David Biner 10.01.2022

Schreibe uns, und wir sagen dir, wie du dich fühlst

Welche Emotionen stecken in Texten von Studierenden? Und wie kann die FFHS diese nutzen, um ihr Angebot zu verbessern? Dr. Egon Werlen sucht die Antworten auf diese Fragen im Walliser Polit-Betrieb.

Die FFHS kennt ihre Studierenden. Und sie kommuniziert mit ihnen direkt über die Dozierenden bei den Präsenzveranstaltungen, über die Lernplattform Moodle, über die Korrespondenz mit der Studierendenadministration. Gleichwohl gibt es Verbesserungspotential im alltäglichen Austausch. Daran arbeitet auch Dr. Egon Werlen.

Er ist Forschungsfeldleiter «Emotionen beim Lesen und Lernen» am Institut für Fernstudien- und eLearningforschung und am UNESCO-Lehrstuhl für personalisiertes und adaptives Fernstudium. Sein Ziel: Die Studierenden besser verstehen; nicht in der nonverbalen Kommunikation oder zwischen den Zeilen, sondern in ihren Zeilen selbst. «Wir wollen aus den studentischen Texten Emotionen rauslesen», umschreibt Egon Werlen sein Projekt, «dadurch könnten wir frühzeitig herausfinden, wenn Studierende unzufrieden sind und möglicherweise allfällige Studienabbrüche antizipieren».

Grosse Wortlisten

Für die emotionale Textanalyse will Egon Werlen auf Wörter zurückgreifen, viele Wörter. Hierfür braucht er eine ständig wachsende Liste von Begriffen, die positiv oder negativ beurteilt werden. Es geht also nicht darum, Gefühle wie Freude oder Ärger direkt zu messen. Die positive oder negative Bewertung, diese sogenannte Valenz, erlaubt es, mit Hilfe von grossen Wortlisten jedem Text einen Wert zu geben, wie positiv oder negativ er ist. Um diese Unmengen von Informationen zu bearbeiten, ist der FFHS-Forscher auch auf die Hilfe von künstlicher Intelligenz angewiesen.

Die gesammelten Wörter werden nach einem gewissen Grad an Intensität gewertet. Emotionen, die durch die Sprache transportiert werden, sind nicht nur positiv oder negativ. Sie wirken auch unterschiedlich in der Kraft ihrer Aussage. Beispiel: Das Wort Krieg und das Wort Zwist sind beide negativ, unterscheiden sich jedoch in ihrer Eindringlichkeit. Das Wort Krieg mit einen Wert von –2.9 vermittelt stärkere Emotionen als etwa das Wort Zwist mit einem Wert von –1.3.

Frühzeitig Frust erkennen

Die Valenz in den studentischen Texten soll dereinst Rückschlüsse geben auf das Studium der Studierenden und wie sie damit zufrieden sind. «Dank der emotionalen Textanalyse würden wir merken, wenn Studierende mit dem Studium oder mit der FFHS hadern würden», sagt Egon Werlen. Wenn regelmässig und häufig negative Wörter mit teils hoher Intensität vorkommen im Kontakt mit den Studierenden, könnte sich die FFHS bei diesen erkundigen und fragen, wo der Schuh drückt und ob man allenfalls weiterhelfen kann.

Forschung im Parlament

Natürlich müsste das Verfahren der Analyse hierfür automatisiert sein. «Und klar ist auch, dass es noch viele weitere Fragen, etwa zum Datenschutz, zu klären gibt», räumt Egon Werlen ein. «Sicher müssen die Studierenden von Beginn an ihr Einverständnis geben, damit wir ihnen bei der schriftlichen Kommunikation auf den Puls fühlen dürften.» Bevor er so weit ist, musste er aber zuerst die Gewissheit erlangen, dass es überhaupt möglich ist, Emotionen in Texten zu messen. Am besten an einem Ort, wo viel geredet und das Gesprochene verbrieft wird und den Werlen bestens kennt.

Egon Werlen untersuchte die protokollierten Reden aus dem Walliser Parlament. Und dies mit der Annahme, dass die Minderheiten im Rat, also die Parteien, die bei parlamentarischen Abstimmungen öfters unterlegen sind, sich eher negativ und mit grösserer emotionalen Erregung äussern. Ziel dieser Studie war es, das Verfahren zu testen mit der die Emotionen in studentischen Texten gemessen werden sollen. Die Untersuchungen aus insgesamt drei Sessionen  hätten gezeigt, dass Liberale und vor allem Christdemokraten, die auch in der Regierung die Mehrheit bilden und lediglich zwischen 11 und 18 Prozent der Abstimmungen verlieren, sich bei den Debatten denn auch eher positiv äussern. Dieser Befund, so Egon Werlen, sei in ähnlichen Studien auch im Ausland festgestellt worden.

Ironie kann man nicht messen

«Natürlich hängt die Valenz sowie der Intensitätsgrad sehr von den politischen Themen ab», gesteht Egon Werlen. Und auch Elemente, die über die Worte hinausgehen und in einem Parlament nicht unwesentliche Rollen spielen, etwa rhetorische Kniffe wie Ironie oder Sarkasmus, seien mit der Methodik nur schwer zu messen. «Gleichwohl sind Unterschiede zwischen den politischen Gruppierungen erkennbar.» Die Erkenntnisse aus dem Walliser Kantonsparlament will der Wissenschaftler nun nutzen, um die Kommunikation zwischen der FFHS und den Studierenden zu verfeinern. Letztere sollen davon genauso profitieren wie die Dozierenden oder die Verwaltung. «Das Ziel der Arbeit bleibt, den studentischen Alltag zu verbessern.»

Politik kann ganz schön emotional sein

Für Egon Werlen war die Arbeit im Parlament höchst aufschlussreich. Zwischen 2017 und 2021 sass er selbst für die Christlichsozialen im Grossen Rat. Für Beobachter von draussen wirkten die Debatten dort sehr gesittet und sachlich, sagt er. Als Direktbetroffener sehe die Sache dann aber meist ganz anders aus. «Wenn man selbst drin hockt und im Vorfeld in den Kommissionen an den Vorlagen mitgearbeitet hat, dann kann so eine Abstimmung dann plötzlich doch ganz schön emotional werden.» Daher sei es gut, dass der Ratsbetrieb so eng getaktet ist und dass weder für Frust noch Freude viel Zeit bleibe. «Kaum wird ein Geschäft verworfen oder angenommen, kommt bereits das nächste. Die Emotionen zeigen sich dann nach der Debatte.»