18.09.2025

Scrollen, liken, teilen – die psychischen Folgen von Social Media

Nutzen Sie soziale Medien passiv? Dann sind sie vielleicht müde vom Scrollen. Welchen Einfluss soziale Medien auf die emotionale Erschöpfung hat, untersuchte Wirtschaftsingenieur Valon Ibraimi in seiner Bachelorarbeit. Im Interview spricht er über die überraschendsten Ergebnisse, die Verantwortung der Schule und seinen eigenen Social-Media-Konsum.

Valon Ibraimi, wann haben Sie zum letzten Mal einen ganzen Tag Ihr Handy weggelegt?
Zuletzt habe ich mein Handy während meinen Sommerferien in Italien konsequent im Hotelzimmer gelassen. Am Morgen habe ich kurz paar Nachrichten beantwortet und dann war ich erst am späteren Abend wieder erreichbar, eine gute Erfahrung, die mir erneut den Wert digitaler Pausen vor Auge geführt hat.

Auf welchen Social-Media-Plattformen surfen Sie?
Ich nutze hauptsächlich Instagram, Facebook, LinkedIn und YouTube. Instagram zur Inspiration, Facebook für den familiären Kontakt, LinkedIn dient mir als berufliches Netzwerk und YouTube zur Weiterbildung.

Wie sind Sie auf die Idee für ihre Bachelorarbeit gekommen?
Vor etwa zwei Jahren hatte ich ein Gespräch mit einem Neuropsychologen, das mich nachhaltig geprägt hat. Er erklärte mir, dass insbesondere Menschen mit neurologischen Verletzungen, durch die Überflutung digitaler Informationen stark belastet werden können. Diese digitale Reizüberlastung könnte sich negativ auf den kognitiven Heilungsprozess auswirken, etwa durch erhöhte mentale Erschöpfung, Reizbarkeit oder Konzentrationsprobleme. Diese Erkenntnis hat mich tief berührt, nicht nur wegen ihrer medizinischen Relevanz, sondern auch, weil sie mir die unsichtbare Kraft und zugleich Gefahr digitaler Umwelteinflüsse vor Augen geführt hat. Ich wollte verstehen, wie weitreichend diese Einflüsse tatsächlich sind – in unserem ganz normalen Alltag. Mit meiner Arbeit will ich ein Bewusstsein schaffen und einen Beitrag zum verantwortungsvolleren Umgang mit digitalen Medien leisten.

Wie gross ist die mentale Erschöpfung, ausgelöst durch die sozialen Medien, bei den Menschen in der Deutschschweiz?
Emotionale Erschöpfung durch soziale Medien ist in der Deutschschweiz vorhanden, betrifft jedoch nicht pauschal alle Nutzergruppen gleich. Qualität und Kontext der Nutzung sowie individuelle Unterschiede, wie zum Beispiel Alter, Geschlecht, Medienkompetenz sind entscheidend. Meine Ergebnisse zeigen, dass nicht das «Ob», sondern das «Wie» der Nutzung ausschlaggebend ist.

Zählen die jungen Erwachsenen, die oft am Handy sein dürften, zu den Erschöpfsten? 
Nein, das sind sie nicht und dieses Ergebnis war überraschend. Eine mögliche Erklärung ist, dass jüngere Menschen, insbesondere «Digital Natives», eine höhere digitale Resilienz aufweisen und mit sozialen Medien natürlicher umgehen. Ältere Nutzergruppen hingegen können eher Schwierigkeiten mit der Informationsverarbeitung oder sozialen Vergleichen haben, was sich in erhöhter Erschöpfung auszeichnet.

«Es braucht eine frühzeitige Medienbildung. Lernende sollten befähigt werden, digitale Selbstfürsorge zu erlernen, genauso selbstverständlich wie Lesen oder Rechnen.»

Ihre Arbeit hat gezeigt, dass Frauen stärker von mentaler Erschöpfung betroffen sind, warum?
Ja, die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den Geschlechtern, Frauen berichten tendenziell häufiger von emotionaler Erschöpfung als Männer. Studien wie von Anderson (2023) deuten darauf hin, dass sie in sozialen Medien stärker in soziale Vergleiche, Selbstdarstellung und emotionaler Interaktionen involviert sind. Diese Prozesse können belastend wirken, vorwiegend in einem digitalen Umfeld, das häufig idealisierte Lebensrealitäten zeigt.

Inwiefern sind Menschen betroffen, die soziale Medien eher passiv nutzen?
Passive Nutzung bedeutet, Inhalte auf sozialen Medien nur zu konsumieren, ohne selbst aktiv zu interagieren, beispielsweise durch blosses Scrollen, ohne zu liken, zu kommentieren oder eigene Beiträge zu posten. Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Form der Nutzung häufig mit negativen psychischen Effekten verbunden ist. Darüber hinaus führt passive Nutzung oft dazu, dass die Betroffenen weniger soziale Rückmeldungen und weniger emotionale Bestätigung erhalten, weil sie selbst kaum aktiv in Interaktionen eingebunden sind. Diese fehlende soziale Resonanz kann das Gefühl der Isolation verstärken. Im Gegensatz dazu kann eine aktive Nutzung mit stärkeren sozialen Bindungen und einem höheren Wohlbefinden verbunden sein.

Welche Ergebnisse Ihrer Arbeit haben Sie am meisten überrascht?
Besonders unerwartet war, dass intensive Nutzung nicht zwangsläufig mit höherer Erschöpfung einhergeht. Vielmehr zeigte sich, dass die Qualität der Nutzung, insbesondere die Art der Inhalte und die persönliche Einstellung zur Nutzung, entscheiden ist. Aus diesen Ergebnissen lässt sich vorsichtig ableiten, dass nicht allein die Dauer der Nutzung problematisch ist, sondern vielmehr wie und warum wir diese Plattformen nutzen.

Braucht es Ihrer Meinung nach ein Training für soziale Medien in Schweizer Schulen?
Ja, es braucht eine frühzeitige Medienbildung. Lernende sollten befähigt werden, ihre Mediennutzung kritisch zu hinterfragen, mit digitalen Identitäten bewusst umzugehen und digitale Selbstfürsorge zu erlernen, genauso selbstverständlich wie Lesen oder Rechnen.

Zur Methodik

Valon Ibraimi hat sich für seine Bachelorarbeit im Studiengang Wirtschaftsingenieurwesen für ein quantitatives Forschungsdesign entschieden. «Das gab mir die Möglichkeit, die Zusammenhänge zwischen der Nutzung sozialer Medien und emotionaler Erschöpfung objektiv und auf Basis einer grösseren Stichprobe zu analysieren», erklärt Ibraimi. Mittels einer Online-Befragung von 144 Teilnehmenden sowie dem Maslach Burnout Inventory wurde der Zusammenhang zwischen Mediennutzung und emotionaler Erschöpfung empirisch untersucht. Die anschliessende Auswertung der Daten hat Ibraimi mittels nichtparametrischer Verfahren, darunter der Kruskal-Wallis-Test und Spearman-Roh-Korrelationen durchgeführt.