Dr. Irene Pill 30.10.2020

Vom Weggehen und Ankommen

Für den Arbeitgeber für eine gewisse Zeit im Ausland eine neue berufliche Herausforderung in Angriff zu nehmen, ist eine reizvolle Sache. Damit das Unterfangen für alle Parteien von Erfolg gekrönt ist und der Arbeitseinsatz nicht frühzeitig abgebrochen wird, müssen die Entsandten durch das HR entsprechend unterstützt werden. Und es gilt, die Entsandten nicht nur beim Ankommen, sondern auch bei der Rückkehr zu begleiten.

Es war unlängst am Flughafen in Sibiu: Ein junger Mann kommt lächelnd auf mich zu und bedankt sich freundlich. Wie sich herausstellt, war mein ehemaliger Trainee als Expatriate nach Rumänien entsandt worden, um dort als Geschäftsführer eine Niederlassung aufzubauen. «Ich profitiere täglich vom interkulturellen Auslandstraining, das mir meine HR-Abteilung ermöglicht hat», so seine Worte, «ohne das könnte ich hier nicht erfolgreich arbeiten.»

Expatriates – Wanderer zwischen den Welten

Solche Begebenheiten sind nicht nur persönliche Sternstunden einer Trainerin, sondern zeigen auch eines besonders augenfällig: Wer als Fach- oder Führungskraft im Rahmen einer Auslandsentsendung vorübergehend abgeordnet wird und erfolgreich arbeiten will, benötigt die intensive Mitwirkung des HR-Managements. Denn angesichts der internationalen Mobilität von Mitarbeitenden ergeben sich eine ganze Reihe von Aufgaben: Es geht um administrativ-organisatorische Betreuung, Beratung bei den vielfältigsten arbeitsrechtlichen, sozialen und wirtschaftlichen Fragen, Hilfestellung für Mitreisende und nicht zuletzt Sprachkurse und interkulturelle Trainings.

Viele Führungskräfte und Fachexperten bestätigen in Gesprächen, dass sie sich vor der Ausreise bei der Beseitigung verwaltungsmässiger Hürden seitens ihres Stammunternehmens tatkräftig unterstützt fühlen, bei den «weichen Faktoren» wie interkulturelle Vorbereitung eher weniger. Dies ist umso erstaunlicher, als Auslandsmanager ein mannigfaltiges Spektrum an Aufgaben zu bewältigen haben: Sie üben Aufbau-, Koordinations- und Kontrollfunktionen aus, steuern Veränderungsprozesse und sorgen sich um den Transfer von Fachwissen. Als Wanderer zwischen den Welten sichern sie die enge Verbindung zum Hauptsitz. Und «ganz nebenbei» müssen sie sich, womöglich noch mit Familie, in einer anfangs völlig fremden Umgebung ein neues Leben und Zuhause aufbauen. Eine Auslandstätigkeit bedeutet also bei Weitem nicht nur eine logistische Leistung; sie ist wesentlich komplexer und begleitet von Höhen und Tiefen. Sich nicht auskennen, sich fremdfühlen, auf sich allein gestellt sein, das macht vielen Entsandten zu schaffen.

Weggehen und Ankommen

Es verwundert also nicht, dass Weggehen und Ankommen sehr anspruchsvoll sind: Wenn auf einmal der gewohnte Lebenszusammenhang fehlt, sind spezielle Bewältigungs- und Anpassungsleistungen gefragt. Die mitausreisende Familie kann eine wertvolle Stütze bedeuten, die wesentlich zum Erfolg des Einsatzes beiträgt. Allerdings bietet sie auch ein nicht zu unterschätzendes Konfliktfeld. Beeinträchtigungen des begleitenden Partners und von Kindern, die mit der einschneidenden Lebensveränderung Mühe haben, sind keine Bagatelle. Oft hört man: «Kinder finden sich überall zurecht.» Aber ist das wirklich so? Partner- und Familienprobleme, die täglichen Notwendigkeiten der Alltagsbewältigung sowie kulturelle Adaptionsschwierigkeiten führen gegebenenfalls zu einem Scheitern der Auslandstätigkeit – und dies mit beträchtlichen Konsequenzen. Unternehmen verlieren dabei viel Geld, von dem enormen Vertrauensverlust bei den Geschäftspartnern im Gastland und den Mitarbeitenden vor Ort ganz zu schweigen. Nicht zu übersehen sind zudem die psychosozialen Folgen, die ein solcher Abbruch für alle Beteiligten zur Folge haben kann.

Von Höhenflügen und Tiefschlägen – der Kulturschock

Der Anthropologe Kalervo Oberg veranschaulicht mit seinem Phasenmodell die einzelnen Stadien, die Menschen beim Eintritt in eine andere Kultur erwarten können und die einer U-Kurve gleichen. Diese Etappen eines sogenannten Kulturschocks sind häufig und treten je nach Person zu unterschiedlichen Zeitpunkten mit verschiedener Dauer und Intensität auf. Es geht hier um langfristige, subtile Veränderungen der Persönlichkeit als Folge der Auseinandersetzung mit einer anderen Kultur. Ein Kulturschock öffnet Augen und rüttelt auf, indem man sich mit der Gastkultur auseinandersetzt. Das Wissen um diese möglichen Phasen wird von Expatriates als sehr hilfreich geschildert: Immerhin ist man vorbereitet.

Die erste Phase zu Beginn eines Auslandsaufenthalts wird Euphorie oder auch Honeymoon genannt; dies ist eine überaus angenehme Zeitspanne, in der man eine rosarote Brille trägt, alles bestens läuft und die man von einem fantastischen Urlaub her kennt. Dauert der Aufenthalt länger, schreitet man gleichsam die U-Kurve nach unten: Es entstehen die ersten irritierenden Missverständnisse, die man anfangs noch sportlich nahm. Die anschliessende Kollisionsphase freilich kann in massiven Konflikten gipfeln: Man erreicht einen Tiefpunkt, hadert mit der fremden Kultur, fühlt sich als Fremder und ausgeschlossen, idealisiert die Heimatkultur und entwickelt bisweilen erhebliche physische und psychische Beschwerden. Wird ein solches Krisenstadium nicht bewältigt, sind zerschlagenes Porzellan am Einsatzort und Auslandsabbrüche häufig. Durchschreitet man dieses «Tal der Tränen» und arbeitet man weiter an der eigenen interkulturellen Kompetenz, geht es aufwärts: Man gelangt in die Akzeptanzphase, in der man Kulturunterschiede respektiert, und schlussendlich in die Akkulturation mit dem Hineinwachsen in die einem vormals fremde Kultur. Diese letzte, oberste Entwicklungsstufe bedeutet jedoch nicht, dass man in der neuen Kultur alles gutheissen oder etwa seine Identität, seine Persönlichkeit aufgeben sollte. Man braucht seine eigenen Wurzeln nicht zu verleugnen und kann dennoch offen sein für andere Lebens- und Arbeitsweisen.

HR-Abteilung – Garant für den Erfolg bei der Entsendung

Erfolgreiche HR-Verantwortliche und deren Mitarbeitende wissen um die Herausforderungen internationaler Zusammenarbeit. Ihnen kommt eine hohe Bedeutung beim Vorbereitungsprozess zu, um eine qualitätsvolle, für alle befriedigende Arbeit vor Ort sicherzustellen, aber auch, um für geringe Abbrecherquoten zu sorgen. Sie haben eine Menge Fragen zu klären: Wie gelingt die optimale Auswahl eines geeigneten Mitarbeitenden, bei der, abgesehen von der Fachkompetenz, zugleich soziale Qualifikationen wie interkulturelle Kompetenz angemessen berücksichtigt werden? Wie sind die beiderseitigen Erwartungen von Unternehmen und Expats? Sollen Relocation Services beauftragt werden, die auf Wunsch den gesamten Umzugsprozess organisieren und Beratung in rechtlichen, finanziellen und organisatorischen Belangen bieten? Benötigen Ausreisende und ihre Familien darüber hinaus Sprachkurse? Handelt es sich um ein Doppelkarrierepaar, bei dem das Unternehmen dem begleitenden Partner womöglich berufliche Türen öffnen kann? Sollen Rückkehrszenarien schon vor der Abreise besprochen werden? Wird eine Option zur Weiterbeschäftigung in den Entsendungsvertrag aufgenommen? Und nicht zuletzt: Wie könnte die Mitarbeiterbindung aussehen, um einer eventuellen Kündigung nach der beruflichen Rückkehr vorzubeugen?

Lohnende Zukunftsinvestition

Eine Frage dabei ist immer mit «Ja» zu beantworten: ob denn ein interkulturelles Training notwendig ist. Ein rechtzeitig vermitteltes interkulturelles Rüstzeug bedeutet für den Expat wie für die begleitenden Angehörigen, aber auch für das Entsendeunternehmen eine lohnende Investition in die Zukunft. Der mich am Flughafen in Sibiu so freundlich begrüssende junge Geschäftsführer konnte dies ebenfalls bestätigen. Zum Abschied meinte er noch, dass seine Auslandsmission nun bald beendet sei. Hoffen wir, dass sein HR-Management ihn nicht nur beim Weggehen, sondern auch beim Ankommen in der alten Heimat so tatkräftig unterstützt. Davon wird im zweiten Teil dieses Beitrags die Rede sein.

Ähnlich wie der Fisch macht sich der Mensch normalerweise keine oder nur wenige Gedanken über das Kultur-Wasser, von dem er abhängig ist. Verlässt er aber die gewohnte Umgebung und begibt sich auf fremdes Terrain, spürt er unmittelbar, dass «etwas nicht stimmt»: Die für einen so selbstverständliche, lebensnotwendige Umwelt mit den geläufigen Werten, Normen und Verhaltensweisen passt vielleicht nicht mehr zur neuen Situation, wo andere Standards des Zusammenlebens und -arbeitens gelten. «Ich wurde erst im Ausland zum Schweizer» ist ein nicht selten gehörter Satz. Oft erkennt man erst durch räumlichen Abstand die Prägungen der eigenen Kultur. Viele Expatriates berichten insbesondere während der Eingewöhnungsphase von einem Leben in Zwischenwelten, von Desorientierung, sozialer Isolation und Krisen.

«In ein fremdes Kloster geht man nicht mit den eigenen Regeln.»

Je besser man sich auf die neuen Verhältnisse vorbereitet, über Kulturunterschiede «im neuen Wasser» Bescheid weiss und die Regeln der Gastkultur kennt, umso eher kann man sich so manches ersparen: nicht nur Frustration und Stress, sondern auch blutige Nasen. Kulturgegensätze an sich stellen keine unüberwindbaren Hindernisse dar, vielmehr ist mangelndes Verständnis eine der zentralen Ursachen für Konflikte. Wer in einem interkulturellen Training über sich selbst lernt und sich selbst besser versteht, lernt zugleich, andere besser zu verstehen. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung, um sich in einer noch ungeläufi gen Kultur respektvoll zu bewegen und sich freizuschwimmen. Sobald es allerdings ans Heimkehren geht, warten neue, oftmals unverhoffte Herausforderungen auf den Expatriate und die Mitausreisenden.

Fremde Heimat – der Rückkehrschock

«Die Rückkehr in die alte Heimat ist schwieriger als das Weggehen» lautet das Urteil nicht weniger Repatriates, die auf das Fremdeln im ehemaligen Zuhause häufig völlig unvorbereitet reagieren und in dieser Situation nur allzu oft allein gelassen werden. Bedeuten das Weggehen und das Ankommen in einem neuen Gastland schon eine enorme Anpassungsleistung, so erst recht das Ankommen im Ursprungsland. Eine Rückkehr in die altvertraute, identische Umgebung gibt es nicht: Das bislang Wohlbekannte ist es nur noch scheinbar. Auf einmal fühlt sich durch den Abstand einiges distanziert und ungewohnt an, und gar manches wird als nur noch schwer nachvollziehbar beschrieben. Man selbst hat sich verändert, und die Daheimgebliebenen sind schliesslich auch nicht stehen geblieben.
Nach längeren Auslandsaufenthalten ändern sich nicht selten Freundeskreise grundlegend, da man sich in die entgegengesetzte Richtung entwickelt hat. Die hohen Erwartungen an das Herkunftsland erfüllen sich nicht immer, und es ist nicht verwunderlich, wenn die Konfrontation mit der Realität der in der Ferne zuweilen rosig gemalten Heimat als emotional stark belastend empfunden wird. Das Leben
in der neuen Aussenseiterrolle führt zu Verunsicherung und Desillusionierung. Etliche Repats entwickeln ein starkes Fernweh nach dem ehemaligen Gastland.

Das Bewusstsein für die Komplexität der «Heimkehr in die Fremde» fehlt meist schlichtweg. Der häufig eintretende Rückkehrschock kommt für viele völlig überraschend. Das von Kalervo Oberg entwickelte Kulturschock-Modell wiederholt sich; das U-Modell ist eigentlich ein W-Modell: Man macht die fünf Phasen, die einer U-Kurve gleichen, in unterschiedlicher Intensität noch einmal durch und kann abermals in ein tiefes Loch fallen. Aufs Neue erlebt man eine schwierige Übergangssituation mit einem Wechselbad der Gefühle, das zwischen Vorfreude und Erwartungshaltung einerseits sowie Wehmut und Trennungstrauer andererseits schwankt.

Auch ein nahtloses Zurückkommen in die Unternehmen findet nicht statt; ein business as usual ist oft nicht möglich, worauf so mancher enttäuscht das Handtuch wirft. Repatriates klagen über fehlende Unterstützungsleistungen, das Vermissen lieb gewonnener Privilegien im Gastland, den Verlust von sozialem und finanziellem Status, einen drohenden Karriereknick, die mangelnde Wertschätzung ihres Zuwachses an internationaler Erfahrung sowie ungenügende Aufstiegschancen.

Die Reintegration bedeutet folglich einen Neuanfang mit einem erheblichen Aufwand, das Einrichten im neuen alten Leben kostet Kraft und ist auf die Schnelle nicht zu haben. Umso dringender wären hier Entsendeprogramme, in welchen die Mitarbeitenden und deren Familien systematisch und intensiv auch auf das Heimkommen vorbereitet werden würden. Für eine sanfte Landung sind Rückkehrszenarien bereits vor Reiseantritt zu entwickeln. Entscheidend ist somit, der Wiedereingliederung dieselbe Aufmerksamkeit zu widmen wie der Integration in die Kultur des Gastlandes – und dazu braucht es die Unterstützung seitens der Personalführung.

HR-Abteilung – Garant für den Erfolg bei der Rückkehr

Der Erfolg eines Auslandseinsatzes hängt also wesentlich von einem ausgefeilten Konzept der HR-Abteilung ab: Mit ihrem Rückkehrmanagement plant sie die Heimreise rechtzeitig und mindestens so gründlich wie die Ausreise und berücksichtigt die Belange aller Mitfahrenden. Um den Rückkehrschock zu dämpfen, bemüht sie sich um eine adäquate Replatzierung des Mitarbeitenden. Zusätzlich offeriert das Reintegrationsprogramm interkulturelle Rückkehrseminare, bei Bedarf ebenso ein Coaching und die Hilfe durch hausinterne Mentoren.

Überdies sind HR-Manager stark gefragt, um einer Fluktuation entgegenzuwirken. Das Entsendeunternehmen muss zusehen zusehen, dass es Rückkehrer nicht verliert, ansonsten droht ein herber Verlust an Personalinvestitionen und allenfalls ein Braindrain an Mitbewerber bzw. Konkurrenten. Repats betonen regelmäs sig, welch grossen Wert sie auf die Anerkennung ihres Kompetenzzuwachses und ihrer Leistung im Ausland legen. Sie schätzen die Möglichkeit, ihr Wissen als Multiplikatoren weiterzugeben, indem sie als Berater für zukünftige Expatriates oder als Länderexperten fungieren. Die HR-Abteilung ist gut beraten, diesen wertvollen Erfahrungsschatz im Unternehmen zu halten und Initiativen zur nachhaltigen Nutzung dieser Ressourcen zu entwickeln.

Das haben Sie davon!

Es liegt auf der Hand: Schon national ist es eine enorme Herausforderung, die richtigen Personen mit den richtigen Qualifikationen zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Platz zu bringen. Im globalen Kontext gilt das erst recht: Personal für internationale Aufgaben auszuwählen, es auf einen solchen Einsatz vorzubereiten, auch im Gastland interkulturell zu begleiten und nach dem Heimkommen wieder in das Unternehmen zu integrieren, ist eine komplexe Aufgabenstellung. Um ein bestmögliches Ergebnis zu erzielen, ist ein internationales Personalprogramm in beide Richtungen unerlässlich: bei der Entsendung wie bei der Rückkehr.

Wenn auch das Weggehen und das Ankommen anspruchsvoll sind, so liegen die Vorzüge eines Auslandsaufenthalts auf der Hand: Im Gepäck nach Hause befinden sich neue Ideen, bereichernde Erfahrungen, wertvolle Kontakte und eine ganze Menge Lebensweisheit mit einem anderen Blick auf die Welt. Von dieser Persönlichkeitsentwicklung und Horizont erweiterung kann man ein Leben lang profitieren – und sich munter wie ein Fisch im Wasser fühlen.

(Erstpublikation in der Zeitschrift «personalSCHWEIZ Juli-August 2020»)