Dr. Irene Pill 05.01.2023

Kleine Gesten, grosse Missverständnisse

Haben Sie auch schon einmal Daumen und Zeigefinger zu einem «O» geformt, um ganz ohne Worte ein «Okay» auszudrücken? Die Sache hat allerdings einen Haken: Gesten und Mimik werden in verschiedenen Kulturen teilweise völlig unterschiedlich interpretiert. So kann mit dem positiven Handzeichen für «Gut so» in einem anderen Kontext ein «Du Null!» oder noch schlimmer eine üble Beschimpfung gemeint sein.

Die beiden haben sicherlich in allerbester Absicht gehandelt: ein kochschür­­zengewandetes europäisches Königspaar unlängst am Küchentisch eines Wiener Integrationsprojekts. Der sympathisch lä­chelnde Monarch hält ein Nudelbrett in der linken Hand – seine Rechte allerdings formt das besagte «O» und kommuniziert auf nonverbale Weise etwas, was ausgesprochen missverständlich aufgefasst werden kann.

Ganz ohne Worte

So genau weiss man es nicht, zu wie viel Prozent unsere Kommunikation ganz ohne Worte abläuft. Aber eines steht fest: Der grösste Teil unserer Verständigung erfolgt nonverbal. Dieser ist damit weitaus bedeutender, als wir es uns  die oftmals auf das gesprochene Wort fixiert sind  landläufig so vorstellen. Missverständnisse und Fehldeutungen können dabei nicht ausbleiben, insbesondere in internationaler Umgebung. Kultursensible Kommunikation und das Bewusstmachen kultureller Unterschiede sind auch und gerade bei der Körpersprache gefragt.

Andere Kulturen, andere Gesten

Besonders anspruchsvoll ist der mitunter völlig konträre Einsatz von Gesten. Noch mehr Beispiele als das obige «O» gefällig? Wir alle kennen das weitverbreitete «V­Fingerzeichen» für Victory. Aber wussten Sie, dass diese vermeintlich überall geltende Geste beispielsweise in Griechenland eine obszöne Beleidigung darstellen kann? Und dreht man das Finger-­V mit dem Handrücken nach vorne, so könnte das nicht nur von Australiern als «lass mich in Ruhe, verdammt» äusserst übel aufgenommen werden.

Wenn sich jemand mit dem Zeigefinger an die Stirn fasst, ist damit in vielen Ländern ein «Du bist verrückt» oder «Du hast einen Vogel« gemeint, in den USA jedoch ist dies der Hinweis auf etwas ausgesucht Cleveres oder in Frankreich der Verweis, dass man eine Idee hat. Auch unsere wohlwollende Geste für «Ich drücke dir fest die Daumen» kann schiefgehen, denn in Syrien zum Beispiel würde man damit «Du Geizhals» kommunizieren.

Zu völliger Konfusion kann unser alltägliches Kopfschütteln und ­nicken führen. Unser Wiegen des Kopfs wird ganz und gar nicht überall auf der Welt als «Nein» aufgefasst. In Bulgarien, Pakistan und Indien wird damit das genaue Gegenteil zum Ausdruck gebracht. Und um es noch komplizierter zu machen: Unser Zurückwerfen des Kopfes ist nicht immer ein «Ja»; auf diese Weise wird in manchen Ländern verneint.

Emojis versteht doch jeder, oder?

Unternehmen wir noch einen Seitenblick auf Emojis, die in Mails und auf Social Media teils in überbordender Fülle zum Einsatz kommen. Freilich gilt hier ebenso: andere Kulturen, andere Bedeutung! Manche Icons können sogar im selben Land unterschiedlich verstanden werden. Kontext und Kombination mit anderen Zeichen sind also auch hier zu berücksichtigen. Die bei uns nicht selten zu sehende und durchaus freundlich gemeinte winkende Hand für ein «Hallo» oder Verabschieden kann in China den Abbruch der Freundschaft ausdrücken. Ein Daumen hoch  bei uns für Zustimmung oder sogar für «super, toll» eingesetzt  wird unter anderem im Mittleren Osten als anzügliche Ehrenkränkung begriffen.

Selbst das Slightly-­Smiling­-Emoji ist alles andere als eindeutig: In China wird es nicht unbedingt immer als lächelndes, fröhliches Gesicht gesehen, sondern meint unter anderem Missgunst oder Ironie. Nicht einmal klatschende Hände, die wir als virtuellen High five oder als anerkennenden Applaus interpretieren, sind unverfänglich; sie können anderswo als Zeichen für sexuelle Handlungen aufgefasst werden.

Was nun?

Und jetzt, was machen wir mit dieser Erkenntnis, gerade auch im HR-­Management mit dem vielen Publikum­ und Schriftverkehr? Natürlich ist es kaum möglich, sich sämtliche Bedeutungen von Gesten und Zeichen in verschiedensten Ländern zu merken, aber wir können Folgendes beherzigen:

  • Machen Sie sich bewusst, dass das nonverbale Verhalten ein Schlüsselelement interkultureller Kommunikation ist.
  • Halten Sie sich stets vor Augen: Die Lesart einzelner Gesten und Symbole ist kulturbedingt und mit Vorsicht zu geniessen.
  • Seien Sie sparsam mit Gesten und Emojis im internationalen Kontext, insbesondere dann, wenn Sie Ihr Gegenüber noch nicht gut kennen.
  • Möchten Sie ganz sichergehen, schreiben Sie Ihre Gedanken in Mails oder auf Social Media besser aus.
  • Urteilen Sie immer vorsichtig. Sollte Ihnen etwas seltsam oder gar verletzend vorkommen, überlegen Sie zuerst, ob Ihre Interpretation wirklich mit dem Gemeinten Ihres Gegenübers übereinstimmt.
  • Fragen Sie im Zweifelsfall nach.
  • Und nicht zuletzt: Nehmen Sie vieles mit Humor! Auch ein freundlich lächelndes, küchenschurzbewehrtes Königspaar in einem interkulturellen Integrationsprojekt mit einer angedeuteten «Null».
     

(Erstpublikation: personalSchweiz-Magazin, November 2022)