Prof. Dr. Andrea L. Sablone und Tobias Ammann 12.05.2023

Mitarbeitende gewinnen und halten dank Employer Branding

Die Lage auf dem Schweizer Arbeitsmarkt ist wegen des Fachkräftemangels für viele Unternehmen prekär. Es braucht deshalb eine systematischere Herangehensweise für die Mitarbeitendengewinnung als noch früher. Doch wie funktioniert wirksames «Employer Branding»?

Auf dem Schweizer Arbeitsmarkt herrscht akuter Fachkräftemangel (Stellenmarkt-Monitor; 2022). Was inzwischen als Binsenwahrheit bezeichnet werden kann, verschleiert eine noch tristere Realität, denn die hohe Nachfrage betrifft die unterschiedlichsten Berufsgruppen und längstens nicht nur die Fachkräfte. Um dem Umstand Rechnung zu tragen, spricht der Arbeitgeberverband allgemeiner von Arbeitskräftemangel (Wey; 2022). Eine Linderung der angespannten Lage soll künftig die Technologie durch eine höhere Automatisierung oder KI-gestützte Prozesse bringen. In der Zwischenzeit bleiben aber die Unternehmungen darauf angewiesen, dass sie eine ausreichende Anzahl kompetenter Mitarbeitender finden und halten können. Unternehmungen stehen somit vor der Herausforderung, nicht nur Kunden, sondern ebenfalls Mitarbeitende zu umwerben. Von Herausforderung zu sprechen ist keine Floskel, da insbesondere die jüngeren Generationen neue Ansprüche an ihren Arbeitgebenden erheben (PwC; 2020) – Ansprüche, die in Zusammenhang mit dem trendigen Akronym ESG stehen. Ihre Anliegen betreffen nämlich Ökologie und Nachhaltigkeit, gesellschaftliche Entwicklungen sowie die vorherrschende Führungskultur der Organisationen, für die sie arbeiten.

Employer Branding: Was ist das?

Unter Employer Branding versteht man eine systematische und ganzheitliche Herangehensweise, wie die richtigen Mitarbeitenden angezogen, gehalten und motiviert werden. Dazu wird ein Versprechen an die Mitarbeitenden entwickelt und implementiert, das für diese relevant ist, vom Unternehmen glaubwürdig eingelöst werden kann und sich idealerweise von der Konkurrenz abhebt. Nun können die Aufwendungen für ein solches Unterfangen – z.B. die Durchführung einer quantitativen Befragung von bestehenden und potenziellen Mitarbeitenden (→ Sicherstellung der Relevanz), die Erstellung von Konkurrenzanalysen (→ Sicherstellung der Einzigartigkeit) und die Identifikation von Unternehmensstärken und -schwächen (→ Sicherstellung der Glaubwürdigkeit) – rapide in die Höhe schnellen. Unser Ziel mit diesem Artikel ist es, auch Unternehmungen mit beschränkten Ressourcen aufzuzeigen, wie sie diese Herausforderung angehen und hoffentlich bewältigen können.

Damit sie vom grossen Umfang eines solchen Projekts nicht entmutigt werden, sollte sich ihre Employer-Branding-Initiative auf die Beantwortung folgender Fragen fokussieren:

1. Was ist der sinnstiftende Unternehmenszweck (Neudeutsch: Purpose) und wie können die Mitarbeitenden dazu beitragen und einen Unterschied machen?

2. Wie können sich Mitarbeitende im Unternehmen entwickeln? Wie werden sie gefördert?

3. Wie wird eine Unternehmens- und Teamkultur gelebt, die die Zusammenarbeit auf Augenhöhe, Wertschätzung und Vertrauen fördert, damit sich die Mitarbeitenden identifizieren können?

Die Beantwortung dieser Fragen hat sich in den meisten Employer-Branding-Mandaten der Brandoos AG (siehe Autorenangabe) bei Mitarbeitenden als höchst relevant entpuppt.

Wie lässt sich die Relevanz dieser Fragen erklären?

Der sinnstiftende Unternehmenszweck ist für Mitarbeitende aller Altersgruppen wichtig. Er fördert ihre Motivation und ihr Engagement. Er vermittelt den Mitarbeitenden, dass sie Teil von etwas Grösserem sind und dass ihre Tätigkeit einen Sinn über das blosse Verdienen von Geld hinaus erfüllt. Für die Millennials und Gen Z ist er oft ausschlaggebend bei der Wahl ihrer Arbeitgebenden. Doch auch erfahrenere Arbeitnehmende suchen vermehrt nach Unternehmen, die eine positive soziale und ökologische Wirkung haben. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage der FFHS im Auftrag der Oberwalliser Gewerbeverbände, an der sich über 500 Arbeitnehmende beteiligten (Sablone; 2023). Wie eine Studie von Ernst & Young (2020) aufzeigt, zahlt sich ein klar definierter Unternehmenszweck auch für Unternehmen aus, denn daraus folgen nicht nur eine höhere Mitarbeiter-Retention, sondern auch überdurchschnittliches Wachstum und Profit. Weshalb die Mitarbeiterentwicklung einen so hohen Stellenwert für die Mitarbeitenden hat, lässt sich auf das psychologische Grundbedürfnis «Selbstwerterhöhung» zurückführen (Grawe; 2004). Neben der Bindung, der Kontrolle und dem Lustgewinn hat der Mensch das Bedürfnis, seinen Selbstwert zu stärken. Durch die Förderung der persönlichen und beruflichen Entwicklung tragen Unternehmen wesentlich dazu bei, dass Mitarbeitende motiviert und loyal bleiben und sich mit dem Unternehmen identifizieren. Unternehmen, die den Mitarbeitenden einen Entwicklungspfad aufzeigen können, sind somit im Vorteil. Auf diese Entwicklungskarte setzen zum Beispiel die grossen Unternehmensberatungen ganz bewusst und leben dies mit den klaren Entwicklungsstufen Associate, Senior Associate, Manager, Senior Manager, Junior Partner, Partner, Senior Partner auch rigoros vor. Doch auch KMU aus anderen Branchen können ihr Engagement für die Mitarbeiterentwicklung signalisieren, indem sie zum Beispiel eine gezielte Karriereplanung sowie ein Aus- und Weiterbildungsprogramm anbieten.

Auch die dritte Frage zu den kulturellen Aspekten lässt sich auf die psychologischen Grundbedürfnisse zurückführen. Während entgegengebrachte Wertschätzung oder Respekt den Selbstwert stärken, geht es beim Lustgewinn oder auch der Unlustvermeidung vor allem um die Einbettung in das «richtige» Team, das aus Kolleginnen und Kollegen besteht, mit denen man sich gerne abgibt. Entscheidend dafür sind die HR-Aufgaben der Rekrutierung und der Entlassung. Grossartige Unternehmen zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie dem Prinzip «Wer vor Was» (Collins; 2001) Folge leisten: der persönliche Fit geht vor. Das bedingt eine Überprüfung der persönlichen Kompatibilität von Kandidaten mit den Werten der Unternehmung, und zwar bei der Anstellung, aber auch später während des Berufslebens. Verletzt jemand die Werte der Unternehmung, muss das Konsequenzen haben. Eine lasche Politik würde bei der ganzen Belegschaft Gleichgültigkeit einschleichen sowie Vertrauen und Respekt schwinden lassen. Diesem Risiko wird insbesondere bei Arbeitskräftemangel viel zu wenig Rechnung getragen.

Vom Employer Branding zur Employer Experience

Durch die Beantwortung der drei eingangs gestellten Fragen werden die Unternehmungen herausfinden, mit welchen Themen sie sich bei Mitarbeitenden profilieren können. Nach abgeschlossener Analyse geht es im nächsten Schritt um die Formulierung eines Mitarbeiterversprechens, das 3–4 konkrete Mitarbeiternutzen sowie einen zusammenfassenden Claim beinhalten sollte. Das Universitätsspital Zürich hat die Wichtigkeit des Employer Branding bereits vor zehn Jahren erkannt und gemeinsam mit Brandoos das Versprechen «Vielfalt erleben, von den Besten lernen» entwickelt. Als relevante, glaubwürdige und differenzierende Nutzen für Ärzteschaft und Pflege wurden zum Beispiel die «hohe Lernkurve durch komplexe Krankheitsfälle und Lernen von den besten Fachleuten» identifiziert. Auch KMU in gewöhnlicheren Tätigkeitsbereichen können durch Employer-Branding-Initiativen Erfolg haben. Die Oberwalliser Baufirma Ulrich Imboden AG konnte zur Aufmerksamkeitssteigerung und für die Imagepflege der im Betrieb tätigen Berufsgattungen mit der kreativen Kampagne «Wir sind Helden» erfolgreich Mitarbeitende rekrutieren.

Auf die konzeptionelle Definition des Versprechens muss eine konsequente Umsetzung folgen. Das Versprechen muss für die Mitarbeitergewinnung kommuniziert und für die Mitarbeiterretention über den gesamten Mitarbeiterzyklus erlebbar gemacht werden (siehe Abb. 1). Ein hilfreicher Schritt in diese Richtung bildet die systematische Aufzeichnung des Mitarbeitererlebnisses für alle Mitarbeitergruppen über alle Phasen; von der Bekanntheit, der Erwägung, dem Vertragsabschluss, über Bestätigung bis zur Treue. In dieser Bestandesaufnahme geht es um die Identifikation einer Vielzahl an Berührungspunkten mit aktuellen und potenziellen Mitarbeitenden, an denen das Versprechen der Unternehmung umgesetzt sein muss, wie zum Beispiel auf der Webseite oder in einer Social-Media-Kampagne. Anschliessend müssen Initiativen formuliert und priorisiert werden, um das Versprechen einzulösen. Dies ist insbesondere wichtig, falls es sich um ein ambitioniertes Versprechen handelt, das, ohne aktiv zu werden, noch nicht ganz gelebt werden könnte.

Abschliessende Bemerkung

Employer Branding darf nicht als schnelle Kommunikationsübung betrachtet werden. Nur wenn das relevante Versprechen auch erlebbar ist, hat es nachhaltige Wirkung. Während die Kommunikation schneller umgesetzt werden kann, ist das Einlösen des Versprechens eine Daueraufgabe.

(Erstpublikation: Organisator Nr. 3-4, April 2023)

Tobias Ammann

M.A. HSG, ist Gründer und Geschäftsführer der Brandoos AG, einer Unternehmensberatung mit Fokus auf Strategieentwicklung und Positionierung.