Melanie Biaggi 02.10.2025

Wenn der Patient ein Avatar ist: KI im Ernährungsstudium

Ernährung trifft Informatik: Für ein Projekt in der Ernährungsberatung spannen die beiden Departemente Gesundheit und Informatik der FFHS zusammen. Studierende der Ernährungsstudiengänge wagen den Versuch: Wie fühlt es sich an, wenn mein Gegenüber im Beratungsgespräch ein KI-Avatar oder ein Large Language Model wie ChatGPT ist?

Angehende Ernährungsfachpersonen lernen in den beiden Bachelorstudiengängen Ernährung und Diätetik sowie Ernährung und Gesundheit an der FFHS alles, was es braucht, um Menschen zu helfen. Von der Ernährungslehre über Anatomie und Physiologie bis hin zur Prävention und Diätetik. Um später Menschen beraten zu können, ist die Gesprächsführung ein wichtiger Bestandteil des Studiums. Wie begegne ich meinem Gegenüber, wie spreche ich heikle Themen an? Dazu üben die Studierenden einmal pro Semester an den Präsenzveranstaltungen mit Schauspielerinnen und Schauspielern. Diese schlüpfen in die Rolle von Personen mit einem bestimmten Krankheitsbild. «Wenn die Studierenden in diesen Rollenspielen positive Erfahrungen machen, bestärkt sie das und ihre Motivation steigt», erklärt Jeannine Langenegger, Fachbereichsleiterin Ernährungsberatung und Diätetik. 

Und nun sollen Avatare und ChatGPT die Rolle der Patienten übernehmen? Dazu Prof. Dr. Tobias Häberlein, Leiter Departement Informatik: «Die Schauspielerinnen und Schauspieler sollen nicht komplett ersetzt werden. Wir prüfen mit diesem Projekt, ob ein Large Language Model wie ChatGPT oder ein KI-Avatar auch eine Möglichkeit zur Einübung der Gesprächsführung bieten würde. Das Engagement von Darstellenden, mit denen man ihre Rolle jeweils auch vorbespricht, ist aber ressourcenintensiv». 

Jeannine Langenegger verspricht sich von diesem Versuch mit den «virtuellen Klienten» vor allem eines: mehr Möglichkeiten, um an den Beratungskompetenzen zu arbeiten. «Die Studierenden üben Beratungsgespräche bei Präsenzveranstaltungen auch untereinander, aber mit ChatGPT oder auch einem KI-Avatar hätten sie die Möglichkeit, jederzeit und ortsunabhängig zu üben». 

Avatare reagieren auf Mimik

Dominique Meldau ist E-Learning Experte an der FFHS. Im Rahmen seiner Dissertation forscht er auch zu den psychologischen Auswirkungen virtueller Identitäten und der Kompetenzentwicklung in Avatar-basierten 3D-Szenarien. «Studien haben beispielsweise gezeigt, dass Menschen, die eher gehemmt sind, in der Onlinekommunikation mehr aus sich herausgehen, wenn ihr Gegenüber ein Avatar ist oder sie selbst ein Avatar sind», erklärt Meldau.

Der Avatar reagiert auf die Mimik seines Gegenübers. Wird ihm beispielsweise ein Lächeln geschenkt, lächelt er zurück. Für die Gesprächsrunden mit den Studierenden hat sich Meldau für zwei Avatare entschieden, die möglichst realitätsnah wirken. Sie heissen Herr Studer und Herr Würmli. Beide basieren auf echten Fallbeispielen aus der Lehre, mit detaillierten Angaben zur Anamnese, zum Lebensstil und zur Gesprächsdynamik. «Ziel war es, die Avatare nicht nur als Figuren zu gestalten, sondern als glaubwürdige, interaktive Sparringspartner in der Beratungssimulation», so Meldau. Sie sollen kontextsensitiv auf Gesprächsverläufe reagieren, Feedback geben und damit die Kommunikationskompetenz der Studierenden gezielt fördern. Ein Vorteil gegenüber Schauspielenden: Ein Avatar verhält sich immer konsistent, unabhängig davon, wer vor ihm sitzt. 

Drei Räume, drei Patienten

Erste Versuche mit ChatGPT haben gemäss Tobias Häberlein gezeigt, dass die Gespräche sehr realistisch wirken. Inzwischen konnte das Sprachmodell so trainiert werden, dass es im Gespräch beispielsweise auch widerspricht oder bei guter Interaktion mitmacht. «Wenn der Studierende ‹Stopp› sagt, beginnt ChatGPT mit der Auswertung des Gesprächs und erklärt, wie er die Beratung empfunden hat oder was der Studierende anders hätte machen können. Dieses Feedback ist sehr wichtig.»

Im Modul BEMD (Beratung von Menschen mit metabolischem Syndrom und Diabetes) wurde Mitte April für die Studierenden nun ein erster Versuch mit den virtuellen Klienten sowie den Schauspielerinnen durchgeführt. Zuvor wurden ChatGPT und die Avatare jeweils mit identischen Informationen zu den Krankheitsbildern der Patienten gefüttert, die Schauspieler entsprechend instruiert. Die Studierenden des Bachelorstudiengangs Ernährung und Diätetik hatten einen Patienten mit Diabetes Typ 2 mit einer Blutzuckerentgleisung im Gespräch, jene des Studiengangs Ernährung und Gesundheit einen Patienten mit Prädiabetes ohne Medikation. 

«Alle Studierenden durchliefen jeden Raum und wurden dabei von den Dozierenden beobachtet. Anschliessend füllten die angehenden Ernährungsfachpersonen einen Fragebogen zu ihren Erfahrungen aus», erklärt Dominique Meldau.

Und wie kamen ChatGPT und die Avatare bei den Studierenden an? Die Auswertung der Befragung zeigte: Die Schauspieler wurden von den Studierenden am besten bewertet. Sie wurden als empathisch, realitätsnah und hilfreich für die Beziehungsgestaltung empfunden. Der Avatar überzeugte durch Konsistenz und gute Bedienbarkeit. ChatGPT wurde von den Teilnehmenden als weniger interaktiv und eingeschränkt in der Gesprächsdynamik erlebt. Alle Tools wurden insgesamt als nützlich und verständlich eingeschätzt. «Die Studierenden und die Dozierenden wünschen sich auch künftig Zugriff auf KI-Tools zu haben, um Beratungskompetenzen zu festigen», fasst Jeannine Langenegger zusammen.