Dr. Astrid Rimbach 05.05.2021

Belastungen steigen – psychische Gesundheit im Büro fördern

Digitalisierung und Arbeitsverdichtung aufgrund des technologischen Fortschritts und der zunehmenden globalen Vernetzung stellen die Beschäftigten vor neue Herausforderungen. Durch den Rückgang von körperlichen Belastungen in weiten Bereichen der Erwerbsarbeit geraten psychische Belastungen bei der Arbeit und damit verbundene Schlagwörter wie «Stress» oder «Burnout» zunehmend ins Blickfeld.

Viele Beschäftigte sind ständig online erreichbar. Mehrfach pro Minute gehen E-Mails ein, die bearbeitet werden müssen. Kolleginnen und Kollegen kommen ins Büro, Kundinnen und Kunden rufen an. Diese Unterbrechungen binden die Aufmerksamkeit. Ständige Aufmerksamkeit und Konzentration werden als besonders belastend empfunden. Das trifft auch auf Termin- und Leistungsdruck zu. Eine weitere psychische Belastung entsteht durch Arbeitsunterbrechungen und Multitasking. Die Arbeitswissenschaft stuft beide Einflussfaktoren als psychische Belastung ein. Das ist wertneutral gemeint und bedeutet: Psychische Belastungen sind grundsätzlich nichts Negatives. Sie gehören zur Arbeitswelt dazu und werden von vielen Beschäftigten als neue Herausforderung erlebt. Der Mensch braucht ein gewisses Ausmass an psychischer Belastung, um sich weiterzuentwickeln und zufrieden arbeiten zu können. Doch wie bei so vielen Dingen entscheidet auch hier die «Dosis» der Belastung darüber, ob die Belastung zu einer positiven oder negativen Beanspruchung führt (BAuA, 2018, S.6ff.;VBG, 2018, S.76).

Belastung und Beanspruchung

Psychische Belastung ist definiert als Gesamtheit aller erfassbaren Einflüsse, die von aussen auf den Menschen zukommen und psychisch auf ihn einwirken (DIN ENISO10075-1). Psychische Belastungen können sowohl berufliche als auch ausserberufliche Faktoren sein. Der Begriff Belastung wird in der Arbeitswissenschaft wertneutral, im allgemeinen Sprachgebrauch jedoch häufig negativ benutzt. Psychische Beanspruchung ist die unmittelbare Auswirkung der psychischen Belastung im Individuum in Abhängigkeit von seinen jeweiligen Voraussetzungen, einschliesslich der individuellen Bewältigungsstrategien (DIN EN ISO10075-1).

Psychische Beanspruchung ist die Folge von psychischer Belastung. Psychische Belastungen können sowohl positive (Lern-oder Trainingseffekte, Aktivierung) als auch negative Beanspruchungen (psychische Sättigung, psychische Ermüdung und Stress) hervorrufen. Ein und dieselbe Belastung kann bei verschiedenen Personen zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen (VBG, 2018, S.77). Andauernde beeinträchtigende psychische Beanspru-chungen bergen das Potenzial längerfristiger Gesundheitsgefahren (Morschhäuseret al., 2014, S.22).

2017 waren laut der Schweizerischen Gesundheitsbefragung 15 Prozent der Bevölkerung durch psychische Probleme beeinträchtigt: vier Prozent stark und elf Prozent mittel. Frauen berichten häufiger über mittlere oder hohe psychische Belastungen als Männer (18 Prozent gegenüber 12 Prozent). Zudem lässt sich ein starker sozialer Gradient feststellen, vor allem bei den Personen im Erwerbsalter. Die Werte blieben in den letzten zehn Jahren auf demselben Niveau (BFS, 2018, S.20). Da jeder Arbeitsplatz Einflüsse auf den Menschen ausübt, sind psychische Belastungen untrennbar mit der Arbeit (auch am Büroarbeitsplatz) verbunden. Die nachfolgende Abbildung eins zeigt mögliche Ursachen für psychische Belastungen bei Büroarbeitsplätzen auf.

Ziel sollte es sein, jene Belastungen herauszufiltern, die bei der überwiegenden Anzahl von Personen, unabhängig von ihren individuellen Voraussetzungen, zu negativen Beanspruchungsfolgen und Gefährdungen der Gesundheit führen. Sind die oben genannten Handlungsfelder und Faktoren jedoch gut gestaltet, lösen sie keine negativen Beanspruchungen aus, sondern stellen – im Gegenteil dazu – gesundheitsförderliche Ressourcen dar (VBG,2018, S.78ff.).

Verbesserung der Arbeitssituation

Was kann der Betrieb konkret tun? Hierbei gibt es ein integriertes Handlungsmodell für gesundes und erfolgreiches Arbeiten, in welchem zwei Ansatzpunkte berücksichtigt werden (VBG, 2018, S.83):

  • Gestaltung des Arbeitsplatzes
    Die Rahmenbedingungen sollten ein Arbeiten ermöglichen, das nicht zu negativen Folgen durch psychische Belastungen führt.
  • Stärkung der individuellen Gesundheitskompetenz
    Im Fokus stehen hier vor allem die individuellen Fähigkeiten der Beschäftigten. Neben der ausreichenden fachlichen Qualifizierunggilt es vor allem, den Aufbau von emotionalen und sozialen Kompetenzen zu fördern – zum Beispiel durch Weiterbildungen in«Emotionsarbeit im Kundenkontakt»oder «Umgang mit Konflikten».

Das Ziel ist: heute besser zu sein als gestern und morgen besser zu sein als heute! Wie geht das? – ganz einfach mit «Ideen-Treffen»!

Wollen Sie als Geschäftsleitung und/oder Führungskraft Ihre betriebliche Situationverbessern? Sind Sie an der Einführung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) interessiert? Wollen Sie psychische Belastungsfaktoren in Ihrem Betrieb erkennen und reduzieren? Sind Sie bereit, alle aktiv mit einzubinden? Vertrauen Sie Ihren Beschäftigten, selbst Probleme lösen zu können? Sind Ihre Beschäftigten bereit, an den Verbesserungen mitzuarbeiten (DGUV, 2016, S.7)?

Die nachfolgend dargestellte Methode hilft Ihnen, Stärken Ihres Betriebes oder Ihrer Arbeitsgruppe zu stärken und Schwächen zu schwächen. Es werden Themen wie zum Beispiel Arbeitsabläufe, -organisation, -aufgabe wie auch Betriebsklima, Kommunikation und Stress in den Blick genommen, die im Rahmen des KVP Schritt für Schritt optimiert werden können. Der Ideen-Treff ist ein leicht umsetzbares und regelmässiges Workshop-Konzept mit einem festgelegten Muster zur Erhebung psychischer Belastungen und Fehlbeanspruhungen. Gleichzeitig werden dabei konkrete Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitssituation entwickelt und beurteilt (Im OP, 2011, S.83; DGUV, 2016, S.7).

Folgende Punkte sind in der Umsetzungzu beachten:

  • Zu Beginn des Prozesses müssen Sie als Führungskraft Ihren Mitarbeitenden folgende Aspekte verdeutlichen:
    Warum die Ideen-Treffen für das Unternehmen wichtig sind.
    Welche Ziele mit den Ideen-Treffen verfolgt werden.
    Wie der Ablauf der Ideen-Treffen erfolgen soll.
  • Bei den Ideen-Treffen werden Lösungen gesucht. Ursachen und «Schuldige» für Probleme sind nicht von Bedeutung. Alle Lösungen, die Sie oder Ihre Beschäftigten weiterbringen, sind wichtig – gleichgültig warum und von wem sie eingebracht wurden.
  • Am Anfang werden eher organisatorische Probleme im Vordergrund stehen. Mit zunehmender Erfahrung und zunehmendem Vertrauen in die Ideen-Treffen können grundsätzliche Hindernisse besprochen und bearbeitet werden.

Fazit

Durch die Analyse der Arbeitssituation gelingt es in kurzer Zeit, für das Thema psychische Gesundheit auf allen Ebenen des Betriebes zu sensibilisieren und situationsspezifische Massnahmen, die auf eine hohe Akzeptanz stossen, passgenau zu entwickeln. Die Mitarbeitenden werden als Expertinnen und Experten ihrer Arbeitssituation anerkannt. Auch im Home Office lässt sich die individuelle Gesundheitskompetenz mit einfachen Regeln stärken.

(Erstpublikation in der Zeitschrift KMU Rundschau Ausgabe 1/2021)

 

Anmerkung

1.) BAuA (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) (2018a). Arbeitsunterbrechungen und Multitaskingtäglich meistern. Dortmund: BAuA. Verfügbar unter www.baua.de/DE/Angebote/Publikationen/Praxis/A78.pdf (28.02.2021).

3.) BFS – Bundesamt für Statistik (2018). Schweizerische Gesundheitsbefragung 2017. Bern: BFS.https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/gesundheit/erhebungen/sgb.assetdetail.6426300.html(28.02.2021).

4.) DGUV – Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung e.V(2016). Gesund und fit im Kleinbetrieb. So geht’s mitIdeen-Treffen. Tipps für Wirtschaft, Verwaltung und Dienstleistung. Berlin. publikationen.dguv.de/widgets/pdf/download/article/804 (28.02.2021).

5.) Morschhäuser, M., Beck, D.&Lohmann-Haislah, A.(2014).Psychische Belastungen als Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung. In Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Hrsg.), Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Erfahrungen und Empfehlungen (S.19–44). Dortmund: BAuA.

6.) Rimbach, A.&Wattendorff (2011). Gemeinsam Lösungen finden. Die Arbeitssituationsanalyse als Baustein im Betrieblichen Gesundheitsmanagement. In: Im OP, Heft 2,Georg Thieme Verlag KG: Stuttgart/New York, S.83–86.

7.) VBG – Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (2018).Gesundheit im Büro. Fragen und Antworten. bc-verlag:Wiesbaden. www.vbg.de/SharedDocs/Medien-Center/DE/Broschuere/Themen/Bildschirm_und_Bueroarbeit/Gesundheit_im_Buero.pdf;jsessionid=74048ACB9239E6A7B16AEFB2040FACDA.live4 (28.02.2021).