Astrid Rimbach 21.04.2022

Entwicklung und Realisierung eines integrierten BGM – Herausforderung für die Organisationsentwicklung

Die Arbeitswelt heute verändert sich rasant: Agile Organisation, flexible Arbeitsformen und Digitalisierung, Fachkräftemangel und demografischer Wandel stellen Arbeitnehmende und Arbeitgeber vor grosse Herausforderungen. Die damit einhergehende Dynamik und Komplexität von Veränderungsprozessen erfordert gutes Management. In den Mittelpunkt rückt dabei ein integriertes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) mit verschiedenen Handlungsfeldern.

In den Unternehmen ist der demografische Wandel angekommen. Gleichzeitig bestimmt die Digitalisierung die Diskussion um die Zukunft der Unternehmen. Innovationsfähigkeit, Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und Veränderungskompetenz sind Faktoren, die im Wettbewerb zählen. Vor diesem Hintergrund: Was muss sich im betrieblichen Alltag verändern? Wie bleiben die Beschäftigten möglichst lange gesund? Wie kann die Arbeitsfähigkeit, Flexibilität, Anpassungsbereitschaft und Veränderungskompetenz der Mitarbeitenden erhalten und gefördert werden? Welche Themen sind schon heute wichtig, damit auch morgen noch motivierte sowie leistungsfähige Mitarbeitende zur Verfügung stehen? Die Basis bildet ein integriertes betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM), das den Erhalt und die Förderung der Arbeitsfähigkeit- und Beschäftigungsfähigkeit der Belegschaften in den Fokus stellt (Rimbach, 2018; Schüth, 2019). 

Grundlagen des BGM

Das BGM bezeichnet zum einen die Managementaufgabe der zielgerichteten Planung und Steuerung aller Aktivitäten und Prozesse einer Organisation, die sich auf die Mitarbeitergesundheit beziehen. Zum anderen bildet der strukturelle Rahmen mit den zuständigen Einrichtungen für die operative Umsetzung und bildet quasi das institutionelle Dach des BGM (Oppolzer, 2005). Das Konzept des integrierten BGM sieht einen strukturellen Rahmen vor, der die rechtlich begründeten Schutz- und Präventionsanforderungen ebenso berücksichtigt wie die darüberhinausgehenden Angebote zur Gesundheitsförderung und zur sozialen Unterstützung im Betrieb (Rimbach, 2013a). Somit befinden sich unter dem Dach des BGM die Angebote der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes, des Absenzen- und Case Managements, der betrieblichen Gesundheitsförderung und der Beratung und Unterstützung von Beschäftigten in sozialen und gesundheitlichen Angelegenheiten. Darüber hinaus ist eine Verknüpfung mit der Organisationsentwicklung (OE), der Personalentwicklung (PE), dem Personalmanagement (PM), Qualitätsmanagement (QM) und/oder Diversity Management (DM) und mit dem BGM notwendig.

Eine Beteiligung an überbetrieblichen Netzwerken ist erstrebenswert und lohnt sich (Rimbach, 2013b). Da das BGM auf die Gesundheit aller Beschäftigten gerichtet ist, wird Gesundheit zum strategischen Faktor. Ziel des BGM ist die «Entwicklung und Verankerung integrierter betrieblicher Strukturen und Prozesse, die die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeit, Organisation und dem Verhalten am Arbeitsplatz zum Ziel haben und den Beschäftigten wie dem Unternehmen gleichermassen zugutekommt» (Badura et al., 1999). Aus den bisher dargestellten Anforderungen und Bezügen leiten sich die komplexen Dynamiken im BGM ab. Systemisch lassen sich Kommunikations- und Handlungserfordernisse sowie Interventionen auf den folgenden Ebenen unterscheiden (Rimbach & Wienemann, 2015):

  • Analyse
  • Bestandsaufnahme und Problem-bzw. Projektdefinition
  • Massnahmenplanung
  • Auswahl und Aushandlung der Umsetzung bzw. der Intervention in verhaltens- und verhältnisorientierte Massnahmen − Evaluation und Wirkungskontrolle 
  • Erfolgsbewertung und Zielerreichung

Diese Kernprozesse bauen aufeinander auf und sind als ein zentrales Instrument der Prozessorientierung zu verstehen.

Sie tragen dazu bei, dass das BGM als ein lernendes System und ein längerfristiges Organisationsentwicklungsprogramm angelegt ist (Nieder & Rimbach, 2012). Um die Ziele des BGM effektiv und nachhaltig umzusetzen, ist es von entscheidender Bedeutung, bestimmte Prinzipien in der Umsetzung zu beachten. Diese lehnen sich an die Qualitätskriterien für betriebliche Gesundheitsförderung des Europäischen Netzwerkes für betriebliche Gesundheitsförderung an, die auf der Luxemburger Deklaration basieren (ENWHP, 2019). Zu den Prinzipien zählen Partizipation, Integration, Projektorganisation und Ganzheitlichkeit. Ebenso bedeutend ist es, im BGM das Gender Mainstreaming sowie die unterschiedlichen Arbeits- und Lebenssituationen in den Belegschaften zu beachten (Bornheim & Sieben, 2014; Pieck, 2013). Die von deLuetin Mitarbeitenden eingebrachten Unterschiede sowie die Vielfalt im Unternehmen (Diversity) sind ebenso zu berücksichtigten (Busch & Clasen, 2014).

    Erfolgsfaktoren und Handlungsfelder

    Mehr Wohlbefinden und Leistung am Arbeitsplatz – das wünschen sich Mitarbeitende genauso wie Arbeitgeber. Ein effektives betriebliches BGM kann den Wohlfühlfaktor am Arbeitsplatz erheblich steigern. Von Bedeutung bei der Entwicklung und Konzeptionierung eines BGM ist, dass verschiedene Erfolgsfaktoren beachtet werden. Die Erfolgsfaktoren bzw. Kriterien beschreiben einen Idealtypus eines gesundheitsfördernden und demografieorientierten Unternehmens, der in der Praxis kaum anzutreffen sein dürfte. Diese weisen jedoch den Weg zu gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in gesunden Unternehmen: Sie bieten Orientierung für die Gestaltung der Betriebspolitik und zeigen Unternehmen auf, wo ihre augenblickliche Position auf diesem Weg ist und wie weit sie vom Zielzustand entfernt sind (Rimbach, 2014). Die untenstehende Tabelle gibt einen Überblick zu den Erfolgsfaktoren. Der Aufbau und die Implementierung eines BGM ist selbst ein Projekt im Rahmen der Organisationsentwicklung, das nach den Prinzipien der «Lernenden Organisation» gestaltet werden sollte (vgl. Rimbach, 2020). Ein effizientes und wirksames BGM-Projekt zeichnet sich durch einen bewusst geplanten Prozess aus. Die von der Steuerungsgruppe angestossenen Projekte und Prozesse wirken wie eine beständig fortschreitende Organisationsentwicklungs- und Lernspirale (Nieder, 2004).
    Dabei sollen die unterschiedlichen Ansätze ineinandergreifen. Das stellt vielfach einen Erfolgsfaktor für die  Umsetzung und Nachhaltigkeit der demografieorientierten und gesundheitsfördernden Massnahmen dar. Die Handlungsfelder sind nicht «trennscharf», sondern überschneiden sich, hängen zusammen und führen zu Synergieeffekten, wenn z.B. arbeitsorganisatorische Veränderungen an vorab stattfindende Qualifizierungsmassnahmen gebunden sind. Zu betonen ist, dass jede Organisation eine andere Ausgangslage hat. Daher sind eine systematische Analyse der betriebsindividuellen Problemlagen und eine Transformationsleistung unerlässlich (Rimbach, 2014).

      Kooperation mit internen und externen Akteuren

      Beim Auf- und Ausbau des betrieblichen Demografiemanagements kann eine Vielzahl von internen und externen Experten Unterstützung leisten. Somit sollten die Steuerung und die Koordination im BGM interdisziplinär besetzt sein. Hierzu zählen interne Akteure, die auf gesetzlicher Basis tätig werden, sowie Beauftragte, Stabsstellen, Fachkräfte und Fachabteilungen (BGM-Koordinatoren/-Fachpersonen, Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Sicherheitsbeauftragte, HR-Fachpersonen, Qualitätsmanagement usw.). Zu den externen Akteuren zählen Kooperationen mit verschiedenen institutionellen Einrichtungen sowie die Zusammenarbeit aufgrund gesetzlicher Verpflichtung (Rimbach, 2017).

      Fazit und Ausblick

      Die Herausforderungen aufgrund des demografischen Wandels lassen sich besser mit Belegschaften bewältigen, die mit den Veränderungen offensiv umgehen und in die Gestaltung der Arbeitsbedingungen einbezogen werden (Rimbach, 2018). Der Fokus sollte folgerichtig auf die alternsgerechten Arbeitsbedingungen gelegt werden (vgl. Klippert, 2017; Schröer et al., 2016):

      1. Abbauen von Belastungen durch gute Arbeitsgestaltung mit dem Ziel, Arbeitstätigkeiten mit angemessenen Beanspruchungen zu schaffen (beanspruchungsoptimale Gestaltung).
      2. Stärken von Ressourcen durch lern-, persönlichkeits- und gesundheitsförderliche Arbeitsgestaltung (Gestaltung personaler du organisationaler Ressourcen).
      3. Stärken der Veränderungs- und Gestaltungskompetenz der Mitarbeitenden

      (Erstpublikation in der Zeitschrift Mangagement und Qualität 7-8/2021)

      Badura, B.; Ritter, W., Scherf, M. (1999). Betriebliches Gesundheitsmanagement – ein Leitfaden für die Praxis. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung.

      Bornheim, N.; Sieben, B. (2014). Auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit in Belegschaften. In: Badura, B. et al. (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2014. Erfolgreiche Unternehmen von morgen – gesunde Zukunft gestalten (S. 85–92). Berlin/Heidelberg: Springer. 

      Busch, C.; Clasen, S. (2014). Multikultu-relle Belegschaften. In Badura, B. et al. (Hrsg.), Fehlzeiten-Report 2014. Erfolgrei-che Unternehmen von morgen – gesunde Zukunft gestalten (S. 93–102). Berlin/Heidelberg: Springer

      Pieck, N. (2013). Gender Mainstreaming in der betrieblichen Gesundheitsförderung. Zur Bedeutung eines beteiligungsorientierten Vorgehensmodells. Schriftenreihe zur interdisziplinären Arbeitswissenschaft. Band 1. Mering: Rainer Hampp.

      European Network for Workplace Health Promotion (ENWHP) (2019). About the European Network for Workplace Health Promotion (ENWHP). Verfügbar unter ENWHP | European Network For Workplace Health Promotion (Stand: 09.05. 2021).

      Klippert, J. (2017): Gesund und leistungs-fähig in die Zukunft – Produktionsarbeit 4.0 mit alternden Belegschaften. In: Richter, G, Hecker, C; Hinz, A (Hrsg.) Produktionsarbeit mit alternden Belegschaften. Berlin: Erich Schmidt, S. 27 – 41.

      Matusiewicz, D.; Nürnberg, V.; Nobis, S. (2018). Gesundheit und Arbeit 4.0. – Wenn Digitalisierung auf Mitarbeitergesundheit trifft. Heidelberg: medhochzwei.

      Nieder, P. (2004): Organisationsentwicklung und Betriebliches Gesundheitsmanage-ment. In: Organisationsentwicklung, H. 4, S. 44–56.

      Nieder, P.; Rimbach, A. (2012). Gute Leistung durch Gesundheit und Wohlbefinden. Entwicklung und Realisierung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements. Weiterbildung – Zeitschrift für Grundlagen, Praxis und Trends, 23 (1), S.30–34.

      Oppolzer, A. (2005). Betriebliche Gesundheitspolitik und betriebliches Gesundheitsmanagement. In ZSR Zeitschrift für Sozialreform 51, Sonderheft (S. 51–71). Berlin: De Gruyter. Oppolzer, A. (2010). Gesundheitsmanagement im Betrieb. Integration und Koordination menschengerechter Gestaltung der Arbeit. Hamburg: VSA. 

      Rimbach, A. (2020): Arbeitsgestaltung in der Pflege. Betriebliche Gesundheitsma-nagement. 3. Auflage. Studienbrief der Hamburger Fern-Hochschule. Hamburg: HFH. 

      Rimbach, A. (2018): Digitalisierung, demografischer Wandel und Gesundheit – Erfolgsfaktoren zur Entwicklung und Realisierung eines betrieblichen Demografie- und Gesundheitsmanagements. In: Johns, Henry; Vedder, Günther (Hrsg.). Organisation von Arbeit und berufsbeglei-tendem Lernen. Schriftenreihe zur interdis-ziplinären Arbeitswissenschaft. Band 10. München und Mering: Rainer Hampp Verlag, S. 227–245.

      Rimbach, A. (2017): Megatrend trifft Megatrend. Arbeiten 4.0. Der Betriebsrat. Seehausen: ifb, 4: 16–19.

      Rimbach, A. (2014): Gesund älter werden und arbeitsfähig bleiben. Ein Leitfaden zum Einstieg in ein Demografie- und Gesundheitsmanagement für kleine und mittelständische Unternehmen. Hamburg: ChemieNord.

      Rimbach, A. (2013a). Entwicklung und Realisierung eines integrierten betrieblichen Gesundheitsmanagements in Krankenhäusern. Betriebliches Gesundheitsmanagement als Herausforderung für die Organisationsentwicklung. Mering: Rainer Hampp

      Rimbach, A. (2013b). Nachhaltigkeit sichern – Entwicklung und Realisierung eines betrieblichen Gesundheitsmanagements im Krankenhaus (Teil III). Im OP. Fachzeitschrift für OP-Pflege und OTA,  
      3/2, 89–92.

      Rimbach, A.; Etzer-Hofer, I. (2019). Grundlagen Betriebliches Gesundheits-management. In: Pflegerecht – Pflege in Politik, Wissenschaft und Ökonomie.  Bern: Stämpfli.12: 2-16. 

      Rimbach, A.; Wienemann, E. (2015). Arbeitsgestaltung in der Pflege – Betriebliches Gesundheitsmanagement. Hamburg: HFH

      Scholz, C. (2018). Mogelpackung Work-Life-Blending: Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen. Weinheim: Wiley-VCH Verlag & Co. KGaA.

      Schröer, A.; Richter, G.; Rimbach, A. & Schlegel, U. (2016): Kompetenz gewinnt, Wie wir Arbeits-, Wettbewerbs- und Veränderungsfähigkeit fördern können. Berlin. Drittes Memorandum, Initiative Neue Qualität der Arbeit (Hrsg.). Berlin: INQA.
      Verfügbar unter Kompetenz gewinnt – Wie wir Arbeits-, Wettbewerbs- und Veränderungsfähigkeit fördern können (inqa.de) [09.05.2021].

      Schüth, N. J. (2018): Checkliste individuelle und organisationale Resilienz – ein Einstieg für Unternehmen. ifaa –Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. (Hrsg.).
      Bergisch Gladbach: ifaa.