BEATRICE PAOLI, MARTINA PERANI UND PRISKA BURKARD 29.06.2020

Frauen in Data Science

Obwohl Data Science von der Harvard Business Review zum attraktivsten Arbeitsgebiet des 21. Jahrhundert auserwählt wurde, hat sich dieses bei Frauen noch nicht als solches etabliert. Laut einer globalen Studie der Boston Consulting Group BCG ist nicht einmal ein Sechstel der Fachkräfte, die in diesem Bereich arbeiten, weiblich. Warum?

Der Umgang mit Daten wird wichtiger für Unternehmen und Organisationen. Entsprechend zeichnet sich eine neue Berufsfigur ab: die Data Scientist. Mit wissenschaftlichen Methoden, Prozessen, Algorithmen und Systemen extrahieren Data Scientists aus Daten Werte. Allerdings arbeiten viele Männer in diesem Beruf und nur wenige Frauen (15% – 22%), dies sind die Ergebnisse der Studie der BCG aus einer Stichprobe von mehr als 9000 Studierenden und Hochschulabsolventen aus zehn Ländern.

Frauen sind Familienbetreuerinnen

Die wichtigsten Faktoren, die dazu beitragen, dass weniger Frauen in Tech-Bereichen arbeiten, sind meist kulturellen und finanziellen Ursprungs. Früher galten Frauen als die wichtigsten Betreuerinnen von Kindern und älteren Verwandten. Im letzten Jahrhundert haben dann immer mehr Frauen eine Ausbildung abgeschlossen und sich für den Eintritt ins Berufsleben entschieden. Der Frauenanteil beim Antritt einer akademischen Ausbildung im Bereich Technik und IT ist seit 1998 sogar um das Sechsfache gestiegen. Aber wenn Familien Kinder bekommen oder ältere Verwandte erkranken, ist es meist noch die Frau, die ihre Karriere opfert, um als Betreuerin zu dienen. Dazu kommt, dass Kinderbetreuung und Altenpflege teuer und eine vollzeitliche professionelle Betreuung für die meisten Familien nicht erschwinglich ist. Viele Unternehmen bieten auch eine Vorteile wie bezahlten Elternurlaub für Männer an, so dass es für diese Anreize gäbe, sich familär stärker einzubringen. Deshalb wählen viele Mädchen und Frauen «frauentypische» Ausbildungen und Berufe. Sie möchten eine flexible Arbeit, bei der kleine Pensen und Unterbrechungen wie etwa ein längerer Mutterschaftsurlaub möglich sind und ein Wiedereinstieg einfach ist. Besonders im Bereich Data Science hat die ungleiche Verteilung der Geschlechter einen negativen Einfluss, insbesondere, wenn es um den Einsatz von Algorithmen der künstlichen Intelligenz (KI) geht. KI wird von Menschen geschaffen. Handelt es sich dabei ausschliesslich um Männer, entstehen Vorurteile und Diskriminierungen im Sourcecode, die sich negativ auf das andere Geschlecht auswirken können. Laut der BCG-Studie spielt Diversität auf allen Ebenen eine entscheidende Rolle, indem sie Innovation fördert und den Umsatz erhöht.

Noch immer opfert meist die Frau ihre Karriere, um als Betreuerin zu dienen.

Beatrice Paoli
Institutsleiterin Laboratory for Web Science

Lohn-Gap

Für das Ungleichgewicht der Geschlechterverteilung gibt es nicht nur kulturelle, sondern auch finanzielle Gründe. Die Kaggle Machine Learning & Data Science Survey von 2018 zeigt, dass Männer und Frauen in Data-Science-Bereichen ähnliche Aufgaben erledigen und ähnliche Werkzeuge benutzen. Die Frauen, die diese Umfrage beantwortet haben, sind durchschnittlich besser ausgebildet als ihre männlichen Kollegen, jedoch verdienen sie zirka 14 Prozent weniger. In der Schweiz sieht die Situation nicht besser aus. Laut Bundesamt für Statistik belief sich 2016 der durchschnittliche Lohnunterschied auf 1455 Franken pro Monat, was 18,3 Prozent entspricht (Analyse der Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern anhand der Schweizerischen Lohnstrukturerhebung (LSE) 2016).

56 Prozent der Differenz können erklärt werden. Unterschiede leiten sich etwa ab aus Dienstjahren, Ausbildungs- und Anforderungsniveau, die im sozialen Kontext verwurzelt sind. So verdienen verheiratete Frauen im Schnitt 24,8 Prozent weniger als verheiratete Männer und ledige Frauen 5,6 Prozent weniger als ledige Männer. Allerdings bleiben 44 Prozent des Lohnunterschieds ungeklärt. Übrigens beträgt der unerklärte Anteil im ICT-Bereich 36 Prozent.

Die Überwindung der Gehaltslücke ist eine Chance, weibliche Talente zu gewinnen.

Martina Perani
Forschungsfeldleiterin «Data Science für Energie, Umwelt und Materialien» Laboratory for Web Science

Initiativen für Frauen in Data Science

Die fehlende Diversität und der wachsende Bedarf an Fachkräften in Data Science haben zu verschiedenen Initiativen geführt, um der Situation entgegenzuwirken. In dem Positionspapier «Mehr Frauen in die Informatik» vom Branchenverband ICTswitzerland wird darauf aufmerksam gemacht, wie Initiativen aussehen können und worauf die verschiedenen Organisationen achten sollen. Das Papier zeigt auf, dass nicht nur in der Erziehung und Bildung ein gendergerechter Unterricht gewährleistet werden muss, sondern dass auch das familiäre Umfeld sowie Lehrpersonen und Berufsberatende
ihr Verhalten entsprechend überdenken müssen, um eine geschlechterneutrale Umgebung zu gewährleisten.

Ein Beispiel ist das Angebot von TechFace. Die Plattform unterstützt und begleitet Frauen beim Aufbau einer Karriere im IT-Bereich mittels Talent-Matching-Events, Mentor Matching sowie Ausbildungsprogrammen für Quereinsteigerinnen. Des Weiteren haben sich Female-Tech-Communities gebildet, die Frauen im Tech-Bereich unterstützen und vernetzen. Beispiele sind Women in Machine Learning and Data Science oder Women in AI die sich vor allem im Data-Science- Bereich bewegen. Weitere Communities wie Girls in Tech Switzerland, We Shape Tech, Women plus plus oder Women in Digital fokussieren nicht nur auf Data-Science-Themen sondern auch auf allgemeine Tech-Trends. Die «Women in Data Science»-Konferenz lädt Datenwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler zur jährlichen Konferenz ein. Die #wetechtogether-Konferenz bringt Female-Tech-Communities zusammen, um Frauen im Tech-Bereich zu stärken, zu engagieren und zu feiern.

Ausblick

Obwohl seit 1996 ein Gleichstellungsgesetz in Kraft ist, ist heute die tatsächliche Gleichstellung in vielen Lebensbereichen noch nicht realisiert: Beispielsweise ist die Lohngleichheit nicht gewährleistet und die Aufteilung von Frauen und Männern in Elternurlaub geschlechtsspezifisch geprägt. Bildung ist eines der wichtigsten Mittel, um die Gleichstellung von Frau und Mann zu erreichen. Deshalb muss die Denkweise geändert werden, dass Frauen «Frauenberufe» wählen müssen, um die Familie zu betreuen und dass Männer für die Ernährung der Familie zuständig sind. Um dies zu realisieren, müssen die Unternehmen unter anderem dafür sorgen, dass sowohl Männer als auch Frauen bezahlten Elternurlaub erhalten.

Ein zusätzlicher wichtiger Faktor ist die Überwindung der unerklärten Gehaltslücke zwischen Männer und Frauen. Im Bereich Data Science ist diese Überwindung eine grosse Chance, mehr weibliche Talente zu gewinnen und so eine höhere Diversität zu erreichen. Führungskräfte sollten Frauen ermutigen, über ihre Gehälter zu verhandeln und gegen die verzerrte Wahrnehmung anzukämpfen, dass es «gierig» oder «aggressiv» sei, wenn eine Frau um ein Gehalt bittet, das ihren Fähigkeiten entspricht.

Diverse Teams haben die Corona-Krise am besten gemeistert.

Priska Burkard
Gründerin von Skills Finder und Mitgründerin von TechFace

Drastische Veränderungen in der Arbeitswelt, wie zum Beispiel die vorherrschende Covid-19-Pandemie, forcieren ein Umdenken in den Unternehmen. Während diese gezwungen werden, Home Office zu ermöglichen, haben Familien die Chance, die Verteilung der Rollen zu überdenken. So kann das Risiko minimiert werden, dass Frauen aufgrund fehlender Infrastruktur (Kita) ihre beruflichen Aufgaben zurückstellen, was zu einem Rückschritt für Frauen im Berufsleben führen könnte. Die Anerkennung des Beitrags von Frauen beinhaltet auch, dass Wirtschaft und Gesellschaft die Gleichstellung unterstützen. Denn erwiesenermassen haben Unternehmen mit einer hohen Diversität die vorherrschende Corona-Krise besser gemeistert, wie unlängst das Wirtschaftsportal Forbes berichtet hat.

(Erstpublikation in der Zeitschrift «Computerworld, 6-7/2020»)

Priska Burkard

Priska Burkard ist Gründerin von Skills Finder und Mitgründerin von TechFace. Davor war sie im Projekt- und Produkt Management in der Finanzindustrie tätig und verantwortlich für die Umsetzung von Businessanforderungen in IT Projekten. Ihr Wissen und ihre Erfahrung nutzt sie heute, um innovative Lösungen im Bereich Recruiting von Projektmitarbeitern und der Unterstützung der Diversität in Tech Teams anzubieten