Natascha Ritz 16.05.2022

Zwischen zwei Karrieren

Nevin Galmarini schliesst mit dem Ende der Saison auch seine Karriere als Profisnowboarder ab. Jetzt steht er genau an der Schwelle, auf die er sich mit seinem Studium an der FFHS vorbereitet hat: der Einstieg ins Berufsleben.

Wir erreichen Nevin per Video-Meeting im Südtirol, wo er eines seiner letzten Weltcuprennen absolviert, genau an dem Tag, an dem der Olympiasieger von 2018 seinen Rücktritt vom Snowboardsport bekanntgibt. Zahlreiche Anfragen hat er bereits beantwortet; der 36-jährige Bündner war immer ein gern gesehener Gast in den Schweizer Medien. Noch eine Handvoll Rennen, dann ist Schluss. «Ich bin mit mir im Reinen», sagt er zu seinem Entschluss. Gerade im Studium habe er gemerkt, dass es noch so viel mehr zu sehen und zu lernen gibt. Nun steht er zwischen zwei Welten, die erfolgreiche Sportkarriere hinter sich und die berufliche Karriere vor sich.

Vorlesungen als Highlight

2005 schliesst Galmarini das Sportgymnasium ab und setzt von da an alles auf die Karte Sport. Anfangs arbeitet er jeweils im Sommer, etwa im Verkauf oder im Schichtbetrieb am Flughafen Zürich, um Geld zu verdienen. Geld, welches er im Winter für Trainings und Wettkämpfe wieder ausgibt. Mit wachsendem sportlichen Erfolg kommen mehr Sponsoren und finanzielle Möglichkeiten. Vor sieben Jahren entscheidet er sich, die neu gewonnene Zeit in ein Studium zu investieren und schreibt sich an der FFHS für Betriebsökonomie ein.

«Ich war kein Musterstudent», gibt er unumwunden zu. Alleine zu lernen im Selbststudium lag ihm nicht besonders, dafür hat er im Präsenzunterricht alles aufgesogen und aufgeholt: «Die Vorlesungen waren mein Highlight. Es hat mich mitgezogen, wenn ein Dozent so ein richtiger ‹Freak› war und stundenlang passioniert über ein Thema wie Finance gesprochen hat.» Nach dem BSc Betriebsökonomie hängt er noch den konsekutiven Master mit Vertiefung in Innovation Management an. Je länger er studiert, umso spannender erlebt er das Studium. Galmarini merkt, dass es ihm neben dem Sport einen zusätzlichen Horizont gibt und ihm hilft, sich besser zu vermarkten. Er versteht besser, was seine Sponsoren von ihm erwarten, wird kreativer und geht gestärkt in Verhandlungen. Das Studium habe ihm auch als Athlet viel gebracht, sagt er: «Ich wusste, ich kann im Sport volles Risiko gehen. Denn wenn es nicht klappt, habe ich noch etwas in der Tasche. Das gab mir Selbstvertrauen.»

«Ich möchte etwas bewirken im Job»

Selbstvertrauen, das auch fruchtet. Nach dem Olympia-Silber im Parallel-Riesenslalom 2014 in Sotschi folgt vier Jahre später der grosse Triumph mit der Goldmedaille in Pyeongchang und im selben Jahr siegt Galmarini im Gesamtweltcup. Er hat im Sport mehr erreicht, als er sich je erträumt hatte. Und wovon träumt er in Zukunft? Spass und Passion seien bei ihm an erster Stelle, sagt Galmarini. Er möchte etwas bewirken, Impact haben. Seinen Traumjob sieht er irgendwo im sportlichen Umfeld, in der Sportindustrie oder bei einem Verband. Im Masterstudium haben ihn die Themen Innovationsmanagement, Entrepreneurship und Geschäftsentwicklung fasziniert: «Neue Anreize suchen, nicht auf dem Gewohnten stehen bleiben, Ideen umsetzen. Da gibt es Parallelen zum Spitzensport», findet er. Auch als Sportler müsse man sich neu erfinden und weiterentwickeln. Wo genau Galmarini seine berufliche Karriere startet, ist noch offen. Der FFHS wird er auf jeden Fall als Dozent im Studiengang Betriebsökonomie Sportmanagement erhalten bleiben. Auf diese Aufgabe freut er sich: «Ich werde sicher nicht der Dozent sein, der nur Folien präsentiert. Ich will aus der Praxis erzählen.»

Persönliche Highlights sind wichtiger als Medaillen

2018 wurde Nevin Vater der Zwillinge Eddie und Louie. Sein bisher bester Moment im Leben, sagt er, da könne auch eine Olympia-Medaille nicht mithalten. Zuoberst auf dem Podest zu stehen und die Schweizer Nationalhymne zu hören, sei schon prägend. Aber oft sind es die persönlichen Momente, die sich einbrennen: die Sekunden vor dem Start, wo alles zusammenkommt. Oder ein paar Wochen danach mit seinen Freunden ein Bier zu trinken und zu realisieren, was man erreicht hat.

Am meisten vermissen wird Galmarini die regelmässigen Challenges. Jedes Wochenende im Winter gab es einen «Tag der Entscheidung». Man hat nur wenige Chancen, die über das sportliche Jahr entscheiden. Galmarini ist sich sicher, dass ihm viele Fähigkeiten, die er als Athlet gelernt hat, auch in der Berufswelt helfen werden. Feedback annehmen, wertschätzen und nicht als Kritik sehen. Ziele langfristig und mit Geduld verfolgen. Auch der Umgang mit Niederlagen, egal ob im Sport, im Studium oder im Job. «Eine Niederlage heisst nicht, dass ich als Mensch grundsätzlich falsch bin. Genauso wenig wie ein Sieg heisst, dass ich ein besserer Mensch bin», sagt er.

Nun endet die Zeit als Athlet und ein neuer Lebensabschnitt beginnt. Seine Boards will er sicher nicht in der Ecke verstauben lassen; das Snowboarden wird seine grosse Passion bleiben. Endlich wird er mehr Zeit fürs Freeriden haben, was immer zu kurz kam während der Wettkampfsaison.

Auch für die Familie wird mehr Zeit sein: «Meine Frau Nadja freut sich natürlich riesig, dass ich nun mehr zu Hause sein werde», sagt er und betont, dass sie ihn immer in seiner Karriere unterstützt habe. «Unser Leben war immer unregelmässig, insofern sind wir gespannt auf das, was kommt.» Galmarini fühlt sich bereit für sein neues Leben.

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