«Eine akademische Laufbahn hatte ich nie geplant»
Giulia Pestoni ist Forscherin und Dozentin im Bereich Ernährung an der FFHS. Eine akademische Karriere hatte sie nie geplant – heute leitet sie Projekte zu Ernährung, Schweizer Essgewohnheiten, Nachhaltigkeit und Mikronährstoffen. Im Interview spricht die ehemalige Eiskunstläuferin über ihre Schwäche für die italienische Esskultur und darüber, was sie an der FFHS besonders schätzt: echte Vereinbarkeit von Forschung, Familie und Flexibilität.

Im Interview mit Giulia Pestoni haben wir erfahren, dass auch ein ungeplanter Karriereweg zur Zufriedenheit führen kann, und dass dazu gutes (italienisches) Essen, eine Prise Fernweh und eine grundsätzlich positive und idealistische Einstellung sehr zuträglich sind.
Giulia, was ist dein akademischer Hintergrund?
Ich habe an der ETH Zürich Bewegungswissenschaften studiert. Ernährung hat mich schon früh interessiert, also habe ich während des Studiums gezielt entsprechende Module belegt. Auch meine Masterarbeit schrieb ich in diesem Bereich. Danach wollte ich mich noch vertiefen und habe einen MAS in «Ernährung und Gesundheit» absolviert. Parallel dazu habe ich teilzeitig in einem Forschungsteam gearbeitet. Meine damalige Chefin – ebenfalls Professorin – erhielt ein neues Projekt bewilligt und fragte mich, ob ich doktorieren wolle. Eine akademische Laufbahn hatte ich nie geplant, aber das Projekt war halt spannend – also habe ich einfach zugesagt. (lacht)
Was hat dich ursprünglich zu den Bewegungswissenschaften gezogen?
Ich war lange Leistungssportlerin im Eiskunstlauf – das hat mich stark geprägt. Die Verbindung zwischen Bewegung, Gesundheit und Ernährung fand ich immer schon sehr spannend. Besonders in ästhetischen Sportarten ist Ernährung ein sensibles Thema. Ich habe früh gemerkt: Wer zu wenig isst, verliert an Leistung. Das Gleichgewicht zu finden, hat mein Interesse nachhaltig beeinflusst.
Welche Forschungsthemen bearbeitest du aktuell an der FFHS?
Ein Fokus liegt auf der Auswertung der Schweizer Ernährungserhebung – das sind Daten von rund 2’000 Personen. Ich analysiere Essgewohnheiten, Gesundheitseinflüsse und Nachhaltigkeitsaspekte, zum Beispiel mit Bezug auf die sogenannte «Planetary Health Diet»: Dies ist eine pflanzenbetonte Ernährungsweise, die die planetaren Grenzen respektiert und mit der sich die Weltbevölkerung bedarfsgerecht und gesund ernähren kann. Gemeinsam mit Prof. Dr. Diego Moretti (Anm.: Diego Moretti ist Forschungsfeldleiter «Ernährung und Diätetik» an der FFHS) forsche ich inzwischen auch im Bereich Mikronährstoffe – besonders zu Eisen. Aktuell untersuchen wir etwa den Zusammenhang zwischen Eisenstatus und der Immunantwort auf COVID-Impfungen.
Arbeitest du auch international?
Zurzeit vorwiegend national, weil meine Hauptdaten aus der Schweiz stammen. Ich arbeite mit verschiedenen Schweizer Forschungsgruppen zusammen, bin aber regelmässig an internationalen Konferenzen. Unser Forschungsteam hat jedoch viele internationale Projekte und Kooperationen mit internationalen Forschungsgruppen – wie zum Beispiel ein Projekt gemeinsam mit peruanischen Forschenden zur Eisenversorgung in grosser Höhe.
Du bist auch Dozentin. Wie gefällt dir die Lehre?
Sehr. Ich unterrichte aktuell vorwiegend in Modulen im Bereich des «Wissenschaftliches Arbeiten» und betreue viele Bachelor- und Masterarbeiten. Besonders die individuelle Begleitung macht mir Freude.
Was schätzt du an der FFHS besonders?
Die Flexibilität. Ich kann eigene Projekte umsetzen und meine Expertise weiterentwickeln. Die FFHS bietet Flexibilität nicht nur für Studierende, sondern auch für Mitarbeitende. Die Arbeit an der FFHS lässt sich optimal mit nebenberuflichen und familiären Bedürfnissen vereinen. Ich konnte etwa nach der Geburt meines Sohnes auf 60 Prozent reduzieren, und in Absprache teilweise im Homeoffice arbeiten.
Du bist Tessinerin – wie stark ist der Bezug zu deiner Heimat heute noch?
Sehr stark. Ich bin 2010 zum Studium nach Zürich gezogen, aber meine Familie lebt noch im Tessin. Wir fahren regelmässig dorthin – ich liebe die Natur, das Wetter, und natürlich das Essen. Das bleibt Heimat.
Wie sieht dein Alltag in Zürich kulinarisch aus?
Ganz klar italienisch. Wir kochen täglich mit guten und frischen Lebensmitteln, und möglichst gesund und ausgewogen. Fertigprodukte kommen nur ganz selten auf den Tisch, und wir essen auch immer noch eher spät – wie es in italienischen Esskultur üblich ist. Mein Sohn ist noch ganz klein, soll aber diesen Teil seiner Identität auch mitbekommen.
Was wolltest du als Kind werden?
Erst Eiskunstläuferin, dann Kinderärztin. Ich habe Eiskunstlauf sehr intensiv und auf hohem Niveau betrieben, also auch an Schweizer Meisterschaften und internationalen Wettkämpfen teilgenommen. Von diesem Sport leben, können jedoch in der Schweiz nur ganz wenige und zudem wollte ich etwas mit Zukunft studieren. Das Thema Gesundheit war schon immer präsent.
Welche drei Dinge würdest du auf eine Reise zum Mond mitnehmen?
Meine Familie, ein gutes Buch – und frische Zutaten, um gemeinsam zu kochen.
Und was liest du am liebsten?
Früher habe ich extrem viel gelesen. Als Kind konnte ich ohne ein gutes Buch nicht einschlafen. Heute lese ich immer noch sehr gerne, leider fehlt mir jedoch manchmal die Zeit. Am liebsten lese ich Romane, aber eigentlich querbeet.
Mit welcher bekannten oder historischen Persönlichkeit würdest du gerne einmal Kaffee trinken – und wo?
Mit Maria Montessori. Ich beschäftige mich derzeit viel mit ihrer Pädagogik, weil ich Mutter bin. Sie war eine Pionierin – eine der ersten Frauen Italiens mit Medizinstudium überhaupt. Ich würde mit ihr gerne über Erziehung sprechen, am liebsten irgendwo am Meer in Italien.
Hast du einen Lieblingsort in Italien?
Eindeutig Sardinien – meine Grossmutter stammt von dort. Es ist einfach wunderschön.

Der Lieblingsplatz von Giulia liegt auf Sardinien. Wo das bereitgestellte Foto ihres Geheimtipps genau liegt, soll an dieser Stelle aber leider nicht verraten werden. (Foto: ZVG)
Welche Farbe beschreibt dich am besten?
Gelb – die Farbe der Sonne. Ich fühle mich einfach besser, wenn die Sonne scheint. In Zürich kann Sonne ab und zu etwas Mangelware sein, aber dann flüchten wir gelegentlich gerne einfach gen Süden in die Heimat.
Wenn du nur noch eine Band oder einen Musikstil hören dürftest – was wäre es?
Sehr schwierig! Ich höre je nach Stimmung ganz unterschiedliche Musik – von ruhig bis tanzbar. Ich könnte mich da kaum auf eine einzige Richtung festlegen, geschweige denn eine Band.


