Beim Klimaschutz können wir über die Stränge schlagen
Was hat Krieg mit dem Klimawandel zu tun? Und warum sollten wir uns in Zeiten, in denen die grössten Verursacher von Emissionen sich gerade von internationalen Vereinbarungen verabschieden, besser nicht fragen, welchen Beitrag unsere Schweiz da schon leisten kann?

In ihrem Expertinnenbeitrag über Klimawandel und Nachhaltigkeit zeigt Dr. Natascha Hebestreit, Dozentin im MSc Sustainability & Circular Innovation der FFHS, eindrückliche globale Kausalitäten auf.
2023 waren die weltweiten Rüstungsausgaben so hoch wie noch nie und die Zahl der Kriege und zwischenstaatlichen Konflikte erreichte in den letzten zehn Jahren einen traurigen Rekordwert. Es gibt wenig, was so klimaschädlich ist wie ein bewaffneter Konflikt. Zum Vergleich verbraucht ein Kampfjet F35 pro Minute rund 150 Liter Treibstoff. Rechnet man das in CO₂-Emissionen um, stösst ein solcher Jet in weniger als acht Minuten Flugzeit aus, was der Schweizer Durchschnittsbürger im ganzen Jahr verursacht. Oder anders gesagt: Wäre das weltweite Militär ein Staat, so würde es mit seinen Emissionen hinter China, den USA und Indien auf dem vierten Platz liegen. Und da sind die Emissionen durch Bomben, brennende Städte, zerstörte Energieinfrastrukturen und einen Wiederaufbau noch nicht eingerechnet! Durch den russischen Angriffskrieg in Trockenzeiten verbrannten im letzten Jahr 92 Tausend Hektar ukrainischer Wald. Zusätzlich zu den Waldbränden aus den zwei Jahren zuvor entspricht das der Fläche des Kantons Zürich. Da kann man sich schon fragen, ob das Velo zur Arbeit oder der recycelte Joghurtbecher wirklich die Mühe wert sind. Und welchen Beitrag die Schweiz überhaupt zum globalen Klimawandel leisten kann.
Es betrifft auch uns
Der Klimawandel kommt. Und seine Auswirkungen werden schlimm sein. Selbst dann, wenn in der öffentlichen Wahrnehmung gerade andere Probleme dominieren. Und wir alle wissen, dass er kommt – und auch dass es schlimme Folgen mit sich bringt. Schauen wir in den Global Risks Report des WEF, dann sehen wir, was die Stunde geschlagen hat: Während der Blick auf kurzzeitige Risiken (bis zwei Jahre) noch bunt gemischt ist und Sorgen vor bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikten, Handelskriege und Falschinformation der Öffentlichkeit zu den grössten erwarteten Risiken gehören, ist das Bild für die nächsten zehn Jahre gezeichnet von Naturthemen: Extremwetterereignisse, Zusammenbruch der Ökosysteme, Ressourcenknappheit und Biodiversitätsverlust laufen den sozialen und technischen Konflikten den Rang ab. Gegen das, was da auf uns zukommt, wirkt jeder bewaffnete Konflikt harmlos. Selbst wenn wir als Schweiz mit Hitzewellen bei einer gleichzeitigen Erhöhung des Durchschnittsalters in der Bevölkerung, Sommertrockenheit mit all ihren Folgen für die Landwirtschaft, schmelzenden Gletschern, intensiveren Starkniederschlägen und Erdrutschen irgendwie klarkommen sollten – was machen wir mit weltweit bis zu 216 Millionen Menschen, die bis 2050 durch den Klimawandel ihre Heimat verlassen müssen? Für viele gehört Subsahara-Afrika schon heute nicht gerade zu den Sehnsuchtsorten. Doch in den nächsten 25 Jahren wird diese Gegend für rund 86 Millionen Menschen schlicht unbewohnbar.
Übertreibung erwünscht
Selbst wenn wir die Klimaziele von Paris noch irgendwie einhalten können und die globale Erderwärmung bei unter zwei Grad Celsius liegt, bedeutet das nicht, dass wir unseren Planeten gerettet hätten. Die Frage unserer Enkel, was ein Gletscher sei, werden wir ohnehin nicht mehr so leicht mit einem Fingerzeig auf die heimische Bergwelt beantworten können. Das, worum es im Augenblick geht, ist Schadensbegrenzung. Jedes eingesparte Kilogramm CO₂ bedeutet etwas weniger Leid und Tote. Jedes bisschen Treibhausgas, das nicht in die Atmosphäre gelangt, macht das Leben in den nächsten Jahren etwas erträglicher. Dabei spielt es keine Rolle, durch wen und wo auf der Welt Emissionen gesenkt werden – hier ist unsere Atmosphäre ganz unparteiisch. Wichtig ist nur, dass es möglichst viel ist. Ist das nicht in Zeiten von Mässigung und Kompromissen auch mal eine gute Nachricht? Beim Einsparen von Emissionen können wir endlich richtig hemmungslos über die Stränge schlagen!