Melanie Biaggi 10.06.2025

«Das Studium an der FFHS hat mein Selbstbewusstsein gestärkt»

Giuliano Carnovali hat sich nach einem Unfall zurück ins Leben gekämpft. Nach einer Zeit der Resignation führt er heute ein selbstbestimmtes Leben. Wie er mit Disziplin und Offenheit auf dem Tennisplatz, im Beruf und im Studium noch weiter über sich hinauswachsen will.

Beachvolleyballer, Fussball-Goalie, Skater – Giuliano Carnovali war schon immer ein sportlicher Typ. Er hatte die KV-Lehre abgeschlossen, die Berufsmatura absolviert und stand kurz vor dem Militärdienst, als ein Unfall mit einem Zug sein Leben im Alter von 20 Jahren komplett veränderte. Seither sitzt er im Rollstuhl. Anfangs hat ihn vor allem ein Gefühl beherrscht: Wut, Wut auf sich selbst. «In der ersten Zeit ging es mir richtig schlecht, vor allem, wenn ich allein war. Wenn ich dann an die Zeit vor dem Unfall dachte, war ich einfach nur traurig und enttäuscht, wenn ich an meine Zukunft dachte, wurde ich von Gefühlen überwältigt, vornehmlich von Angst und Unsicherheit», erinnert sich Carnovali. Aber da waren auch die Ärzte, die Pfleger, die Familie und die Freunde, die Carnovali zurück ins Leben holen wollten – «sie haben mich gepusht, ich habe mitgemacht». Und irgendwann kam auch der alte Sportlerwille wieder zurück. Während seiner Zeit in der Rehabilitationsklinik machte er viel Krafttraining, er wollte einen fitten Oberkörper haben. Inzwischen ist Carnovali 27 Jahre alt und sagt: «Ich habe viel gelernt, wichtige Erkenntnisse gewonnen und vor allem nicht aufgegeben.» 

Paralympics als grosses Ziel

Fast ein Jahr verbringt Carnovali in der Rehaklinik, an eine Rückkehr in den Berufsalltag oder ein Studium ist nicht zu denken. Als er entlassen wird, will er eigentlich Film studieren, gründet dann aber kurzerhand gemeinsam mit Kollegen eine Filmproduktionsfirma. Sie realisieren Filme für verschiedene Unternehmen, doch irgendwann gehen die Kollegen getrennte Wege. «Ich wollte nicht mehr zurück in den KV-Beruf und Wirtschaft hat mich schon immer interessiert, zum Glück bin ich dann auf die FFHS gestossen», sagt Carnovali. Nach einem ersten Rundgang über den Gleisarena-Campus in Zürich und einem ausführlichen Gespräch mit dem Studiengangsleiter meldet er sich für das Studium an. 

Mittlerweile studiert Carnovali im zweiten Semester Betriebsökonomie Sportmanagement und arbeitet in einem 50-Prozent-Pensum bei einer Pensionskasse in der Kundenberatung. Drei bis vier Mal pro Woche betreibt er zudem Leistungssport, er spielt Tennis. Dazu Carnovali: «Ich habe mich früher immer mit meinem Sport identifiziert. Deshalb habe ich nach meinem Unfall unzählige Sportarten ausprobiert, beim Tennis bin ich geblieben. Und in dieser Sportart will ich viel erreichen – vielleicht schaffe ich es sogar einmal zu den Paralympics.» 

Viele Berufsmöglichkeiten in Aussicht

Studium, Arbeit und Sport, wie bringt man das alles unter einen Hut? «Manchmal bin ich schon ein bisschen ein Chaot. Da muss ich mir meine Zeit gut einteilen und mache mir deshalb jeweils einen Plan», erklärt der junge Sportler. Dank des flexiblen Studienmodells der FFHS fühle er sich selten überfordert oder nicht imstande, allem gerecht zu werden. Auf dem Tennisplatz ist Carnovali ein Einzelkämpfer, im Studium schätzt er allerdings den Kontakt zu seinen Kommilitonen. Bei Gruppenarbeiten klappe die Zusammenarbeit gut und auch ausserhalb des Klassenzimmers stehe man in gutem Kontakt. Dank seines Studiums sehe er jetzt schon, was in Zukunft beruflich möglich sei. «Die beiden Welten Sport und Wirtschaft könnte man verbinden, vielleicht ein Leader werden, Leute zusammenbringen», sagt Carnovali und ergänzt: «Das Studium an der FFHS hat vor allem mein Selbstbewusstsein gestärkt.»

Eine Inspiration für andere

Seine Selbstständigkeit und Lebensfreude hat sich Carnovali nach dem Schicksalsschlag zurückerobert. Grund zur Freude hat er auch, weil er einer der wenigen Menschen ist, bei denen sich nach der Diagnose «komplette Paraplegie» einige Nerven wieder erholen konnten. Er kann aufrecht stehen, hat seine Beine relativ gut unter Kontrolle und kann sogar mit Gehhilfen ein paar Schritte gehen. So weit schaffen es statistisch gesehen nur etwa vier Prozent der Patientinnen und Patienten. Er hatte grosses Glück, hat aber auch hart dafür gearbeitet, wie er sagt. Auf Instagram lässt Carnovali die Welt an seinem Leben teilhaben. Er zeigt sich beim Tennis- oder Fitnesstraining, im Kraftraum, bei der Therapie oder auch beim Lernen. «Instagram ist meine Visitenkarte, vor allem, wenn es um Sport geht», sagt Carnovali. Kurz nach seinem Unfall sei es ihm wichtig gewesen, auf Instagram zu zeigen, dass er nicht weg vom Fenster sei, sich zurückkämpfe – «und ich habe viel Unterstützung bekommen, das hat mir gutgetan». Heute möchte er andere Menschen inspirieren und ihnen zeigen, dass es sich lohnt zu kämpfen.