weil sie vom gewohnten Pfad abweichen.
  3. Den zeitlichen Horizont erweitern. Wenn man den Rahmen zu eng setzt (zum Beispiel zwölf bis 18 Monate), geht man das Risiko ein, sogar «sichere» Ereignisse zu vernachlässigen, weil sie zu weit in der Zukunft liegen.

Auswirkungen von externen Ereignissen abschätzen

Wie sollte man nun mögliche, externe Ereignisse strukturiert angehen und systematisch zuordnen? Der im Folgenden vorgestellte Raster dient zur Kategorisierung aufgrund ihrer Auswirkung. Dass dies kein triviales Unterfangen ist, hat zwei Ursachen:

  1. Da die betrachteten Ereignisse in der Zukunft liegen, unterstehen sie der damit einhergehenden Ungewissheit.
  2. Die Wirkung der Ereignisse nicht eindeutig einschätzbar. Kaum eine Veränderung ist für alle Unter- nehmungen gleich relevant oder hat für alle die gleiche Bedeutung. Was für die eine Organisation als Bedrohung gilt, kann für eine andere eine grosse Chance darstellen.

Der Raster umfasst drei Dimensionen, die im Szenario-Würfel dargestellt sind.

Beginnen wir bei den zwei frontalen Dimensionen. Sie entsprechen jeweils dem geografischen (lokal, regional und global) und dem wirtschaftlichen (einzelne, einige oder alle Branchen) Wirkungsradius von Ereignissen in der Umwelt. Eine feinere Unterteilung der Dimensionen ist durchaus denkbar, indem zum Beispiel die geografische Lage präziser aufgeteilt wird. Für eine Schweizer Unternehmung mit einem natio- nalen Fokus ihrer Geschäftstätigkeit könnten etwa die Kantone oder die Sprachregionen relevante Anhaltspunkte bieten. Darüber hinaus ist es zu empfehlen, namentlich die betroffenen Sektoren beziehungsweise die betroffenen Regionen oder Länder zu nen- nen. Dies erhöht zwar die Komplexität der Darstellung, zugleich jedoch auch die unmittelbare Aussagekraft des Gesamtbildes.

Die dritte Dimension des Szenario-Würfels betrifft die zeitliche Wirkung eines Ereignisses. Dasselbe Ereignis kann über verschiedene Zeitspannen unterschiedliche Wirkungen erzeugen. Deshalb müssen die Folgen der betrachteten Umweltveränderung kurz-, mittel- und langfristig konsequent ausgelotet werden. Wie lang diese Zeitspannen sind, ist nicht allgemeingültig. Eine Möglichkeit wäre, sie an den Lebenszyklus der Produkte zu koppeln.

Ein Beispiel, wie ein externes Ereignis kategorisiert werden kann, ist die Atomkatastrophe von Fukushima mit ihren politischen Konsequenzen in den letzten zehn Jahren. Eine grundlegende Gesetzesänderung zuungunsten der Atomenergie kann für die nationalen Betreiber von Kernkraftwerken das Aus bedeuten. Für ihre Wettbewerber aus benachbarten Ländern dagegen könnte dadurch eine Chance für den Export entstehen. Es wären auch etliche weitere Unternehmungen tangiert, die im Bau, Unterhalt oder Abbau von Kraftwerken tätig sind, ebenso die Hersteller von Reaktoren oder auch auf diesem Gebiet tätige Forschungsinstitute. Gleichzeitig würden sich Chancen eröffnen für Energieproduzenten, die andere Technologien einsetzen. Rohstoffproduzenten wären ebenfalls betroffen. Die Lieferanten von Kernbrennstoff würden Abnehmer verlieren, während solche, die Silizium produzieren, womöglich Zusatzmengen vertreiben können, wenn vermehrt auf Solarenergie gesetzt wird.

Die entsprechende Gesetzesänderung wäre ein Ereignis, das zwar ab einem bestimmten Datum gilt, sich jedoch schleichend über mehrere Jahre anbahnt und somit vorhersehbar wird. Eine Unternehmung aus diesem Wirtschaftssektor kann abwarten und hoffen, dass ihr Geschäftsmodell doch noch bestehen bleibt. Sie kann Lobbying betreiben, um ihre Hoffnung zu substanziieren. Sie kann Forschung finanzieren, um die Sicherheit der betriebenen Kraftwerke zu steigern. Sie kann aber auch in andere Energieformen investieren, um sich für einen Wechsel bereitzumachen. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Corona-Pandemie. Es gibt Gewinner und Verlierer unter den Unternehmungen, und nicht alle Unternehmungen aus einer Branche sind in gleichen Massen zum Guten oder zum Schlechten betroffen.

Handlungsspielraum bei Umweltveränderungen

Die Veränderungen in der Umwelt können als Chancen und als Risiken eingestuft werden, die beim Eintreffen zu Bedrohungen mutieren können. Der Spielraum einer Unternehmung lässt sich aber nicht beliebig erweitern. Die geltenden Rahmenbedingungen oder auch die vorhandenen Ressourcen und Fähigkeiten schränken diesen ein. Es ist die Aufgabe der Geschäftsleitung oder des Verwaltungsrats, eine Strategie zu entwickeln, mit der man auf die Zukunft zugeht. Das gilt für unumgängliche Zukunftstrends wie die Di- gitalisierung. Aber eben auch im Hinblick auf einschneidende Ereignisse wie die Corona-Pandemie.

Die obige Matrix dient als Raster für Entscheidungsträger, um den Rahmen der Möglichkeiten übersichtlich abzustecken, in Abhängigkeit des Ziels, das die Umstände zulassen. Es folgen einige Beispiele zur Veranschaulichung des Verhaltens von verschiedenen Unternehmungen angesichts unterschiedlicher Ereignisse und Trends in der Umwelt. Infolge der Corona-Pandemie haben zahlreiche Online-Händler einen wesentlichen Zuwachs ihres Absatzes verzeichnet. So hat beispielsweise Zalando seine vorherrschende Position im Stammgeschäft ausgebaut und «mehr vom Selben» verkauft. Das Potenzial war vorhanden, die Nachfrage zog stark an und eine Diversifikation (Erschliessung neuer Geschäftsfelder) wäre eine unpassende Ablenkung gewesen. Aber auch die Schweizerische Post erfährt einen ansehnlichen Zuwachs ihrer Tätigkeit in der Paketzustellung, weil sie stromabwärts in derselben Wertschöpfungskette angesiedelt ist.

Für stationäre Kleidungsgeschäfte verstärkte dasselbe Ereignis hingegen die langjährige Verschiebung der Kundschaft Richtung Online-Kanäle. Geschäftsleitende versuchten, durch Kostensenkungen den Rückgang der Einnahmen zumindest teilweise auszugleichen. Eine Anpassung des Geschäftsmodells wird indes unumgänglich sein, auch wenn dies nicht zwingend zu einer Eröffnung einer eigenen Webseite führen muss. Es gab Restaurants, die mit Take-away-Angeboten oder Hauslieferungen auf die Schliessung ihrer Lokale reagiert haben. Sie bleiben somit im gleichen Geschäft und versuchen so den Umsatzschwund abzufedern. Für einige Anbieter, etwa für Pizzalieferanten, ist diese Entwicklung schlicht eine Verstärkung dessen, was sie ohnehin schon taten. Für andere ist es derweil ein neuer Distributionskanal, dessen Aufbau auch mit grösseren Unsicherheiten verbunden ist.

Auch Taxiunternehmungen haben die Gelegenheit genutzt, um einen Teil ihrer geschrumpften Dienstleistungen auf diesem Weg zu kompensieren. Gleichzeitig sind aber auch neue Wettbewerber in den Markt gekommen, die sich auf die Esslieferung fokussieren. Ob diese durch Corona stark nachgefragte Form des Konsums eine Chance ist, auch über die Zeit der Pandemie hinaus?

Der schwierigste Schritt für Unternehmen bleibt die Erschliessung neuer Geschäftsfelder. Vor allem dann, wenn ein Ereignis bereits voll im Gange ist. Berühmte Jazz-Musiker liefern hierfür ein gutes Beispiel. Sie haben begonnen, Masterklassen online anzubieten während der Pandemie. Es gab auch Musiker, die ihr Geschäftsmodell anangepasst und auch Konzerte online angeboten haben. Stärker gewachsen ist derweil die Nachfrage nach den Online-Masterklassen. Im Gegensatz zu einem Live-Konzert braucht es hierfür die Atmosphäre eines Konzertsaals nämlich nicht. Durch eine frühzeitige Auseinandersetzung mit künftigen Ereignissen kann man Hinweise über ihre Auswirkung auf das Geschäft der Unternehmung gewinnen. Daraus kann eine Geschäftsleitung ableiten, welche neuen Kompetenzen entwickelt und Ressourcen aufgebaut werden sollen, um besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein.

Durch eine frühzeitige Auseinandersetzung mit künftigen Ereignissen kann man Hinweise über ihre Auswirkung auf das Geschäft der Unternehmung gewinnen. Daraus kann eine Geschäftsleitung ableiten, welche neuen Kompetenzen entwickelt und Ressourcen aufgebaut werden sollen, um besser auf die Zukunft vorbereitet zu sein.

(Erstpublikation in der Zeitschrift KMU Rundschau Ausgabe 1/2021)