«Meine Bedürfnisse als gehörlose Studentin wurden jederzeit ernst genommen»
Noelia Pérez studiert im letzten Semester Betriebsökonomie an der FFHS. Sie ist beidseitig gehörlos geboren. Im Interview erzählt die junge Unternehmensberaterin, wie sie ihr Studium meistert, mit welchen Herausforderungen sie im Alltag konfrontiert ist und was sie an der FFHS über sich selbst gelernt hat.

«Ich habe in dem Studiengang nicht nur fachlich viel gelernt, sondern auch über mich selbst», sagt Noelia Pérez. (Foto: Sonos, Schweizerischer Hörbehindertenverband)
Noelia Pérez, Sie haben ein «künstliches Gehör»?
Ich bin beidseitig gehörlos geboren und trage zwei Cochlea Implantate. Das ist eine Art «künstliches Gehör» welches sich jedoch nicht mit einem gesunden Gehör vergleichen lässt.
Mit welchen Herausforderungen werden Sie dadurch im Alltag konfrontiert?
Allem voran ist Hören für mich sehr anstrengend und ich ermüde im Vergleich zu anderen schneller. Gerade bei langen Sitzungen oder Schultagen bin ich nach einer gewissen Zeit nicht mehr aufnahmefähig. Mikrofondurchsagen am Bahnhof oder Flughafen oder im Zug oder Flugzeug verstehe ich kaum. Gespräche in einer Umgebung mit Nebengeräuschen, beispielsweise in einem Restaurant oder einer Bar, sind für mich auch kaum machbar.
Wie sind sie zur FFHS gekommen?
Nach meiner Zeit am Gymnasium bin ich mir die Grenzen meiner Behinderung bewusst geworden und wusste, dass ein Studium für mich nur infrage kommt, wenn es nicht im «klassischen» Setting stattfindet. Ich habe mich online darüber informiert, ob es Hochschulen gibt, die den gewünschten Studiengang in einer Form des Selbststudiums anbieten würden. Bei den Ergebnissen war die FFHS ganz vorne mit dabei und hat mich auch nach persönlichen Gesprächen und bei der Informationsveranstaltung überzeugt.
Welche Hilfsmittel stehen Ihnen beim Studium zur Verfügung?
Ich habe einerseits einen Nachteilsausgleich für die schriftlichen Prüfungen, andererseits sind im Online-Unterricht immer zwei Schriftdolmetscher für mich mit dabei, welche mir das Gesprochene mitschreiben. So bin ich nicht auf das Gehör angewiesen, sondern kann alles live mitlesen.
Sind sie während des Studiums irgendwann dennoch an Grenzen gestossen?
Ja, nach dem dritten Semester bin ich definitiv an eine Grenze gestossen. Ich bin aber sehr dankbar für den Support der FFHS. Ich habe ein Urlaubssemester eingelegt und währenddessen Gespräche mit der Schule geführt, um für mich einen Weg zu finden, das Studium mit weniger Stress weiterzuführen. Ich habe beispielsweise zwei Semester mit weniger Modulen belegt, um den Druck rauszunehmen. Dank der Flexibilität der FFHS konnte ich das Studium und die Module so planen und belegen, dass es für mich immer machbar war.
Wie kriegen Sie Job, Privatleben und Studium unter einen Hut?
Neben Disziplin, Organisation und Planung habe ich das grosse Glück einen Arbeitgeber zu haben, der genauso flexibel ist wie mein Studium. Er und das Team gehen nicht nur verständnisvoll mit mir und meiner Behinderung um, sondern sehen auch das Studium als einen Teil von mir an und berücksichtigen dieses nicht nur im fachlichen Kontext, sondern auch in der Planung. Ich habe das Gefühl, dass sich dadurch Arbeit, Studium und Privatleben flexibel und situativ wie Puzzlestücke aufeinander abstimmen und verbinden lassen. Dafür bin ich sehr dankbar.
Was haben Sie bis jetzt im Studium gelernt, was Sie bereits in Ihrem Berufsalltag anwenden konnten?
Ich habe in dem Studiengang nicht nur fachlich viel gelernt, sondern auch über mich selbst. An der FFHS lernt man mehr als die theoretischen Grundlagen, denn man hat auch die Möglichkeit, gewisse Modelle direkt an sich selbst anzuwenden. Anhand dieser Selbstreflexionen habe ich viel über mich und beispielsweise über meine Positionierungen in Teams oder im Berufsalltag gelernt. Neben den fachlichen Grundlagen haben mir aber auch die Module mit Kommunikations- und Präsentationstrainings sehr viel Sicherheit und Klarheit gegeben für den Umgang und die professionelle Kommunikation mit Kunden und Arbeitskolleginnen und Arbeitskollegen.
Warum würden Sie anderen ein Studium an der FFHS empfehlen?
Neben dem breiten Angebot an Aus- und Weiterbildungen, praxisorientiert unterrichtende Dozenten und dem flexiblen Studienmodell punktet die FFHS für mich besonders in ihrem persönlichen Umgang mit mir als Studentin. Ich hatte nie das Gefühl, eine von vielen zu sein. Meine Bedürfnisse als gehörlose Studentin wurden jederzeit individuell angeschaut und ernst genommen. Dank der FFHS durfte ich eine positive Erfahrung machen und habe trotz meiner Behinderung die Chance erhalten, ein Bachelorstudiengang zu absolvieren.
