«Nachhaltigkeit ist eine Reise, deren Abschluss wir nicht so bald erwarten dürfen»
In der umfangreichen Vertiefung des MSc Sustainability and Circular Innovation geben Dozierende aus unterschiedlichsten Ländern geben ihr Wissen und ihre Erfahrungen weiter: Wie entwickeln sich Nachhaltigkeitsbestrebungen in China? Welche Ausrichtungen gibt es in Süd- und Nordamerika? Was passiert gerade auf EU-Ebene? «Nachhaltigkeit braucht globale Anstrengung», sagt Dr. Natascha Hebestreit, FFHS-Dozentin und Expertin für Nachhaltigkeit.

Natascha Hebestreit hat damals als Fachbereichsleiterin den Masterstudiengang Sustainability and Circular Innovation mit aufgebaut und unterrichtet aktuell das Fach Leadership for Change and Responsibility an der FFHS.
Natascha Hebestreit, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich?
Darauf möchte ich gern mit einem Zitat von William McDonough antworten, Architekt und Designer, der Nachhaltigkeit schon früh zum Leitstern für seine Entwicklungen gemacht hat: «Sustainability takes forever. And that’s the point.» Das kann man im Deutschen gar nicht so treffend auf den Punkt bringen. Für mich stecken darin mehrere Sichtweisen. Einmal kann ewig (forever) auf das Zirkuläre hinweisen, also Kreislaufwirtschaft ohne Anfang und Ende. Dann ist es aber natürlich auch ein mühseliger Prozess und eine Entwicklungsarbeit, die an vielen Stellen einfach nicht schnell genug geht. Es zeigt aber auch, dass Nachhaltigkeit eine Reise ist, deren Abschluss wir nicht so bald erwarten dürfen. Bevor unser Weltwirtschaftssystem wirklich nachhaltig ist, werden wir noch sehr viele gute Ideen, harte Arbeit, unablässige Überzeugungsleistung und ganz viel gemeinsame Anstrengung brauchen.
Die Themen Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft sind in den letzten Jahren zu Megatrends in der Wirtschaft gewachsen. Warum, und halten diese noch an?
Wenn wir uns den weiten Weg anschauen, den wir als Weltgemeinschaft noch vor uns haben, wundere ich mich eher, warum dieser Megatrend nicht noch umfassender in alle Bereiche unseres Wirtschaftslebens dringt. Bei dem, was ökologisch wie auch sozial auf dem Spiel steht, wäre eine sehr viel intensivere Beschäftigung mit Nachhaltigkeitsthemen wünschenswert. Andererseits sind sehr viele Entwicklungen in den letzten Jahren auch angestossen worden und besonders Gespräche mit jungen Menschen und unseren Studierenden – die ja von den Auswirkungen noch viel stärker betroffen sein werden als diejenigen, die aktuell in Politik und Wirtschaft Entscheidungskompetenzen haben – stimmen mich immer wieder zuversichtlich, dass wir das 1,5-Grad-Ziel wirklich erreichen können.
«An der FFHS haben wir zudem das Glück, dass unsere Studierenden selbst berufserfahren sind und mit ihren eigenen Erfahrungen die Lehre wunderbar bereichern können.»
Sie haben die Studierenden angesprochen – was vermitteln Sie in Studiengängen wie dem MSc Sustainability and Circular Innovation an der FFHS und im Nachhaltigkeitsmanagement im entsprechenden BSc hauptsächlich?
Bei der Nachhaltigkeit haben wir es mit einer sehr komplexen Thematik zu tun, die in der konkreten Anwendung regional und situativ sein muss, um erfolgreich zu sein. Was in einer Weltregion und für einen bestimmten Nischenmarkt eine nachhaltige Lösung ist, kann in einer anderen Region mit anderen Ausgangsbedingungen und für den Massenmarkt eine Katastrophe sein. Die Studierenden müssen also lernen, dass nachhaltige Lösungen kontextgebunden sind und für viele verschiedene Bereich separat entwickelt werden müssen. Das ist auch für die Lehre eine Herausforderung – gewöhnlich haben wir es beispielsweise im Innovationsmanagement mit oft allgemein gültigen Prinzipien zu tun und Geschäftsmodelle zeichnen sich gerade dadurch aus, dass sie von klugen Unternehmern immer wieder in neue Branchen übertragen werden. Beim Nachhaltigkeitsmanagement ist es genau umgekehrt: abstrakte Prinzipien wie die Menschenrechte oder Emissionsvorgaben müssen einzelfallbezogen umgesetzt werden und die Komplexität der systemischen Zusammenhänge zwingt uns immer wieder dazu, genau hinzuschauen, um unerwünschte Nebeneffekte nicht zu übersehen.
Wie gelingt es Ihnen, Nachhaltigkeit nicht nur theoretisch zu lehren, sondern auch praktisch zu veranschaulichen?
Das ist hingegen etwas, das im Bereich Nachhaltigkeit besonders gut gelingt, weil wir so viele unterschiedliche Unternehmen mit ihren Ansätzen, Lösungsstrategien, Erfolgen und Fehlschlägen haben, dass einem manchmal die Auswahl schwerfällt. Es gibt keinen Teilaspekt, der nicht durch Praxisbeispiele veranschaulicht werden kann. Auch weil wir bei dem Thema nicht an bestimmte Länder oder Branchen gebunden sind, sondern aus der bunten Vielfalt an Unternehmen sowohl aktuelle und bekannte Fälle heranziehen können als auch eher kleine und weniger bekannte Ansätze ansehen können. An der FFHS haben wir zudem das Glück, dass unsere Studierenden selbst berufserfahren sind und mit ihren eigenen Erfahrungen die Lehre wunderbar bereichern können.
Wie bringen Sie interdisziplinäre Ansätze in der Lehre unter?
Wenn Sie eine so komplexe Thematik wie die Nachhaltigkeit betrachten möchten, kommen Sie an Interdisziplinarität gar nicht vorbei. Das spiegelt sich sowohl in den verschiedenen Modulen und ihren Schwerpunkten wider als auch in der Ausbildung und Berufserfahrung der Dozierenden. Wenn Sie Emissionen berechnen wollen oder eine Ökobilanz verstehen möchten, brauchen Sie den Blick eines Ingenieurs. Wenn es um Fragen der sozialen Gerechtigkeit geht, hilft der Blick eines Philosophen. Technologien sind vor allem für die konkrete Umsetzung relevant, Sie können aber auch ihren Beitrag zur Erreichung der Kreislaufwirtschaft kritisch hinterfragen – und kommen dann eventuell zu der Schlussfolgerung, dass sie zwar notwendig sind, aber die Grundprobleme meist nicht technologischer Natur sind. Wenn es um Normen und Vorschriften geht, hilft ein rechtswissenschaftlicher Blick auf bestimmte Themen und um grundlegende Veränderungen in einem Unternehmen voranzubringen, müssen Sie Mechanismen der Mitarbeiterführung verstehen. Da ist es unabdingbar, dass wir in unserem Master nicht nur Dozierende aus der ganzen Welt haben, sondern auch ganz unterschiedliche Disziplinen abdecken. Und wenn es einmal ein Spezialthema gibt, das ganz besondere Kompetenzen verlangt, arbeiten wir auch gern mit Gastreferenten.
Welche Kompetenzen im Bereich Nachhaltigkeit halten Sie heutzutage für essenziell?
Die angesprochene Interdisziplinarität macht vielen Studierenden noch immer Kopfzerbrechen. Manche fragen mich, ob diese ganze Rechnerei wirklich notwendig ist, und wieder andere stöhnen, weil hinter allem eine philosophische Dimension zu stecken scheint. Nachhaltigkeitsexperten sind Generalisten – und müssen das auch sein. Dann muss man mit Komplexität klarkommen und verstehen, dass es selten einfache und klare Lösungen gibt. Viele verschiedene Seiten müssen betrachtet und viele Aspekte einbezogen werden. Das erscheint mir aber für den heutigen Weltmarkt ohnehin eine zentrale Kompetenz für Entscheidungsträger zu sein. Mein Hauptziel – wenn Sie so wollen, das oberste Ziele für Studierende in Studiengängen «of Science» – ist aber die Ausbildung einer kritischen Reflektionsfähigkeit: Fundiertes Argumentieren, kritische Überprüfung der eigenen Annahmen und Skepsis gegenüber allem, was auf den ersten Blick einleuchtet. Denn gerade dort verstecken sich unzulässige Vereinfachungen besonders gern. Alles Kompetenzen also, bei denen KI höchstens unterstützen kann. Kritisch nachdenken müssen unsere Studierenden noch selbst.