«Sucht betrifft nicht nur Einzelne – sie ist auch ein Thema für Unternehmen»
Als Leiterin des Fachbereichs Prävention an der Suchtfachstelle Zürich engagiert sich Iris Legesse dafür, dass Suchtprävention fest in der betrieblichen Gesundheitsförderung verankert ist und nicht erst dann zum Zug kommt, wenn bereits deutliche Probleme sichtbar sind. Sie hat an der FFHS das CAS Betriebliche Gesundheitsförderung absolviert und darin wertvolle Ansätze für ihre Arbeit gefunden. Im Interview spricht sie über Herausforderungen, Verantwortung und darüber, wie Betriebe eine Kultur schaffen können, die sich langfristig für die Gesundheits- und Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden einsetzt.

Iris Legesse ist Leiterin des Fachbereichs Prävention an der Suchtfachstelle Zürich und hat an der FFHS das CAS Betriebliche Gesundheitsförderung absolviert – im Interview gewährt sie interessante Einblicke dazu.
Frau Legesse, Sie leiten den Fachbereich Prävention an der Suchtfachstelle Zürich. Was sind Ihre Aufgaben?
Mein Team im Fachbereich Prävention bietet u.a. Coachings, Fortbildungen und Prozessberatung für Führungspersonen und Personalverantwortliche an – zu Themen wie rechtlichen Fragestellungen, Gesprächsführung und Handlungsmöglichkeiten bei (Verdacht auf) risikoreiches Konsumverhalten oder Suchterkrankungen bei Mitarbeitenden.
Sie arbeiten also mehr mit Betrieben als mit Betroffenen?
Genau. Betroffene und Angehörige wenden sich an unseren Fachbereich «Beratung und Therapie». Wir unterstützen Führungspersonen, die bei Mitarbeitenden riskanten Konsum oder eine mögliche Suchterkrankung vermuten. Dabei geht es oft um Fragen wie: «Wie spreche ich das an?» oder «Was darf ich tun?» Das Ziel sollte sein, den Arbeitsplatz zu erhalten und Betroffenen frühzeitig die nötige Unterstützung zu ermöglichen.
Wie verbreitet sind Suchterkrankungen in der Arbeitswelt?
Genaue Zahlen gibt es kaum, die Dunkelziffer ist hoch. In Europa wird geschätzt, dass zwischen 5 und 20 Prozent der Erwerbstätigen durch den Konsum von Alkohol oder Drogen schwerwiegende Probleme haben. Besonders gefährdet sind zum Beispiel Branchen mit hoher Verfügbarkeit oder hohen Leistungsanforderungen, etwa Gastronomie, Bauwesen oder Führungspositionen.
Wie können Betriebe Suchtprävention konkret angehen?
Idealerweise nicht erst, wenn etwas passiert. Viele rufen uns nach Vorfällen an, zum Beispiel nach einem ausufernden Firmenevent oder nach spezifischen Situationen mit einzelnen Mitarbeitenden. Empfohlen wird die nachhaltige Implementierung von gesundheitsfördernden und suchtpräventiven Massnahmen, damit diese wirksam, praxisnah und im Betrieb gut eingebettet sind. Entscheidend ist eine Kultur, in der man Anzeichen ernst nimmt und hinschaut, statt wegzusehen.
«Prävention beginnt lange bevor ein Problem sichtbar wird – nämlich dort, wo Menschen hinschauen statt wegsehen.»
Welche Unterstützung bietet Ihre Fachstelle an?
Wir führen Schulungen, Workshops und Coachings durch und beraten Führungspersonen auch telefonisch. Wir helfen Betrieben, Suchtpräventionskonzepte zu entwickeln, und zeigen, wie sie Betroffene respektvoll und gezielt unterstützen können. Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht – und sie können viel dazu beitragen, dass Mitarbeitende trotz einer Suchterkrankung im Arbeitsprozess gehalten und unterstützt werden können.
Sind Sie selbst noch in der Facharbeit Prävention tätig?
Ja, etwa die Hälfte meiner 70-Prozent-Stelle widme ich der operativen Arbeit, die andere der Leitung. Der Praxisbezug ist mir wichtig.
Wie verlief Ihr beruflicher Weg bisher?
Ich bin seit über 20 Jahren im Suchtbereich tätig– stationär, ambulant und in der Risiko- und Schadensminderung und habe zahlreiche Weiterbildungen absolviert, viele parallel zur Arbeit. So konnte ich Theorie und Praxis stets verbinden und mich schrittweise weiterentwickeln.
Was motiviert Sie, sich so lange diesem anspruchsvollen Thema zu widmen?
Mich fasziniert die Komplexität von Sucht. Sie kann jeden treffen – unabhängig von Status oder Beruf. Die Möglichkeit, mein Wissen und meine jahrelange Erfahrung im Suchtbereich weitergeben und einbringen zu können, motiviert mich sehr.
Sie haben sich auch an der FFHS weitergebildet und das CAS Betriebliche Gesundheitsförderung absolviert. Wie waren Ihre Erfahrungen?
Das Blended-Learning-Modell war für mich ideal, weil es Präsenz und Flexibilität kombiniert. Über eine frühere MAS-Absolventin wurde ich auf das CAS aufmerksam. Ich wollte meinen Blick über die Suchtprävention hinaus erweitern und verstehen, wie man Gesundheitsförderung ganzheitlich in Organisationen verankert.
Konnten Sie das Gelernte direkt anwenden und eigene Erfahrungen einbringen?
Ja. Auch wenn Sucht im Studium nicht im Zentrum stand, gibt es viele Parallelen, etwa zu Stress- oder Burnoutprävention. Besonders hilfreich fand ich die Module zur Organisationsentwicklung – wie präventive Massnahmen nachhaltig umgesetzt und evaluiert werden können. Wir waren zwei Teilnehmende aus dem Suchtbereich und konnten unser Wissen aktiv einbringen. Der Austausch war sehr bereichernd.
Für wen empfehlen Sie diese Weiterbildung?
Für Präventionsfachpersonen, HR- und BGM-Verantwortliche sowie Führungspersonen. Gerade in kleineren Betrieben ohne eigene Gesundheitsabteilung ist es wertvoll, wenn jemand über entsprechendes Wissen verfügt.