DR. IRENE PILL 31.05.2021

«Das gibt sich noch» (Teil 2)

Teamwork in global vernetzten Unternehmen kann eine Herausforderung sein. Unterschiedliche kulturelle Vorstellungen prallen aufeinander, und es gilt zunächst eine Basis für die erfolgreiche Zusammenarbeit aufzubauen. Welche Massnahmen in diesem Prozess sinnvoll sind und wie das HR-Management unterstützend wirken kann, erfahren Sie in diesem Beitrag.

Das Beste aus mehreren Welten – so gelingt erfolgreiches Teambuilding

Bunte Belegschaft

Ein gewichtiger Erfolgsfaktor für internationale Projektteams ist deren Zusammensetzung. Will man lieber eine Gruppe zusammenstellen, die einen vergleichbaren Hintergrund hat und ähnlich tickt, oder ist man offen für Diversity Management und damit für eine bunte Belegschaft hinsichtlich Geschlecht, Herkunft und Alter etc.? Eine vielfältige Truppe mag anstrengender sein und aufgrund von divergierenden Werte systemen und Herangehensweisen womöglich langsamer arbeiten, sie birgt aber beispielsweise bei der Produktentwicklung die Chance, verschiedenste Perspektiven einzubringen und damit ein breiteres Kundenspektrum im Auge zu haben.

Nicht ins kalte Wasser springen

Kulturunterschiede haben also entscheidenden Einfluss darauf, wie gearbeitet wird. Man muss stets davon ausgehen, dass wesentliche Elemente des Projektmanagements in anderen Ländern anders gehandhabt werden. Das bedeutet: Auch bei noch so grossem Zeitdruck ist es für eine bestmögliche interkulturelle Zusammenarbeit unerlässlich, ein multinationales Team bewusst zu bilden und es zu stärken. Einfach loszulegen und ins kalte Wasser zu springen, kann sich auf lange Sicht rächen. Hier ist auch das HR-Management stark gefragt, das mit dafür sorgen kann, aus einer Gruppe von Individuen mit heterogenem kulturellem Hintergrund eine schlagkräftige Einheit zu formen.

Vertrauen versetzt Berge

Entscheidend für den Teamgeist ist, dass man das Gegenüber kennenlernt, Bindungen aufbaut und gegenseitiges Vertrauen und Verständnis sucht. Für eine positive Beziehungsstruktur und gedeihliche Kooperation wäre es ideal, wenn sich das Team zumindest einmal, idealerweise aber regelmässig physisch begegnet – ein Optimum, das in global agierenden Unternehmen und obendrein in Coronazeiten nicht einfach zu realisieren ist.

Vertrauen ist eine zentrale soziale Ressource und essenziell für die Formierung und den Zusammenhalt eines multikulturellen Teams, ganz gleich, ob es an einem Ort tätig ist oder als Remote Team erfolgreich sein soll, ob neue Mitglieder integriert und eingearbeitet werden müssen oder Veränderungsprozesse anstehen. Die Stärkung eines Wir-Gefühls sorgt für Zusammengehörigkeit, Festigkeit und Stabilität der Gruppe. Zu bedenken dabei ist, dass auch Vertrauensbildung kulturabhängig ist: Beiderseitiges Vertrauen baut man unterschiedlich auf. So sind beispielsweise in der Schweiz oder in Deutschland Zahlen, Daten und Fakten entscheidend. In arabischen oder asiatischen Ländern hingegen entsteht Vertrauen erst nach zeitintensiver Pflege persönlicher Beziehungen und Personenkenntnis, sei es durch mehrmalige Treffen, ausgedehnte Essen oder Freizeitaktivitäten.

Der Mensch hinter Bits und Bytes

Es ist die Aufgabe der Teamleitung, das Kennenlernen zu initiieren und den Austausch mit den Kolleginnen und Kollegen zu forcieren. Selbst während der Corona-Pandemie und bei ortsunabhängigem Arbeiten ist es gar nicht so schwierig, sich auch digital «ein Bild von jemand anderem » zu machen. Fotos mit kleinen Steckbriefen und Visitenkarten, die nicht nur üblicherweise den Namen wiedergeben, sondern vielleicht das Hobby, die Sportart, das Lieblingsessen etc. aufzeigen, ebenso wie turnusmässige Videokonferenzen, die nicht allein Berufl ichem dienen, Routinen wie kurze informelle Kaffeerunden zu Arbeitsbeginn oder Rituale wie das Montag-Morgen-Meeting können ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und des Miteinanders schaffen. Wenn beide Parteien vor Augen haben, wer auf der anderen Seite sitzt und wie es da aussieht, ist die Hemmschwelle, sich in heiklen Situationen vertrauensvoll an das Gegenüber zu wenden, sicherlich niedriger.

Gemeinsame Erlebnisse, gerade auch bei Remote Teams, sind von enormer Bedeutung, um digitale Arbeit sozialer zu machen, trotz Distanz Nähe zu schaffen und zwischenmenschliche Beziehungen zu ermöglichen. Virtuelle Formate ersetzen zwar keine persönlichen Kontakte, und doch ist es möglich, sich verbunden zu fühlen, auch wenn der Flurfunk und lockere Gespräche in der Kaffeeküche oder beim Mittagessen fehlen.

Interkulturelles Lernen

Eines ist klar: Um das Potenzial und die Kreativität eines Teams im Interesse aller Beteiligten zu fördern und auszuschöpfen, ist ein interkultureller Lernprozess unabdingbar. Schon vor der Aufnahme der eigentlichen Arbeit sollte das HR-Management für Lernbereitschaft werben und Lernmöglichkeiten in Form von Trainings anbieten. Die Teilnehmer festigen in solchen Fortbildungen ihr Bewusstsein für kulturelle Zusammenhänge, sie erweitern ihr Wissen über bedeutsame Kulturunterschiede und historisch bedingte Sensibilitäten, sie erkennen die Chancen von interkulturellen Teams und trainieren, mit eventuellen Spannungen wertschätzend und konstruktiv umzugehen. So befördert das Voneinanderlernen bereits in der Frühphase ein interkulturelles Gruppenverständnis; es entsteht ein Miteinander, ohne in Gleichmacherei zu münden.

Die ersten Schritte: Kick-off-Workshop

Idealerweise findet sofort zu Beginn des Teamentwicklungsprozesses in der Orientierungsphase ein Kick-off-Workshop statt. In dieser Auftaktveranstaltung begegnet man sich im besten Fall von Angesicht zu Angesicht – in Coronazeiten und bei der zunehmenden Anzahl von Remote Teams sicher nicht immer leicht umzusetzen. Dennoch: Ein erstes Zusammenkommen ohne Termindruck, und wenn es auch nur virtuell ist, sollte dem Kennenlernen und dem Vertrauensaufbau dienen. Hier ist der Ort, um gemeinschaftlich grundlegende Spielregeln auszuhandeln und eine Informationsbasis zu erzielen, und zwar nicht nur, was das jeweilige Unternehmen anbelangt, sondern auch, was die jeweiligen Herkunftsländer betrifft. Vorrangig geht es um eine Übereinkunft zu Zielen, Vorgehensweisen, inhaltlichen und zeitlichen Abläufen ebenso wie zum Umgang miteinander. Folgende Fragen könnten zur Sprache kommen:

  • Was verstehen alle unter Gruppenarbeit und wie funktioniert diese im Heimatland?
  • Welche Teamwork-Erfahrungen bringen die Einzelnen mit, auch im Hinblick auf Eigenverantwortung und Selbstständigkeit?
  • Wie sind die Macht- und Entscheidungsstrukturen? Wer ist mit welchem Beitrag für welches Projektziel verantwortlich?
  • Welche spezifischen Arbeitsstile werden präferiert?
  • Welche Methoden zur Aufgabenerledigung sind am besten geeignet und wie lassen sich diese abstimmen, ohne alle über einen Kamm zu scheren?
  • Soll man bei den Arbeitszeiten Rücksicht auf kulturelle und religiöse Besonderheiten nehmen?
  • Sind Speisetabus und interreligiöse Kalender zu beachten?
  • Wie steht es um Konfliktmanagement und Konfliktlösung?

Zentral sind Regeln zum Informationsaustausch und Kommunikationsmuster:

  • Wie wird informiert, wie häufig und in welcher Projektsprache?
  • Welche Bedeutung kommt der detaillierten schriftlichen Fixierung in einem Protokoll zu?
  • Welche Medien werden wann eingesetzt?
  • Wie ist die Erreichbarkeit bei unterschiedlichen Zeitzonen?

Empfehlenswert ist es, wenn zunächst in Kleingruppen eine überschaubare Anzahl von Regeln zur Zusammenarbeit ausgemacht wird. Auf diese Weise berücksichtigt man, dass in manchen Kulturen individuelle Meinungen nicht direkt und schon gar nicht vor einer grösseren Zahl von Menschen geäussert werden. Die dabei gesammelten Grundregeln werden dann, vielleicht unter Zwischenschaltung einer Mittlerperson, im Plenum zusammengefasst und fixiert, womit aber keine seitenlangen Papiere und ausufernden Aushänge gemeint sind.

Ein solcher Workshop ist ein bedeutsames Element zum Aufbau eines Teamgeists und zur Förderung positiver gruppendynamischer Prozesse. Er dient der Identifikation mit dem zu erreichenden Ziel und hilft beim Abbau etwaiger Unsicherheiten. Zugleich macht er heterogene Auffassungen, und damit auch Stolpersteine und Konfliktpotenziale, kenntlich und entwickelt ein gemeinsames Grundverständnis für Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen. Das daraus resultierende Regelwerk mit definierten Rollen, Aufgaben und Zuständigkeiten schafft eine robuste Basis für eine gewinnbringende Kooperation.

Das HR-Management ist gefragt

Es liegt auf der Hand: Für ein optimales Teambuilding und die langfristige Sicherung des Unternehmenserfolgs ist das HR-Management gefragt. Es befördert die beträchtlichen Ressourcen und kümmert sich darum, dass multikulturelle Teamarbeit nicht zum Hemmschuh wird. Natürlich sind Vorbereitung und Begleitung zeitlich recht aufwendig, bedeuten einen hohen Organisationsaufwand und verursachen Kosten – zu guter Letzt aber sind sie eine Investition in die Zukunft. Derart solide aufgestellt, sollte dem Leitspruch vieler Managementtrainings nichts mehr im Weg stehen: «Together everybody achieves more.»

(Erstpublikation in der Zeitschrift «personalSCHWEIZ» im April 2021)