Christian Koch 29.10.2020

Interview: Die Digitalisierung der Rechtsberatung schreitet voran!

Legal Tech krempelt die schweizerische Rechtsbranche um. Von juristischen Arbeitsstrukturen und Prozessen, organisationalen Personalstrukturen und neuen Geschäftsmodellen, bis zum neuen Verständnis des Juristenberufs. Wir haben mit dem Experten und FFHS-Dozenten Martin Berweger über den Einfluss neuer Technologien auf die Rechtsberatung gesprochen und darüber, wie sich die Branche auf die Veränderungen vorbereiten kann.

Herr Berweger, was versteckt sich hinter dem «Buzzword» Legal Tech?
Es gibt verschiedene Verständnisse von Legal Tech. Allgemein geht es um die Verbindung von Recht und Informationstechnologie (IT). Bereits heute ist Software bei fast allen Rechtsdienstleistungen im Einsatz; das Potenzial ist aber weitaus grösser. Dank der Digitalisierung können juristische Arbeitsleistungen in Zukunft noch viel effizienter und in besserer Qualität erbracht werden. Denn Software wird zuverlässiger und schneller als Juristen rechtliche Dokumente prüfen, Verträge generieren und juristische Fragen klären können. Gestützt auf die Blockchain-Technologie werden mit «Smart Contracts» auch Vereinbarungen in maschinenlesbarer Form abgebildet und selbständig ausgeführt. Legal Tech Anwendungen werden viele menschliche Routinearbeiten ersetzen und es kommen zunehmend automatisierte Rechtsdienstleistungen auf, bei denen Juristen gar nicht mehr mitwirken.

In welchem Stadium befinden wir uns in der Schweiz, was die Digitalisierung von Rechtsdienstleistungen betrifft. Müssen wir uns im internationalen Umfeld verstecken oder übernehmen wir hier eine Vorreiterrolle?
International betrachtet sind die USA derzeit führend im Bereich Legal Tech. Die Schweiz ist unter den Industriestaaten im Mittelfeld. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sich die Rechtsordnungen von Staat zu Staat unterscheiden und sich viele Anbieter auf die grossen und englischsprachigen Märkte fokussieren. Führend ist die Schweiz im Bereich Blockchain, wo sie mit dem Crypto Valley sogar eine weltweite Vorreiterrolle einnehmen konnte. Hierbei punktet die Schweiz mit Innovation, gut ausgebildeten Spezialisten, einem Cluster mit vielversprechenden Blockchain-Projekten, Kapital für Jungunternehmen, hoher Rechtssicherheit, Neutralität und attraktiven Steuern. Diese Standortvorteile könnte die Schweiz generell bei der Digitalisierung von Rechtsdienstleistungen noch stärker ausspielen.

Legal Tech Anbieter Schweiz – Stand 2018

Wo haben Sie in Ihrer Anwaltskanzlei Wenger & Vieli AG bisher auf Aspekte aus dem Legal-Tech-Bereich gesetzt und welche Vorteile bringen diese Massnahmen für Sie und Ihre Mandanten?
Unsere Kanzlei bietet den Digital Lawyer an. Bei dieser Dienstleistung stellen wir kostenlos professionelle Vertragsvorlagen zur Verfügung und über eine Schnittstelle zum Handelsregister können Dokumente für Handelsregistermutationen erstellt werden. Zudem nutzen wir im Rahmen von Unternehmenskäufen fallbezogen Legal-Tech-Applikationen bei der Due-Diligence-Prüfung. Im Rahmen eines Joint-Ventures mit Leva lancieren wir derzeit eine Plattform, welche Start-ups und Investoren bei Finanzierungsrunden die Aushandlung der Verträge, die automatische Erstellung der Dokumentation und die Durchführung der Kapitalerhöhung ermöglicht. Dank diesen Legal-Tech-Anwendungen können wir die Rechtsdienstleistungen zu attraktiven Konditionen anbieten, neue Mandanten ansprechen, eine hohe Qualität gewährleisten und unsere Marktposition stärken. Unsere Mandanten profitieren von effizienteren und effektiveren Rechtsdienstleistungen, welche jederzeit über das Web verfügbar sind und günstiger oder sogar kostenlos angeboten werden.

Auf welchen Technologien basieren die Anwendungen und Services und welchen Aspekt nimmt hierbei insbesondere «AI» ein?
Die derzeit im Einsatz stehenden Anwendungen basieren primär auf der Webtechnologie. AI wird im Rahmen der Dokumentenprüfung bei der Due-Diligence-Prüfung eingesetzt. Diese Technologie wird in den nächsten Jahrzenten aber noch erheblich an Bedeutung gewinnen. Wir prüfen regelmässig, welche Produkte auf den Markt kommen und welche Technologien einen Mehrwert für die Mandanten und uns schaffen können.

Wenn Legal Tech eine Verschmelzung von «legal services und technology» darstellt, welche Skills sollten Akteure im Rechtswesen zukünftig mitbringen? Benötigt es neben dem fundierten Rechtswissen auch vermehrt technische Fertigkeiten, um die digitalen Anwendungen einzusetzen und weiterzuentwickeln?
Die erforderlichen Skills hängen vom Tätigkeitsbereich der Juristen ab. Für den blossen Einsatz von Legal-Tech‑Applikationen genügen allgemeine Anwenderkenntnisse. Weitergehende Fertigkeiten sind erforderlich, um Legal-Tech‑Lösungen zu evaluieren, deren Möglichkeiten und Grenzen zu beurteilen sowie den passenden Anwendungsbereich festzulegen. Schliesslich sind für die Schaffung und Weiterentwicklung von Legal-Tech‑Lösungen fundierte IT-Kenntnisse nötig. So ist es beispielsweise im Bereich Smart Contracts bereits heute wichtig, dass Juristen den Quellcode verstehen, um diesen auf Übereinstimmung mit dem White Paper prüfen zu können. Sehr gefragt werden Personen sein, die juristischen Sachverstand und IT-Expertise kombinieren.

Was empfehlen Sie Ihren Berufskollegen, welche sich entscheiden, im Rechtsbereich in die digitale Welt vorstossen zu wollen?
Juristen, die in die digitale Welt vorstossen, machen bereits vieles richtig. Wichtig ist es, offen zu sein, Legal Tech als Chance und nicht als Bedrohung zu erkennen, neue Produkte auszuprobieren und zu verstehen, wo diese einen Mehrwert schaffen können, sowie sich gezielt weiterzubilden. Ein solches Weiterbildungsangebot bietet das CAS Legal Tech an der Fernfachhochschule Schweiz, das u.a. über die Potenziale von digitalen Ökosystemen/Plattformen informiert und die Technologien Blockchain und künstliche Intelligenz erläutert (Anm. der Redaktion: Informationen zum CAS Legal Tech finden Sie unterhalb des Interviews).

Denken Sie, dass digitalisierte Angebote zukünftig den physischen Kontakt zu Mandanten ersetzen werden oder gibt es Bereiche, die auch in Zukunft von Digitalisierungstrends abgekoppelt sind?
Digitale Angebote haben in bestimmten Bereichen bereits den physischen Kontakt ersetzt und diese Entwicklung wird noch viele weitere Gebiete erfassen. Auch wenn die Rechtsindustrie in Sachen Digitalisierung anderen Branchen hinterherhinkt, sehe ich keinen Bereich, der von der Digitalisierung abgekoppelt bleibt. Legal Tech wird die Tätigkeit der Juristen fundamental verändern. Gleichwohl wird der persönliche Kontakt auch in den nächsten Jahrzenten eine wichtige Rolle spielen. Im Recht gibt es selten eine objektiv beste Lösung, sondern verschiedene Varianten mit Vor- und Nachteilen, welche mehr oder weniger gut zu den individuellen Anliegen des Mandanten passen. Entsprechend wird das Bedürfnis nach persönlicher Rechtsberatung und massgeschneiderten Lösungen auch mit fortschreitender Digitalisierung bestehen bleiben.

Martin Berweger, Wenger & Vieli AG, ist Rechtsanwalt, Notar und Ökonom. Er ist als Dozent für Legal Tech an der Fernfachhochschule Schweiz (FFHS) tätig und verfügt über besondere Kenntnisse in den Bereichen Blockchain, Informationstechnologie sowie Digitalisierung. Martin Berweger war bis Ende April 2020 im Vorstand der Crypto Valley Association (CVA). Er unterstützt Start-ups, KMU und Investoren bei Gründungen, Finanzierungsrunden und Unternehmenskäufen.

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