Marcel Weder 20.03.2023

Warum Projekte nie durch einen Prozess abgebildet werden können

«Projekt und einfach» geht nicht zusammen. Warum bloss kann ein Projekt nicht wie ein Prozess gehandhabt werden? Die Begründung: Der Unterschied zwischen «Projekt» und «Prozess» liegt im Unvorhergesehenen von Projekten, einem Phänomen, das durch den Menschen selbst hervorgerufen wird. Eine Spurensuche nach den Konsequenzen für Projektleitende.

Viele Projektleitende mögen aufgrund von Projektschwierigkeiten durchaus händeringend durch die Firmengänge stürzen und sich dabei fragen: Warum bloss kann ein Projekt nicht wie ein Prozess gestaltet und gehandhabt werden? Das wäre so viel einfacher. Doch die Erfahrungen aus der Praxis lehren uns: «Projekt und einfach» gehen ebenso wenig zusammen wie Feuer und Eis. Als Begründung dafür gibt die entsprechende Fachliteratur jedoch nur wenig her, denn der Grund für den Unterschied zwischen Projekt und Prozess liegt in der sogenannten «Uncertainty» von Projekten, also im Unvorhergesehenen – ein Phänomen, das durch den Menschen selbst hervorgerufen wird. Im Folgenden geht es um eine Spurensuche nach den Konsequenzen für alle Projektleitenden, wenn sich der Mensch im Projekt tummelt und im Prozess eben nicht.

Der Prozess per Definition

Betriebswirtschaftlich effizient gestaltete Prozesse bieten nur einen sehr kleinen Handlungsspielraum für den beteiligten Menschen. Erste Arbeitsabläufe wurden bereits vor der Einführung der Fliessbandproduktion durch Henry Ford (1863 bis 1947) im Jahre 1913 ausgestaltet. Dem Primat folgend, mit systemisch organisierter Arbeit massentaugliche Produkte in hohen Stückzahlen hervorbringen zu können, engagierte Ford bereits früh den erfahrenen Arbeitswissenschaftler und Verhaltensforscher Frederick W. Taylor (1856 bis 1915), der die Arbeits­ und Verhaltensweisen der «Ford’schen» Mitarbeitenden in Umgang und Handhabung des Fliessbandes untersuchte. Taylor begegnete den Fliessbandarbeitenden einfachster Sozialschichten mit Misstrauen und unterstellte ihnen, dass jene faul und unwillig seien und nur des Geldes wegen zur Arbeit kämen.

Dem unterstellten Misstrauen folgend, definierte Taylor für die Arbeitenden minimale Arbeitsspektren mit allerkleinster Verantwortung und mit geringster Fehlhandlungsmöglichkeit. Der nach dieser Arbeitsgestaltungsweise benannte und die angelsächsischen Industrienationen bis heute prägende Taylorismus und das darin zugrunde liegende Prinzip der «economic men» waren geboren. Doch Taylor irrte damit. Es vergingen noch mehr als 40 Jahre, bis in der zweiten Hälfte der 1950er­Jahre die Verhaltensforscher und Arbeitspsychologen Robert Tannenbaum (1915 bis 2003) und Warren H. Schmidt (1920 bis 2016) sowie auch Abraham H. Maslow (1908 bis 1970) die damaligen Erkenntnisse Taylors mit fundierten Motivationstheorien widerlegten.

Gemäss Tannenbaum und Schmidt «… werde der Mensch als positives Wesen, arbeitswillig und ­freudig geboren. Falls diese positive Arbeitsgesinnung im spä­ teren Leben jedoch nicht mehr zutreffe, sei dies nicht eines seelischen Geburtsfehlers ursächlich, sondern dann sind zumeist Negativerlebnisse durch Mitmenschen für das Abhandenkommen von Arbeitsfreude verantwortlich. Der Mensch gehe nicht nur des Geldes wegen zur Arbeit, sondern weil er darin auch soziale Kontakte erfahre, was ihn erfreue». Die Erkenntnisse von Tannenbaum, Schmidt und Maslow beförderten die Sichtweise auf den Menschen im Lichte der «social men», woraus der Mensch fortan auch auf Arbeit als soziales Wesen verstanden sei.

Der ersetzbare Mensch

Um die Jahrtausendwende erhöhte sich in den westlichen Industrienationen – aufgrund der Globalisierung, damit einhergehender grösserer Konkurrenz und einkehrender Digitalisierung – der kaufmännische Druck in den Unternehmen. Dies wiederum rief eine starke Straffung von Werk­ und Handlungsprozessen als betriebswirtschaftliche Verteidigungslinie in den Unternehmen hervor. Unvermutet traten daraus die Geister Taylors wieder auf den Plan, namentlich den Menschen arbeitsspezifisch auf ein Minimum reduzierend, gar neutralisierend, letztlich gänzlich aus dem zyklischhochdetailliert definierten Gefüge von Prozessen hinauszuorganisieren. Wo arbeitende Menschen nur noch geringfügigste Wirkung auf einzelne Handlungsschritte haben, ist das Einfallstor für die Digitalisierung gross und der Mensch als Arbeitskraft und Produktionsfaktor zweifelsohne ersetzbar.

Das Projekt per Definition

Ein Projekt ist ein zweckgebundenes Vorhaben mit einem definierten Anfang und einem definierten Ende. Die damals verantwortliche Person der Schweizer «Expo 01» hatte sich einmal vor die Fernsehkamera gestellt und attestiert: «Die Prozesse der Expo 01 seien auf gutem Wege» – ein prominenter Irrtum in der Denkweise, woraus letztlich die «Expo 02» wurde. Selbst ein solches Vorhaben ist nichts anderes als ein Projekt, weil jenem buchstäblich Einmaligkeitscharakter – wie dies der Natur von Projekten entspricht – innewohnt. Dieser Einmaligkeitscharakter, wie auch deren Anfang und Ende, verleihen Projekten eine Art Wegstrecke, die zu durchlaufen ist – im Gegensatz zur zyklischen, repetitiv­wiederkehrenden Wirkung von Prozessen. Lassen Sie uns darüber nachdenken, weshalb es überhaupt Projekte bedarf und was Projekte von Prozessen unterscheidet.

Ein Projekt ist eine spezifische Form des Denkens und Handelns, wenn sogenannte «Herausforderungen, Aufgaben und Probleme» anstehen, die gelöst werden sollen. Wir bewegen uns dann im «Ausserordentlichen» – ausserhalb der Ordnung also, während man sich demgegenüber in Prozessen innerhalb der Ordnung aufhält. Die Attributkette «Herausforderung – Ausserordentlichkeit – Einmaligkeitscharakter» sublimiert, dass für die spezifische Konstellation dieses Attributbündels keinerlei Erfahrungen vorliegen, um zu Lösungen zu kommen.

Alles, was wir im Rahmen der Lösungserdenkung und ­erarbeitung tun, unternehmen wir als Projektinvolvierte für besagte spezifische Aufgabe zum ersten Mal. Dabei begegnen wir «Unvorhergesehenem und Nichtgeplantem», und zwar jeden Tag und zu jeder Stunde des Projekts. Doch woher kommt dieses Unvorhergesehene in Projekten? Es entstammt dem Menschen selbst, der sich in Projekten tummelt. Und das ist der gravierende Unterschied zwischen Projekten und Prozessen: Der Mensch, der aus effizientesten Prozessen «neutralisiert» wurde, jedoch im Rahmen von Projekten nicht hinauskomplimentiert werden kann und deshalb dort während Projekten in seiner unvollkommenen Wesensart voll zu Buche schlägt.

Problem und Lösung

Dies führt uns auch zur Begründung, weshalb Projekte nie durch Prozesse abgebildet werden können. Folgt man Forschenden der Harvard Business School, gilt es festzuhalten, dass Herausforderungen und Probleme nicht nur durch Fachlichkeit gelöst werden können, sondern einerseits durch Methoden und anderseits durch die Hinwendung zum Menschen.

Aus diesen Erkenntnissen ist das sogenannte Problemlöse­Panorama als Handhabungsmaxime für Projekte hervorgegangen. Diese besagt, dass Herausforderungen und Probleme – statistisch betrachtet – lediglich zu fünf bis sieben Prozent durch fachliches Wissen gelöst werden können. Jedoch bereits zu 10 bis 15 Prozent können Lösungen durch Anwendung von Methoden herbeigeführt werden. Das Lösen von Problemen findet sich aber zu 70 bis 80 Prozent darin, indem man sich mit dem Menschen befasst. Nun sind wir aber in der westlich­industriellen Hemisphäre zu 70 bis 80 Prozent in fachlicher Hinsicht ausgebildet, zu 10 bis 15 Prozent in Methodiken geschult, und nur gerade zu fünf bis sieben Prozent darin bewandert, uns mit dem Menschen gedeihlich zu befassen.

Es ist also richtig, dass wir uns, um mit Projekten erfolgreich sein zu können, mit Methoden und Menschen eingehend befassen. Mithin tut für Projektleitende die Aneignung spezifischer Ausschnitte aus dem Themenkreis Psychologie (Arbeitspsychologie, Wirtschaftspsychologie) Not, um den Menschen als Eckpfeiler für tragfähige Lösungen auf den Projektweg mitzunehmen.

(Erstpublikation: KMU Magazin, Nr. 01-02, Februar 2023)