28.04.2025

«Visual Computing Engineers sind in einer Vielzahl von Branchen gefragt»

Der neue Bachelor Game and VR Development ist weit mehr als ein Studiengang für aufstrebende Game-Entwickler. Fachbereichsleiter Ismael Wittwer über die vielfältigen Berufsperspektiven, Game Juice, Compositing und die MedTechbranche.

Ismael Wittwer, was unterscheidet den Studiengang von vergleichbaren Angeboten?
Wer unseren Studiengang absolviert, ist am Ende ein Visual Computing Engineer. Das Curriculum vereint Elemente aus klassischen Informatik-Studiengängen angereichert mit hoch spezialisierten Visual Computing, Real-Time Simulation und typischen Spielentwicklung-bezogen Modulen wie zum Beispiel Game Systems Engineering, Real-Time Networking oder Data Management in Games. Damit leistet die FFHS in der Schweiz Pionierarbeit für diesen Sektor. Mit dem Erstarken der Game-Entwicklungs- bzw. Entertainmentindustrie in der Schweiz zieht nun auch die akademische Lehre nach und bildet so eine solide Grundlage für eine prosperierende Zukunft. Ich habe damals, mangels Alternativen, ein klassisches Informatikstudium absolviert, alle anderen Skills für Graphics Programming, Gamedesign, Visual Computing und anderes habe ich mir über Jahre selbst angeeignet. Angehende Studierende haben jetzt aber die Möglichkeit, dies aus erster Hand zu erlernen.  

Werden die Studierenden auch in angrenzenden Bereichen wie künstliche Intelligenz oder Machine Learning eingeführt?
Selbstverständlich. Wir unterscheiden zwei Bereiche. Zum einen die generative KI, also die landläufig klassische AI wie Large Language Models. Dort werden wir vor allem in die Richtung Content Generation gehen. Das heisst, wie kann man effizient und kostengünstig Content herstellen und massgeschneiderte Models trainieren? Auf der anderen Seite fokussieren wir uns auf die sogenannte Behavioral AI, also eine künstliche Intelligenz, die situative und kontextbezogene Entscheidungen trifft. 

Der Studiengang ist also auch sehr Hardware-nah?
Genau. Den Studierenden wird ein solides Grundverständnis für die grundlegenden Hardware-Komponenten (CPU, GPU, Bus, Speicherarten, etc.) vermittelt, um hocheffiziente Software zu entwickeln. Schliesslich wird im Echtzeitbereich um jede Mikrosekunde an GPU- bzw. CPU-Time gekämpft. 

Inwiefern bereitet der Studiengang auf zukünftige Entwicklungen wie das Spatial Web, Metaverse oder Mixed Reality-Anwendungen vor? 
Die Studierenden werden auf diese Themen und Trends vorbereitet, indem sie die darunterliegenden Konzepte und Enabling Technologies kennenlernen. So lernen Studierende etwa im Physik-Modul die Funktionsweise von Gyroskopen, also Beschleunigungssensoren, kennen und setzen diese dann später in den XR-Modulen ein. Wir wollen so das Fundament für ein tiefes, holistisches Verständnis mitgeben. Das Studium ist interdisziplinär und fächerübergreifend aufgebaut. 

Haben Sie ein Beispiel für den interdisziplinären Aufbau? 
In den Mathematik-Modulen werden wir beispielsweise eine fortlaufende Mathe-Programm-Bibliothek entwickeln, welche später in anderen Fächer konsultiert bzw. verwendet werden kann. Die Studierenden folgen einem roten Faden durch den Studiengang, wir nennen dies Student-Journey und wissen daher stets für welchen Zweck etwas entwickelt und eingesetzt wird. Sie bauen etwas, auf das sie später zurückgreifen können. Für mich war es damals als Student immer wieder frustrierend, Sinn und Zweck in kontextlosen Arbeiten und Projekten zu finden – und noch schlimmer – diese dann am Ende des Moduls wieder zu verwerfen.  

Bei Games ist auch die User-Experience sehr wichtig?
Ja, das ist mitunter ein Teil der Zauberformel bei erfolgreichen Apps und Spielen. Im Modul Human Computer Interaction gehen wir zum Beispiel der Frage nach, wie mit Systemen interagiert werden muss, um ein bestmögliches Spiel- bzw. Benutzererlebnis zu erzeugen. User Experience Themen werden während des ganzen Studiums behandelt, etwa auch beim Thema Game Juice.  

Was ist Game Juice? 
Game Juice, auch Game Feel genannt, beschreibt das Prinzip, dass jede Benutzer- resp. Spielerinteraktion ein (befriedigendes) Feedback erzeugt, auditiv, visuell oder optimalerweise beides. 

Für wen ist der neue Bachelorstudiengang geeignet. Was muss ich mitbringen?
Da wir bei Adam und Eva anfangen, kann sich jeder für diesen Bachelorstudiengang einschreiben. Wir werden allerdings relativ schnell vorangehen, deshalb raten wir allen, die Vorkurse, etwa in Mathematik, zu besuchen. Hat jemand bereits Kenntnisse in der Applikationsentwicklung, wird er es am Anfang sicher einfacher haben. Quereinsteiger sind aber definitiv willkommen. Der Studiengang eignet sich für alle, die sich für einen Ingenieur-Abschluss interessieren, mit dessen Bandbreite einem viele Türen offenstehen. Von einem Job in der klassischen Software-Entwicklung bis hin zu typischen Visual Computing Rollen in der Kreativ-, Werbe- oder Medtechbranche. 

Was zeichnet einen Visual Computing Engineer aus? 
Absolvierende sind speziell für Anwendungen mit Echtzeitanforderungen ausgebildet, mit starkem Fokus auf Ausführeffizienz, geringen Programmlaufzeiten und performanten, ressourcenschonendem Code. Durch diesen Programmier- bzw. Denkansatz leisten sie einen Beitrag zum energieeffizienten und somit klimafreundlichen Technikeinsatz. Ein Mobile-Game kann in einer Stunde Spielzeit 10 Prozent des Handyakkus konsumieren oder eben 80 Prozent, dies ist ein riesiger Unterschied und stellt nicht nur ein User-Convenience-Problem dar; es ist unnötige Energieverschwendung. Man könnte also sagen: die Absolvierenden gehören zur energie- und umweltbewussten Ingenieur-Elite.  

Und wo werden Visual Computing Engineers gebraucht? 
Visual Computing Engineers sind in einer Vielzahl von Branchen gefragt. Dazu zählen digitale Werbeagenturen, Visual Effects- und Game-Studios sowie Fernsehproduktionen. Überall dort, wo modernes Compositing, Echtzeit-Videoverarbeitung oder massgeschneiderte Motion-Effekte eine Rolle spielen. Darüber hinaus finden sie Einsatz in der medizinischen Bildgebung, also allgemein in der MedTech-Branche. Auch in Industrieumfeldern, in denen proprietäre technische Workflows optimiert oder komplexe Systeme simuliert bzw. visualisiert werden müssen, sind diese Fachkräfte von zentraler Bedeutung. So könnten beispielsweise Gelenke einer neuen Prothese in der Vorproduktion bereits virtuell getestet und früh validiert werden.