Natascha Ritz 11.11.2020

«In den Semesterferien fehlt mir fast etwas»

Leonardo Genoni ist nicht nur bester Torhüter der Schweiz, sondern hat auch einen Masterabschluss in Betriebsökonomie und studiert derzeit Wirtschaftsrecht an der FFHS. Wie sein Plan B durch das Studium immer stärker wird und was er persönlich aus der Krise mitnimmt, erzählt er im Interview.

Was bedeutet für Sie Plan B?
Es ist eine Versicherung, man hat noch etwas in der Hinterhand. Aber es soll nicht heissen, dass man Plan A nicht zu 100 Prozent verfolgt. Vielmehr kann man sich darauf konzentrieren, im Wissen, dass man einen Plan B hat.

Wie wurden Sie zum Hockey-Profi? War das immer Ihr Plan A?
Nicht unbedingt, aber es war ein Traum. Wir waren zuhause drei Brüder, alle drei spielten Hockey. Die Bedingung meiner Eltern war, dass wir eine Ausbildung machen. Also besuchte ich das Sportgymnasium, habe aber nicht erwartet, dass es zum Profi reicht.

Es hat gereicht…
Ich habe darauf hingearbeitet, aber hatte schon damals einen Plan B. Als ich dann ein Jahr lang nur Hockey gespielt habe, merkte ich rasch, dass es mich nicht ausfüllt. Ich spielte damals in Davos, da verbringt man viel Zeit im Teambus. Dank dem Konzept der FFHS konnte ich diese Zeit sinnvoll nutzen, das war perfekt. Mittlerweile bin ich im dritten Studium an der FFHS. Es fehlt mir fast etwas, wenn mal Semesterferien sind.

Während des Lockdowns stand das Hockey auf einmal still. Was haben Sie in dieser Zeit gemacht?
Für uns Hockeyspieler ist das Ende der Playoffs jeweils auch der Start der Ferienzeit. Als die Playoffs abgesagt wurden, fingen eigentlich direkt die Ferien an. Aber im Mai hätte ja noch die WM in der Schweiz stattfinden sollen. Also musste ich mich vorbereiten, aber eben nicht auf dem Eis, da ja alle Eishallen geschlossen waren.

Die WM wurde schliesslich auch abgesagt. Wie gross war Ihre Enttäuschung?
Es ist schon sehr traurig. Die letzte Heim-WM war 2009. Ich weiss noch, dass ich damals im erweiterten Kader war, habe an Kickoffs-Events teilgenommen und alle haben erzählt, wie unglaublich die Stimmung war. Du hast dich über die Jahre in dieses Team gekämpft und gefreut, dass die WM nochmals in der Schweiz stattfindet und du teilnehmen kannst. Es ist wie eine entgangene Chance.

Leider hiess es «Stay at home»…
Ja. Wir waren oft im Garten, es war ja gutes Wetter. Ich habe drei Kinder, der Älteste ist bereits schulpflichtig, also war Homeschooling angesagt. So habe ich mich auch als Lehrer versucht.

Und für den Studenten Genoni blieb auch Zeit?
Ja, in der Tat. Die FFHS hat ja sehr schnell reagiert und konnte komplett auf Onlineunterricht umstellen. Ich hatte im letzten Semester auch sehr gute Noten geschrieben (lacht), was sicher auch damit zusammenhängt, dass ich mehr Zeit fürs Studium hatte.

Wie haben Sie den Onlineunterricht erlebt?
Ich hatte ehrlich gesagt etwas Angst wegen den technischen Hürden. Aber es hat sehr gut geklappt, die Dozierenden waren super vorbereitet. Man hat gespürt, dass dieser Schritt gut durchdacht war. Es war kein grosser Unterschied festzustellen, ob man jetzt im Präsenzunterricht oder von zuhause aus dabei ist. Das war sehr eindrücklich.

«Es war kein grosser Unterschied, ob man jetzt im Präsenzunterricht oder von zuhause aus dabei ist.»

Und die Prüfungen?
Das hat reibungslos geklappt. Dort eine Chancengleichheit sicherzustellen, war für die Schule sicher eine grosse Herausforderung. Ich kann mir vorstellen, dass ein paar Mitarbeitende Überstunden leisten mussten. An der Front lernt man das schätzen.

Sobald es die Lage zulässt, startet die FFHS wieder mit dem Präsenzunterricht. Freuen Sie sich darauf, die anderen live zu sehen?
Ich würde mich freuen, sicher. Aber es kommt ganz auf unseren Spielplan an. Ich bin jetzt im dritten Semester des MAS Business Law, da findet der Unterricht am Samstag statt, wo wir praktisch immer spielen. Aber ich kenne den Präsenzunterricht vom Bachelor und Master, wo es Montagsklassen gibt. Das ist natürlich sehr interessant, mit all den Praxisbeispielen von Mitstudierenden, die ich jetzt vielleicht verpasse. Die Vielfalt an Erfahrungen an einer Fachhochschule findest du ja fast nirgends.

Holen Sie sich anderweitig den Input aus der Praxis?
Letztens musste ich eine Checkliste machen, was alles in einen Vertrag gehört. Arbeitsverträge kenne ich aus dem Hockey. Aber Mietverträge und Leasingverträge, die andere aus ihrem Berufsalltag kennen, das fehlt schon ein wenig. Dann muss ich halt mit anderen Leuten sprechen. Und ich habe meine alten Mietverträge rausgenommen, aus Davos und Bern, so konnte ich die Checkliste abarbeiten. Ist dann zwar ein bisschen Mehraufwand.

Das nehmen Sie aber gerne in Kauf, schliesslich sind Sie schon im dritten Studium?
Der Bachelor war der grösste Schritt. Danach hätte ich eine Arbeitsstelle in Aussicht gehabt, um neben dem Hockey Erfahrungen zu sammeln, aber dann kam der Wechsel von Davos nach Bern. Also habe ich den Master drangehängt. Beim Wechsel von Bern nach Zug war es wieder die gleiche Situation. Studium fertig, Jobangebot, aber ich konnte es durch den Umzug nicht wahrnehmen. Da entdeckte ich den MAS in Wirtschaftsrecht, was mich neugierig gemacht hat. Das war ein guter Entscheid. Mein Plan B in diesem Bereich rückt auch immer mehr in den Fokus, darum habe ich auch Freude und Motivation.

Wieso Wirtschaftsrecht?
Ich glaube man ist sich nicht bewusst, wieviel man auch im täglichen Leben mit dem Recht konfrontiert ist. Wenn man da sattelfest ist, kann man Überraschungen vermeiden.

Welches Thema hat Sie besonders gepackt?
Der Bereich Compliance war sehr spannend, da haben wir als Hockeyspieler wenig Einblick, wie das alles aufgebaut ist. Oder wie es sein sollte (lacht). Auch Datenschutz war ein sehr cooles Modul. Viele Menschen begreifen nicht, was Themen wie Big Data für die Zukunft bedeuten. Jeder, der ein Smartphone nutzt, unterschätzt das wohl.

Wie lange spielen Sie noch?
Ich will so lange spielen, wie es mir Freude macht. Ich habe mir kein Datum gesetzt. Im Moment macht es mir extrem Spass, die Saison hat begonnen, ich habe jeden Tag Spass im Training.

«Ohne Zuschauer fehlt die Aura im Station, es kommt nichts rüber.»

Schauen Sie vorwärts zur WM 2021?
Sie soll ja in Weissrussland und Lettland stattfinden, doch es gibt noch politische Unsicherheiten und auch in Bezug auf Corona ist es ungewiss. Die Junioren-WMs wurden fast alle abgesagt, bis auf die U20-WM in Kanada. Dort werden die Spieler abgeschottet, wie in einer Blase, ohne Zuschauer.

Ist das überhaupt vorstellbar, Geisterspiele?
Wir haben das in den zwei letzten Spielen der Qualifikation erlebt. Das macht absolut keinen Sinn. Hockey lebt von Emotionen. Freude und Trauer sind so nah beieinander. Ohne Zuschauer fehlt diese ganze Aura im Station, es kommt nichts rüber. Ich bin gespannt, wie nun die ersten Spiele ablaufen, wenn das Publikum coronabedingt reduziert ist.

Hoffen wir, dass die verbleibenden Zuschauer dies durch mehr Begeisterung wettmachen…
Ja, es ist aber schade, dass alle Tickets bereits verkauft sind. So kann man nicht mehr kurzfristig an ein Spiel gehen. Für die Klubs ist es natürlich wichtig, so viele Zuschauer wie möglich zu haben. Aber sind dann halt immer die gleichen. Es wäre schön, wenn man die Basis an Fans auch ausbreiten könnte. Aber der Sport allgemein hat in diesen sechs Monaten gelernt, dass man sich neu erfinden muss. Klagen ist nicht angebracht, sondern Freude, dass wir wieder starten können. Wir müssen es mit attraktiven Spielen schaffen, dass die Begeisterung und die Fangemeinde weiterwachsen können.

Zum Schluss: Was haben Sie aus der Krise gelernt?
Die Spontanität. Nicht zu weit vorauszuplanen, das musste ich als ehrgeiziger Mensch wieder von Grund auf lernen. Ich bin sehr strukturiert und plane gern. In der heutigen Zeit ist das fast nicht mehr möglich. Ich musste lernen, eines nach dem andern zu machen. Man soll im Moment leben und diesen optimal nutzen.

Das Interview wurde am 30. September 2020 geführt.