Dr. Irene Pill 09.04.2021

«Das gibt sich noch» (Teil 1)

Wenn in global vernetzten Unternehmen das Teamwork nicht optimal funktioniert, hört man oft den hoffnungsfrohen Satz: «Das gibt sich noch.» Schliesslich seien die Mitarbeitenden international aufgestellt und würden ja die Arbeit in multikultureller Umgebung kennen. Woran könnte es liegen, wenn Teams doch nicht zueinander finden und Konflikte sich nicht von selbst erledigen? Wie sollten die Grundlagen für ein dauerhaft erfolgreiches Team aussehen?

Together everybody achieves more

Wer kennt ihn nicht, den Satz vieler Managementtrainings: «Together everybody achieves more», wenn man auf Teamwork zu sprechen kommt. Was sich so einfach liest, bedeutet eine Menge Arbeit, gerade für das HR-Management, bis ein Team so weit aufgebaut ist, dass es effizient und effektiv funktioniert. Und handelt es sich gar um eine multikulturelle Belegschaft, die dazu noch weltweit agieren soll, wird es erst recht spannend.

«Ein Unternehmen ist kein Ponyhof»

Hoch motivierte Teams gelten als Motor eines Unternehmens. Wenn es jedoch um die Förderung von Soft Skills bei Teamarbeit geht, wird nicht selten die Meinung vertreten, dass diese Investition nicht im Vordergrund stehe. Die Mannschaft sei ja auslandserfahren und komme mit jedem zurecht, obendrein wären der Leistungs- und Zeitdruck des Projektalltags enorm,weshalb man nur wenig Möglichkeiten sähe, sich auch noch um Sozialkompetenz zu kümmern.

«Auslandserfahren» allerdings bedeutet nicht automatisch «interkulturell kompetent». Natürlich steht beim Aufbau eines internationalen Teams der fachliche Sachverstand ganz oben; wenn man freilich langfristig erfolgreich agieren möchte, bedarf es unbedingt auch sozialer Fähigkeiten. Zweifellos benötigt Teambuilding Zeit – und obendrein Geld. Aber auch wenn ein Unternehmen kein Ponyhof ist, lohnt es sich dennoch, in den Gruppenbildungsprozess zu investieren. Denn wenn das Fundament stimmt und das Augenmerk auf die zwischenmenschlichen Faktoren gerichtet wird, kann darauf standfest aufgebaut werden. So manche Erschütterung wird das System dann nicht zum Einsturz bringen. Werden dagegen kulturbedingte Unterschiede bei der Zusammensetzung einer Gruppe ignoriert und erfolgen keine Vorbereitungsmassnahmen seitens der Unternehmen, wird es garantiert teurer.

Die besonderen Herausforderungen von multikulturellen Teams

Nicht selten scheppert es in Teams, oder sie scheitern gar, obwohl die Mitarbeitenden fachlich und sprachlich überaus qualifiziert und motiviert sind. Häufig liegt dies am unzureichenden Wissen über die Kulturprägungen in der Gruppe, an ungewohnten Wertvorstellungen, Normen und Verhaltensmustern, die man im besten Fall als «merkwürdig», wenn nicht gar als befremdlich oder störend empfindet. Ganz gleich, ob im Büro, in der Werkhalle, im Homeoffice oder bei einem Auslandseinsatz, entscheidend ist das Bewusstsein dafür, dass man mit teils erheblicher Verschiedenartigkeit rechnen muss. Neben individuellen Persönlichkeitsmerkmalen hat man es immer auch mit sprachlichen Barrieren und Kulturunterschieden zu tun.

Ein weites Feld an Unterschieden

Schon bei dem, was man unter Teamarbeit versteht, gehen die Ansichten mitunter weit auseinander: Asiatische Kulturen beispielsweise sehen als wesentliches Ziel eines Teams die möglichst reibungslose Zusammenarbeit an, während westliche Kulturen eher die Lösungsfindung von Problemen betonen.

Mannigfaltige Perspektiven gibt es auch bei der Arbeitsauffassung (Perfektion oder Pragmatismus, Qualitäts- versus Quantitätsdenken), der Bedeutung von Regeln (penibel genau oder eher situationsbezogen), dem Hierarchieverständnis und den Erwartungen an das Führungsverhalten (autoritär versus kooperativ), der Konfliktlösung (Konfrontation oder Harmonie), dem Zeitmanagement (pünktlich oder flexibel), dem Risikomanagement (hohe oder geringe Unsicherheitsvermeidung), dem Verständnis von Höflichkeit und persönlichem Umgang und nicht zuletzt bei den Entscheidungsprozessen und Problemlösungswegen. Selbst bei der Definition einer guten Besprechung können die Meinungen gegensätzlich sein: Geht es um das zügige und strukturierte Abarbeiten aller Tagesordnungspunkte mit Beschlussfassung oder handelt es sich eher um ein loses Treffen, bei dem die Traktanden lediglich einen groben Orientierungsrahmen darstellen, den man kreativ auslegen kann?

«Zusammenkommen ist ein Beginn, Zusammenbleiben ist ein Fortschritt, Zusammenarbeiten ist ein Erfolg. (Henry Ford)»

Ein Konzept ist nicht immer ein Konzept

Besonders markante Unterschiede lassen sich in der Kommunikation festmachen. Die Einigung auf eine gemeinsame Sprache bedeutet längst nicht, dass auch ein gleiches Verständnis besteht. Schon allein beim Wort «Konzept» gehen die Auffassungen weit auseinander, was darunter zu verstehen ist: Für Schweizer oder Deutsche beispielsweise ist ein «Konzept» ein durchstrukturiertes Papier, das erheblich über einen ersten Entwurf hinausreicht; in den USA oder auch in Frankreich hingegen stellt ein «concept» eine erste Ideenskizze dar. Enttäuschte Erwartungen innerhalb eines Teams sind so unausweichlich.

Andersartige Kulturprägungen werden auch beim Äussern von Kritik deutlich: So sind Irritationen, wenn nicht gar Verletzungen vorprogrammiert, wenn in bester Absicht Feedback oder Beanstandung wie gewohnt offen und direkt kommuniziert wird, das Gegenüber aber, das indirekte Kommunikation durch die Blume bevorzugt, damit vor den Kopf gestossen wird. Die vermeintlich konstruktive Kritik wird dann häufig als destruktiv und das Gesicht raubend gewertet.

Risiken und Chancen internationaler Teams

Beim Aufbau multikultureller Teams warten also komplexe Herausforderungen. Werte und Vorstellungen der Beteiligten sind oft so verinnerlicht, dass dies beinahe zwangsläufig zu Spannungen führt. Die Krux nämlich ist, dass man nicht selten aufgrund des eigenkulturellen Wissens interpretiert und agiert und übersieht, dass die eigenen Kulturprägungen kein für alle verbindlicher Orientierungsrahmen sind.

Dabei sorgt die Verschiedenartigkeit in der Belegschaft längst nicht nur für Konfliktherde, sondern stellt, wenn sie bewusst gestaltet wird, auch eine Bereicherung dar. Unterschiedliche Kulturen und Charaktere können einander gut ergänzen. Die differierenden Erfahrungen, Fähigkeiten und Herangehensweisen fördern mitsamt der Vielfalt an Know-how die Entwicklung kreativer Problemlösungen und innovativer Produkte. So kommt es zu Denk- und Lösungsansätzen, die eine Kultur allein vielleicht nicht hinbekommen hätte. Die Stärken des Mitarbeiterstabs aus mehreren Kulturen addieren sich nicht bloss, sondern können sich multiplizieren.

Wie wäre es zum Beispiel mit einem Mix aus Schweizer Gründlichkeit und amerikanischem «easy-going»? Schweizer Teammitglieder bevorzugen sehr gründliche Planungsmethoden, Mitarbeitende aus eher risiko- und experimentierfreudigen Kulturen wie den USA könnten sich dadurch eingeengt fühlen. Nicht immer wird man sich auf einen allgemein verbindlichen Standard einigen können, aber schon das Bewusstsein dafür, dass es «viele Wege nach Rom» gibt, kann Frustrationen auf ein Mindestmass reduzieren. Letztlich geht es darum, die Hindernisse im Blick zu haben, jedoch auch das mannigfaltige Potenzial zu erkennen und die Gruppeneffektivität auszubauen.

«Das gibt sich noch.» Im zweiten Teil erfahren Sie, mit welchen Massnahmen die Zusammenarbeit von internationalen Teams gestärkt werden kann und wie das HR-Management den Prozess am besten unterstützt.

(Erstpublikation in der Zeitschrift «personalSCHWEIZ» im März 2021)