Deborah Bischof 02.06.2020

Mentale Stärke unter Beweis

Es ist eine Sportkarriere wie aus dem Bilderbuch: Vom jungen Snowboard-Talent zum Profi-Sportler und Olympiasieger. Für den Schweizer Snowboarder Nevin Galmarini könnte es nicht besser laufen. Doch wo Höhen sind, gibt es auch Tiefen: Eine Verletzung zwingt den 34-Jährigen zu einer Auszeit. Mentale Stärke und eine Ausbildung an der FFHS helfen ihm, optimistisch zu bleiben.

«Ursprünglich wollte ich Skirennfahrer werden», lacht Nevin Galmarini. Doch es kam alles anders. Aus zwei Brettern wurde eins und ein sechsjähriges Sportgymnasium formte aus einem 13-jährigen Schneesportler das grösste Schweizer Nachwuchstalent im Snowboarden. «Plötzlich war ich ganz oben auf der Rangliste», erinnert er sich, «das war ein tolles Gefühl und ich wollte mehr.» Gesagt, getan: Anders als seine Klassenkameraden verzichtete er auf ein Studium und setzte alles auf den Sport. Wille, grosse Leidenschaft und hartes Training brachten ihm schliesslich den gewünschten Erfolg.

Auf dem aufsteigenden Ast

Im Alter von 24 Jahren startete der Engadiner erstmals an den olympischen Winterspielen in Vancouver. Sein 17. Rang liess nur erahnen, was der Schweizer Nachwuchssportler in den kommenden Jahren noch erreichen würde. Mit Nerven wie Drahtseilen stand er vier Jahre später in Sotschi zum zweiten Mal am Start der Olympischen Spiele. Diesmal gewann er die Silbermedaille in der Disziplin Parallel Riesenslalom. Drei Jahre darauf folgte Bronze an den Weltmeisterschaften in Sierra Nevada – und dann, ein Jahr darauf in Pyeongchang, holte er sich das ersehnte Olympiagold. Als Krönung seiner grandiosen Saison folgte zusätzlich der Titel als Gesamtweltcupsieger.

«Während dieser Zeit habe ich vor allem eines gelernt: Sieg und Niederlage sind nicht nur abhängig vom Körper», erklärt er, «es zählt vor allem mentale Stärke.» Es sei kein Leichtes, den Erwartungen der breiten Öffentlichkeit gerecht zu werden. Vor den olympischen Winterspielen im Jahr 2018 haben ihn die Medien als Goldanwärter betitelt: «Das war ein grosses Lob, aber gleichzeitig auch enormer Druck», erinnert er sich. Wie geht ein Profisportler wie Nevin Galmarini mit so viel Druck um? «Mentaltraining», antwortet er und erklärt: «Ich antizipiere die Wettkampfsituation, stelle mich vorgängig gedanklich der Herausforderung und entwickle konkrete Strategien.» Mittlerweile sind Erwartungen für ihn etwas Positives: «Es ist schön zu wissen, dass Menschen mich als Hoffnungsträger sehen», freut er sich.

Das plötzliche Saison-Aus

Nach seinen grossen Erfolgen leidet der Profi-Snowboarder Anfang 2019 unter einem altbekannten Problem: «Der Rücken war schon immer meine Schwachstelle», erzählt Nevin Galmarini, «lange Zeit habe ich versucht, dagegen anzukämpfen.» Doch die Beschwerden lassen nicht nach. So ist der Profisportler im Februar 2019 schliesslich gezwungen, die Saison frühzeitig zu beenden. Die verfrühte Pause nutzt der 34-Jährige für eine Therapie und intensives Aufbautraining. Gestärkt kehrt er im Herbst auf die Piste zurück.

Was zunächst als weitere Erfolgsgeschichte beginnt, findet im November ein jähes Ende: «Ich fühlte mich bereit für die neue Saison, als ich plötzlich ein Taubheitsgefühl im rechten Bein spürte», erinnert er sich. Im Spital folgte der Befund: Ein akuter Bandscheibenvorfall. Drei Tage darauf folgte die Operation – und damit das erneute Aus. «Die Saison zum zweiten Mal in Folge abbrechen zu müssen, kostete mich viel mentale Kraft», blickt er zurück.

Solides Standbein dank Studium

Halt und Unterstützung findet der Profisportler in dieser Zeit bei seiner Familie. Gleichzeitig stützt er sich stärker denn je auf sein Studium: «Der Gedanke, dass ich mit meinem Bachelor-Abschluss eine sehr gute Alternative in der Tasche habe, beruhigt mich», erzählt der Betriebsökonom. Bereits als er 2014 an der Fernfachhochschule Schweiz in das erste Semester startete, sei dies seine Motivation gewesen: «Mir war von Anfang an bewusst, dass es eine Zeit nach dem Profi-Sport geben wird. Darauf wollte ich vorbereitet sein.» Gleichzeitig half ihm das Studium von Beginn an bei seiner Arbeit.  Durch seinen Verzicht auf ein externes Management, sass er von Anfang an selbst am Verhandlungstisch mit den Sponsoren. «Der Rollenwechsel vom relaxten Snowboarder zum knallharten Verhandlungspartner ist nicht immer leicht. Deshalb bin ich über meinen theoretischen Background aus dem Studium besonders froh.»

Gewappnet für die Zukunft

Nach seinem erfolgreichen Bachelorabschluss befindet er sich aktuell im 2. Semester seines Masterstudiums. «Ich habe letzten Herbst am eigenen Leib zu spüren bekommen, wie wichtig eine Ausbildung neben dem Sport ist.» Deshalb wolle er auch in Zukunft nicht darauf verzichten, erklärt er. Gleichzeitig denkt er auch langfristig: «Dabei ist eine gute Ausbildung für mich unerlässlich.»

Heute, gut ein halbes Jahr nach seiner Operation, denkt der 34-Jährige aber noch lange nicht ans Aufhören: «Meine Gesundheit wird von Tag zu Tag besser. Gleichzeitig bin ich auch mental wieder für die Piste bereit», freut sich der Snowboarder. Das Aufbautraining für die kommende Saison – und hoffentlich auch für den Schweizer Hoffnungsträger Nevin Galmarini – startet im Mai 2020.