Melanie Biaggi 15.06.2023

«Sehnsüchte und Träume bleiben die gleichen»

Chiara Zufferey, Lernende Mediamatikerin an der FFHS, gehört zur Generation Z. Rektor Michael Zurwerra zu den Babyboomern. Die beiden trennen nicht nur mehr als 40 Jahre, sondern auch verschiedene Perspektiven, Snapchat und ihr Verhältnis zur Arbeit. Ihre Werte und Wünsche gleichen sich aber. Ein Generationengespräch.

Chiara, nächstes Jahr können Sie zum ersten Mal an einer Abstimmung teilnehmen. Wie werden Sie sich informieren?
Wenn ich Fragen habe, sind meine Eltern meine erste Anlaufstelle. Vor meiner ersten Abstimmung werde ich mich sicher auch im Internet über die Vorlagen informieren.

Michael, können Sie sich noch an Ihre erste Abstimmungsvorlage erinnern?
An die erste Vorlage kann ich mich nicht mehr erinnern, aber an die Stimmung, die zu meinen Unizeiten herrschte – es war eine politische Zeit, geprägt von einer Aufbruchstimmung. Nach meinem Universitätsabschluss wurde ich, zurück im Wallis, in den Gemeinderat von Ried-Brig gewählt. Als junger Mensch war ich sicher politisch engagierter als heute.

Aufbruchstimmung herrscht zurzeit eher weniger. Eine Umfrage Anfang 2023 zeigte, dass die Jungen unzufrieden sind. Chiara, stimmt das?
Das erstaunt mich eigentlich. Ist es doch ein grosses Privileg in einem Land wie der Schweiz aufzuwachsen, leben und arbeiten zu dürfen. Ich jedenfalls bin zufrieden. Es kann aber sein, dass sich junge Walliserinnen und Walliser Gedanken um ihre Zukunft machen und Angst haben, dass sie für ihre berufliche Karriere in einen anderen Kanton ziehen müssen.

Auch die Corona-Pandemie hat Ihrer Generation zugesetzt?
Chiara:
Ja, das stimmt. Von einem Tag auf den anderen waren wir isoliert. Alles lief nur noch per Video, ob Schule oder Treffen mit Freunden. Zurück in der Schule mussten wir Masken tragen. Ich empfand diese Zeit als sehr einschränkend und auch belastend.
Michael: Für alle Generationen war diese Zeit einschneidend. Aber wir mussten auf viel weniger verzichten als die Jungen.

Chiara, Sie stehen ganz am Anfang Ihrer Berufskarriere. Wagen wir einen Blick in die Zukunft. Wie sieht diese aus?
Meine Ausbildung ist mir sehr wichtig. Ich wünsche mir, später einen Beruf zu haben, von dem ich nicht nur leben kann, sondern der mich auch erfüllt. Aber meine Freizeit ist mir genauso wichtig: Freunde treffen, Hobbys nachgehen, richtig abschalten vom Berufsalltag.

Michael, Sie sind sicher ein Workaholic?
Wenn ich mir überlege, ich hätte meinen Eltern nach dem Studium gesagt, ich suche mir jetzt meinen ersten Job, aber ich wolle nur 80 Prozent arbeiten, die hätten die Welt nicht mehr verstanden. Auch die Arbeitgeber waren damals noch nicht auf Teilzeitarbeit vorbereitet. Ich habe mir neben dem Beruf auch immer den Freiraum gelassen, noch andere Herausforderungen anzunehmen oder war offen für verschiedenste Projekte. So war mein Engagement in der Politik, im Militär oder für soziale Anliegen, wie etwa für unser Hilfswerk «Unsere Spende», für mich immer eine Bereicherung und Abwechslung. Daher würde ich mich nicht als Workaholic bezeichnen, sondern als einen Menschen, der ganz einfach das liebt, was er tut.

Und wie denken Sie heute darüber?
Die Zeit hat auch mich und meinen Blick auf meine Berufskarriere verändert. Heute würde ich gerne sagen, dass es die Jungen besser machen. Mir scheint, dass sich die jüngeren Generationen mehr Zeit für die Familie, Freunde und ihre Interessen nehmen, und das finde ich gut. Wir alle sollten uns mehr Zeit für die wichtigen Dinge im Leben nehmen.

Früher war nicht alles besser. Michael, ich nehme aber an, dass Sie dennoch froh sind, ohne Handy Ihre Jugend verbracht zu haben?
Definitiv. Ich glaube, wir waren ein ganzes Stück freier als die Jungen heute. Unsere Eltern konnten uns telefonisch nicht erreichen und hatten erst Angst, wenn wir nicht zur vereinbarten Zeit nach Hause kamen. Verabredungen waren früher viel verbindlicher als heute, kurzfristig absagen war schwierig. Mit der Technik verändert sich auch eine Gesellschaft. Heute ist alles viel spontaner.

Heute tragen wir mit dem Smartphone einen Computer im Hosensack. Eltern können Kinder orten, wir sind jederzeit erreichbar. Ist das nicht stressig, Chiara?
Meine Eltern vertrauen mir. Sie rufen mich nicht ständig an oder fragen, wann ich nach Hause komme. Meine Generation ist digital sozialisiert. Wir kennen es nicht anders. In der Schule beispielsweise werden oft keine Arbeitsblätter mehr verteilt, wir arbeiten mit digitalen Tools. Oder wir nutzen Social Media. Wir haben gelernt, mit diesen Kanälen umzugehen.

 

Instagram, TikTok und Co. Sind das nicht alles nur Scheinwelten?
Chiara: Meine Generation ist nicht den ganzen Tag online, aber sicher beanspruchen die sozialen Medien einen grossen Teil unserer freien Zeit. Social Media ist wichtig für uns. Wir informieren uns über Trends oder halten so Kontakt untereinander. Für mich und auch meine Ausbildung ist zum Beispiel vor allem Instagram eine wichtige Inspirationsquelle. Mein Berufsziel ist es aber nicht, Influencerin zu werden.
Michael: Die Technologie und auch die sozialen Medien verändern unseren heutigen Tagesablauf. Aber ich glaube letztlich verändert sich das, was für den Menschen wichtig ist, nicht. Zeit mit der Familie, Freundschaften, die real sind. Hoffnungen, Sehnsüchte und Träume bleiben die gleichen.

Früher träumten beispielsweise Schweizer Frauen von dem Tag, an dem sie an die Urne dürfen. Dafür gingen sie auf die Strasse. Die Jungen tun das heute für den Umweltschutz. Chiara, Ihre Generation wird als Klimajugend bezeichnet. Machen Sie die älteren Generationen für diese kaputte Welt verantwortlich?
Natürlich tragen die älteren Generationen eine Mitschuld. Aber der Raubbau an unserem Planeten hat schon viel früher begonnen und wir alle müssen jetzt etwas dagegen tun.
Michael: Nicht nur meine Generation hat sich schuldig gemacht. Es macht mich betroffen, wenn ich daran denke, was mit unserer Welt passiert. Es geht jetzt aber nicht um die Zukunft der Generation von Chiara, sondern um jene, die noch kommen. Unsere beiden Generationen werden das überleben. Was klar ist, die Generation Z hat eine andere Zukunft vor sich, als wir es noch hatten. Heute ist es wichtig, dass wir gemeinsam über Generationen hinweg nach Lösungen suchen.

Chiara, die Welt ist heute definitiv eine andere. Macht Ihnen das Angst?
Ja. Und ich frage mich, was wir machen sollen oder ob wir überhaupt noch etwas tun können für unsere Kinder und deren Kinder. Beim Klimaschutz zählt es, wenn jeder etwas tut, das wird sich summieren. Meine Generation wird bereits in der Schule sensibilisiert. Und ich versuche das umzusetzen. Ich lösche das Licht, wenn ich einen Raum verlasse, ich trenne meinen Abfall, ich recycle, kaufe mir nicht jedes Jahr ein neues Handy und versuche kaputte Dinge reparieren zu lassen.

Sie beide sind sich in vielen Dingen einig. Chiara, gibt es etwas, das Sie sich von der älteren Generation wünschen?
Die heutige Jugend ist faul oder immer nur am Handy»: ein Spruch, den wir von den Älteren immer noch häufig zu hören bekommen. Ich wünsche mir vielleicht etwas mehr Verständnis und Toleranz für meine Generation.

Michael, was gefällt Ihnen besonders an der Generation Z?
Die Jungen brauchen zweifelsfrei in der Zukunft mehr Verständnis für uns als umgekehrt – nur schon, wenn wir an die Altersvorsorge denken. Was mir an der Generation Z gefällt, ist vor allem ihre Offenheit. Sie suchen die Diskussion und den Austausch über Generationen und nennen die Dinge beim Namen. Und ich glaube auch daran, dass sie die Kraft hat, die Probleme anzugehen.